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Schwere VorwürfeMehrere hundert Menschen laufen im Schweigemarsch

Lesezeit 4 Minuten

Mehr als 60 Messdiener kamen zum „Solidaritätsgottesdienst“ für den Geistlichen.

Erftstadt – Erst ganz am Ende kam Unruhe auf. Als Kreisdechant Achim Brennecke am Sonntagmorgen in der Pfarrkirche St. Barbara in Erftstadt-Liblar ans Mikrofon trat, um zu verkünden, dass auch der Erzbischof den entpflichteten Pfarrer Winfried Jansen und die Pfarrgemeinde in seine Gebete einschließe gab es Buh-Rufe. „Heuchelei“ brüllten die einen, „Wir wollen Pfarrer Jansen zurück“ die anderen. Vorangegangen war ein ruhiger „Solidaritätsgottesdienst“ für den Geistlichen, der in der vergangenen Woche wegen des Vorwurfs entpflichtet worden war, er habe in den 1970er-Jahren „sexuelle Grenzverletzungen“ an einem damals neun Jahre alten Mädchen begangen.

In Erftstadt ist die Unterstützung für Jansen trotz der Anschuldigungen ungebrochen. Laut Polizei waren 1200 Teilnehmer zu dem Gottesdienst gekommen. Mehrere Hundert hatten sich bereits am frühen Morgen zu einem Schweigemarsch im drei Kilometer entfernten Erftstädter Ortsteil Blessem formiert. Viele weitere stießen auf dem Weg zur Pfarrkirche hinzu. Einige führten Plakate mit sich, andere bekundeten ihre Solidarität mit Aufklebern. Manche gingen auch direkt ins Gotteshaus, die 320 Sitzplätze dort reichten bei Weitem nicht aus. Im Pfarrheim wurde eine Audio-Übertragung angeboten, doch auch dort war bald kein Durchkommen mehr. So harrten viele Gläubige trotz Regens auf dem Kirchenvorplatz aus.

Rekordverdächtig war auch die Zahl der Messdiener: Etwa 60 Mädchen und Jungen verrichteten den Dienst am Altar. Eigentlich hatte Winfried Jansen den Familiengottesdienst halten sollen, aber nach seiner Entpflichtung sprang Pfarrer Wilhelm Hösen ein. Der 77-Jährige ist seit einiger Zeit im Ruhestand, in Erftstadt engagiert er sich aber nach wie vor in der Krankenhausseelsorge. Bevor die gewohnte Liturgie begann, richtet er kurz das Wort an die Gläubigen. Das eindrucksvolle und vorbildliche Wirken Jansens als Seelsorger in Erftstadt über mehr als drei Jahrzehnte hinweg werde in dem Verfahrens seitens des Erzbistums überhaupt nicht gewürdigt. „Das ist auch mir unverständlich, das ruft Protest hervor“, sagte Hösen. Er wünsche sich eine „gerechtere, klügere, menschlichere Vorgehensweise.“ Für diese Äußerungen gab es viel Applaus.

„Uns geht es überhaupt nicht darum, das mutmaßliche Opfer zu diskreditieren“, stellte Dr. Christopher Hüllen, der Vorsitzende des Pfarregemeinderates klar. Die Frau habe ein Anrecht darauf, dass die Vorwürfe aufgeklärt würden. „Wir wenden uns aber gegen eine Vorverurteilung des Pfarrers“, so Hüllen.

Bereits in der vergangenen Woche hatte es für Winfried Jansen in Erftstadt viel Unterstützung gegeben. Auch in den sozialen Netzwerken, wo sich mehrere Unterstützer-Gruppen bildeten. Die größte hat mittlerweile über 1300 Mitglieder.

Entpflichtung: Gemeindemitglieder sprechen von Vorverurteilung

Wut und Unverständnis

Trotz eisiger Kälte und Graupelschauer harrten viele Gläubige während des eineinhalbstündigen Gottesdienstes vor St. Barbara aus, um Pfarrer Jansen zu unterstützen. In kleinen Gruppen standen die Menschen zusammen und unterhielten sich über die Ereignisse seit der Entpflichtung.Viele äußerten Wut und Unverständnis über das Verhalten des Erzbistums gegenüber dem beliebten Erftstädter Pfarrer. Immer wieder waren Begriffe wie „Hexenjagd“, „Inquisition“ und „Bauernopfer“ zu hören. Dabei gehe es keineswegs darum, dass mutmaßliche Opfer zu kritisieren, sondern das Vorgehen der Amtskirche, hieß es oft. Von einen Tag auf den anderen sei Pfarrer Jansen aus Liblar „entfernt“ worden, ohne die Möglichkeit zu haben, sich von seiner Gemeinde zu verabschieden oder Stellung zu den Vorwürfen zu nehmen.

„Wir sind entsetzt über die Vorverurteilung, das unverhältnismäßige Vorgehen und die Härte der Kirche in diesem Fall“, sagen Dr. Anne Grunert, Stephanie Schwede und Ingrid Stoll aus Blessem und Liblar. „Die Gemeinde, viele Jugendliche und Kommunionkinder wurden einfach sich selbst überlassen. Das ist gerade für Kinder eine Form der Traumatisierung“, so Dr. Anne Grunert weiter. Die drei Frauen sagten, sie seien sehr enttäuscht von Kardinal Woelki.

Auch bei Alfred Dahlmann kam Woelki nicht gut weg. Die innerhalb der Messe überbrachten „Herzlichen Grüße“, die Kreisdechant Achim Brennecke überbrachte, kamen bei ihnen nicht gut an. „Es fällt uns schwer, so etwas zu glauben“, erklärt er.

„Wir wollen unseren Pfarrer wiederhaben“, lautet die klare Forderung der Gemeinde, so etwa von Gabi Kirsch und Sonja Weeser. „Solidarität“ ist auf ihren Jacken zu lesen, sie verkaufen violette Armbänder und Autoaufkleber an alle, die ihre Unterstützung mit dem Geistlichen zeigen möchten. „Er hat uns das Gefühl von Christlichkeit und Menschlichkeit wiedergegeben. Etwas, das die katholische Amtskirche nicht mehr schafft“, sagte Sonja Weeser.

Als ehemaliger Messdiener bei Pfarrer Jansen ist auch der heute 38 Jahre alte Michael Beckers aus Blessem verärgert. Das Verhalten des Erzbistums sei „unfair“. Auch er spricht, wie so viele, von einer Vorverurteilung. Er hoffe, dass die Wahrheit auch unter den schwierigen Umständen, der Unsicherheit und der grassierenden Gerüchte ihren Weg finden werde.

Viele betonten, dass sie Jansen in den vergangenen Jahren als Seelsorger und Menschen schätzen gelernt haben und sie eine möglichst schnelle Aufklärung der Vorwürfe erhoffen. Obwohl sie nicht wüssten, wo der Pfarrer sich aufhalte, wollten sie ihm mit der Unterstützungsaktion Kraft in der schwierigen Situation geben.