Was wird aus den geretteten Dörfern Keyenberg, Kuckum, Unterwestrich, Oberwestrich und Berverath? In einer Bürgerversammlung wurden fünf Visonen vorgestellt.
Neue Visionen vorgestelltWie es für die geretteten Dörfer bei Erkelenz weitergehen könnte
„Lützerath lebt“ steht auf einem der blinden Schaufenster einer ehemaligen Metzgerei in Keyenberg. Daneben prangt das gelbe X, das Zeichen der Aktivisten, die sich für den Erhalt der Dörfer eingesetzt hatten. Im Inneren eine leere Auslage und verstaubte Fliesen.
Doch Lützerath lebt nicht. Lützerath ist geräumt. Dafür bleiben fünf andere Ortschaften am Rande des Tagebaus Garzweiler. Ein Großteil der ehemaligen Dorfbewohner ist bereits in die neuen Orte mit den exakt gleichen Namen umgesiedelt. „Geisterdörfer“ nennt manch einer die alten Ortschaften, in denen sich ein leeres Haus an das nächste reiht. Nun stellt sich allen Beteiligten die zentrale Frage: Was wird aus den geretteten Dörfern Keyenberg, Kuckum, Unterwestrich, Oberwestrich und Berverath?
Etwa 20 Quadratkilometer könnten bald wieder von der Stadt Erkelenz „beplant“ werden. Das sei lange Zeit nicht möglich gewesen, sagte Michael Joost von der Stadtverwaltung auf Anfrage. Deshalb stellte das von der Stadt beauftragte Planungsbüro Must am Donnerstagabend drei Visionen für die Zukunft der geretteten Dörfer in einer Bürgerversammlung vor.
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Dabei habe man vor allem die vorhandenen „Strukturen mit hoher Qualität“ der Ortslagen nutzen wollen, sagte Robert Broesi, Geschäftsführer des Planungsbüros. „Land der Alleen“ heißt eine, „Goldene Äcker“ die zweite und „Neustadt am See“ die dritte.
Dabei lag je nach Idee der Fokus entweder auf den von Alleen gesäumten Radwegen („Land der Alleen“), der regionalen Agrarkultur („Goldene Äcker“) oder einer „Neustadt am See“ (weitere Infos am Ende des Textes), die durchzogen von einem klimafreundlichen „Agriforst“, einer Mischung aus Land- und Forstwirtschaft ist.
Was alle Visionen gemein haben: klimafreundlich und zukunftsorientiert sollen sie sein. Bis zum 15. März können die Bürger abstimmen und eigene Vorschläge einbringen.
Mit Ideen wie einer Seilbahn oder dem Versuch, die Dörfer zu einer Stadt zusammenwachsen zu lassen, konnten aber nicht alle Bürger etwas anfangen. „Ich weiß nicht, wie das in der Umsetzung funktionieren soll“, sagte ein Anwohner: „Die Idee, die Dörfer zusammenwachsen zu lassen, finde ich gut. Aber allein wegen der ganzen Flächen, die die Landwirte noch in Besitz haben, halte ich das für schwierig. Und wer soll hier mit einer Seilbahn fahren?“
Nur wenige Bewohner wollen wieder hierher zurück
Nur wenige der ehemaligen Anwohner wollten zurück in die alten Dörfer ziehen, sagte Umsiedlungsbeauftragte Margarete Kranz der Rundschau. Sie unterstützt Betroffene bei der Umsiedlung oder auch beim Rückkauf. „Viele der Menschen, die bereits an RWE verkauft haben und in den neuen Orten wohnen, wollen endlich mit der Sache abschließen und zur Ruhe kommen.“ Nur 67 Häuser in den betroffenen Ortslagen seien nicht im Besitz des Energiekonzerns. Für die, die ihr altes Haus zurückkaufen wollten, müssten jetzt individuelle Lösungen gefunden werden. Kranz: „Aber genauso wie vorher wird es definitiv nicht werden. Dessen ist sich denke ich auch jeder bewusst.“
Für David Dresen und seine Familie steht schon länger fest, dass sie bleiben. Ihren kleinen Hof in Kuckum zu verkaufen und umzusiedeln sei schnell vom Tisch gewesen, als sie das Angebot von RWE genauer betrachtet hätten, sagte der 31-Jährige. „Als die Umsiedlung 2016 angefangen hat, mussten wir auch in Gespräche mit RWE treten. Damals dachten wir noch, wir hätten gar keine andere Wahl als umzusiedeln. „In den Verhandlungen mit RWE hat sich herausgestellt, dass wir zwar umsiedeln können, wir aber dieses bäuerliche Leben am neuen Ort nicht mehr aufbauen könnten.“ Für ihre Hühner und Pferde sei auf den neuen Grundstücken kein Platz gewesen. Bereits 2017 habe seine Familie nicht mehr umsiedeln wollen, ausschlaggebend seien dann aber die Proteste im Hambacher Forst für die Entscheidung gewesen: „Wir haben dann gedacht: ’Ach krass, wenn man diesen Wald retten kann und sich so viele Menschen dafür interessieren, dann ist es doch bestimmt auch möglich, diese Dörfer zu retten.“
Noch immer ist der Kampf nicht vorbei
Doch obwohl Kuckum bleibt, sei der Kampf nicht vorbei: „Auf der einen Seite sind wir natürlich glücklich, dass wir bleiben können. Gleichzeitig sagen wir als Familie, es geht ja noch acht Jahre weiter. Bis 2030 wird dieser Tagebau weiter auf uns zukommen. Er wird noch weitere Windräder zerstören, es soll noch eine Landstraße zerstört werden. Der kommt bis auf 400 Meter an unser Dorf herankommen.“ Schon lange gehe es ihm nicht mehr nur darum, seine Heimat zu schützen: „Wenn man die Realität sieht, sieht man: Die Klimakrise hört auch in Kuckum nicht auf. Mittlerweile schlägt mein halbes Herz für das Engagement gegen den Klimawandel. Ich bin ja nicht nur ein Bewohner Kuckums, sondern auch dieser Erde. Und ich finde, deshalb haben wir Anwohner dieses Tagebaus auch eine Verantwortung, Garzweiler so klein wie möglich zu halten.“
Dass sein Heimatdorf langsam „weg gestorben“ sei, sei besonders schmerzhaft gewesen, sagte Dresen. Ein Lichtblick seien die zahlreichen Geflüchteten aus der Ukraine, die Kuckum nun wieder belebten. Von der Neugestaltung erhofften er und seine Dörfergemeinschaft sich eine naturnahe, moderne Gemeinschaft und den Erhalt der historischen Gebäude.
Doch seine Dörfergemeinschaft ist nicht die einzige, die um die Neugestaltung der Orte kämpft. Barbara Ziemann-Oberherr von der Gemeinschaft „Zukunftsdörfer“ wünscht sich zwar ebenfalls eine zukunftsgerichtete Modernisierung der Dörfer. Doch über den Umgang mit den Aktivisten vor Ort gehen die Meinungen auseinander. Dresen spricht sich dafür aus, dass die Aktivisten – falls sie sich konstruktiv an der Dorfgemeinschaft beteiligten – bleiben dürfen. Ziemann-Oberherr dagegen sagt: „Die Aktivisten haben noch kein einziges Mal mit mir gesprochen. Die haben hier überall die Häuser besprüht. Deshalb ist auch so viel Polizei vor Ort, ich habe einen offenen Brief verfasst.“
Sie findet, dass sich vor allem die Menschen in den Dörfern für den Klimaschutz eingesetzt hätten: „Wir haben gekämpft. Wir haben durchgehalten. Wir haben nicht verkauft. Und all die Menschen, die nicht verkauft haben, haben damit einen riesengroßen Dienst für den Klimaschutz geleistet.“ Pressesprecher Andreas Müller von der Polizei Aachen bestätigte auf Anfrage: „Es gab Beschwerden von Anwohnern wegen Vandalismus, Graffiti und Sachbeschädigung. Solange das Camp der Aktivisten noch dort angemeldet ist, sind wir als Polizei vor Ort.“
Und die Aktivisten? „Eigentlich wollten wir hierbleiben“, sagt Dirk, der Aktivist, der noch am vergangenen Montag vom Amtsgericht Erkelenz wegen Hausfriedensbruchs im Zuge der Räumung Lützeraths freigesprochen wurde: „Aber wir wissen nicht, ob hier noch Platz für uns ist.“
Land der Alleen, Goldene Äcker oder Neustadt am See
Ein Naherholungsgebiet mit ausgebauten Alleen, Radwegen und einem Grünzug rund um den zukünftigen Baggersee Garzweiler sieht die Vision „Land der Alleen“ vor. Zudem schlägt das Planungsbüro den Bau einer Seilbahn mit einer Aussichtsplattform vor. Die alte Siedlungsstruktur bleibt erhalten.
„Landwirtschaft 2.0“ ist das zentrale Thema der Vision „Goldene Äcker“. Am Tagebaurand könnten Landwirtschaftsflächen zur Forschung genutzt werden. Eine Agrarbahn – eine Bahn, die die regional angebauten landwirtschaftlichen Erzeugnisse transportiert – sei ebenfalls denkbar.
Aus fünf Orten könnte eine Stadt werden mit der Vision „Neustadt am See“. In Richtung Seeufer sollen Agriforst-Flächen entstehen. Das bedeutet, Acker- und Waldflächen sowie Viehhaltung finde kombiniert auf einer Fläche statt. Außerdem soll der öffentliche Personennahverkehr ausgebaut werden. (enp)