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Marianne RobertzDie Vergangenheit ist wie ein Film

Lesezeit 3 Minuten

Auf dem Panzer,  der vor dem Aachener Tor zurückgelassen wurde,  kehrte Marianne Robertz  zurück.  

Bergheim – Sitzend auf dem „Tiger“-Panzer, der nach Kriegsende lange Zeit vor dem Aachener Tor stand, war Marianne Robertz 1944 nach Bergheim zurückgekommen. Die 15-Jährige war vom aufgelösten Truppenstandort in Niederzier, wo sie in der Küche gearbeitet hatte, mit einer Freundin zu Fuß aufgebrochen. Auf der Niederzierer Hauptstraße kam ein Panzer mit dem defekten „Tiger“ im Schlepptau vorbei. „Den Weg schafft ihr nicht mehr vor Einbruch der Dunkelheit“, hatte der Fahrer des Deutschen Panzers vom Geschützturm heruntergerufen und sie aufgefordert, auf dem havarierten Panzer mitzufahren.

Vor dem Aachener Tor aber war die Reise zu Ende: Das Gespann war zu groß für die Durchfahrt. Der Soldat ließ das defekte Fahrzeug neben dem Tor stehen und fuhr mit seinem Panzer weiter. Robertz musste den restlichen Weg bis Quadrath-Ichendorf laufen.

„Die Vergangenheit, besonders die Kriegs- und Nachkriegsjahre habe ich wie einen Film im Kopf“, staunt die heute 83-Jährige über ihre erstaunlich klare Erinnerung. Ihr damals schon großes Interesse am politischen Weltgeschehen hat die bewegten Jugendjahre offenbar tief in ihr Gedächtnis eingegraben.

Marianne Robertz hatte sich trotz oft bedrohlicher Situationen weder versteckt noch einschüchtern lassen. Schon als 14-Jährige war sie, erst in Schleiden bei Aldenhoven, dann in Niederzier, zur Truppenverpflegung eingesetzt. „Wir mussten für die Frontsoldaten Brote schmieren“ erinnert sie sich. Der Tanzsaal der Gaststätte, die als Quartier diente, war zum Kartensaal des Generalstabs umfunktioniert worden. Beim verstohlenen Blick in den Saal stellte sie fest, dass eine für den Rückzug vorgesehene Straße zwischen Beißel- und Fischbachgrube inzwischen wegen des Tagebaus nicht mehr existierte. Der General hatte ihr daraufhin, statt ob der unerlaubten Schnüffelei zu schimpfen, einen Bleistift gegeben und sie die Karte korrigieren lassen.

Mut bewies Marianne Robertz auch beim Truppenbesuch durch Generalfeldmarschall Walter Model in Niederzier. Dieser hatte einen der angetretenen Soldaten wegen fehlender Kappe der „Wehrkraftzersetzung“ bezichtigt. „Ich habe einen Vogel gezeigt“. Zur Rechenschaft gezogen, habe sie dem Heeresführer gesagt: „Der Krieg ist verloren, das sagt keiner, weiß aber jeder. Sie nicht?“ Statt einer Rüge erhielt das Mädchen eine Einladung zum Essen, die sie wegen zu viel Arbeit jedoch ausschlug.

Angst vor dem Nachlassen des Gedächtnisses

Marianne Robertz hat vor vor knapp zwei Jahren begonnen, ihre Erinnerungen aufzuschreiben. Dutzende von Seiten einer großen Kladde, eng mit Bleistift beschrieben, sind inzwischen zusammengekommen, daneben liegen Fotos und Zeitdokumente. „Ich will, dass meine Enkel nachlesen können, wie es damals war“, sagt sie. Vielleicht will sie den kompletten Lebensbericht als Buch veröffentlichen.

Auch über die letzten Kriegsmonate in Quadrath-Ichendorf kann die Seniorin detailfreudig berichten. So begleitete sie ihren Onkel, der wie sie in der Rote-Kreuz-Straße wohnte, sonntags nach dem Hochamt ins Weinhaus Lürken. Kritische Kommentare über das Nazi-Regime hätten die Mitglieder der Ortspartei dort geflissentlich überhört. Zum Milch holen und um die Freundin im Wein- und Mostladen Commandeur auf der Köln-Aachener Straße zu treffen, ist Robertz in den letzten Kriegstagen durch Hunderte wartender amerikanischer Soldaten spaziert. Einer von ihnen, der sich nach einem Gespräch mit ihr kurzerhand im Elternhaus einquartierte, hatte zuvor aus der Feldküche gar frischen Kaffee besorgt.

„Angst habe ich bis heute nicht, nur vor dem Nachlassen des Gedächtnisses“ sagt die Chronistin. Die Geschichte nach dem Krieg, unter anderem als Sekretärin im Meldeamt und als Bibliothekarin, harren noch der Niederschrift.