AboAbonnieren

Kommentar zu WahlrechtsreformenAuch kleine Parteien gehören in Rhein-Erft zum politischen Spektrum

Ein Kommentar von
Lesezeit 3 Minuten
Ein Stimmzettel zur Europawahl liegt auf einem Tisch, daneben ein blauer Stift.

Die Qual der Wahl? Eher nicht. Viele Bürgerinnen und Bürger verhalfen kleinen Parteien und Gruppierungen zu beachtlichen Erfolgen bei der Europawahl.

Als Ziel wird stets die Verkleinerung von Parlamenten ausgerufen. Dies geht zumeist zu Lasten kleiner Parteien. Freie Wähler und Linke kritisieren das zurecht.

Die Europawahl im Mai hat es anschaulich gezeigt: 15 Parteien beziehungsweise Gruppierungen haben mehr als 1000 Stimmen auf sich vereinen können – bei rund 231.000 abgegebenen Stimmen. Darunter die Tierschutzpartei mit knapp 4000, Volt mit gut 6000 und die „Familie“ mit rund 1400 Stimmen. Auf dem Wahlzettel haben zudem rund 1700 Wählerinnen und Wähler bei der PdF und knapp 1500 bei DAVA ihr Kreuz gemacht.

Wobei PdF nichts mit einem gängigen Dateiformat zu tun hat, sondern sich die Partei des Fortschritts hinter dieser Abkürzung verbirgt; und DAVA für Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch steht – sie gilt als Erdoğan-nah.

Nach gutem Abschneiden sind Polit-Neulinge auf den Geschmack gekommen

So manche dieser kleinen Parteien und Gruppierungen hat den Etablierten sicher Stimmen abgenommen, worüber CDU, SPD, Grüne, FDP und andere kaum erfreut gewesen sein dürften. Aber so ist es nun einmal mit dem politischen Wettstreit, der auch über das Angebot entschieden wird. Das war bei der Europawahl natürlich üppiger als bei Bundestags- und Kommunalwahlen, aber vermutlich wird der eine oder andere Polit-Neuling aufgrund seines guten Abschneidens auf den Geschmack nach Mehr gekommen sein.

So will sich beispielsweise DAVA bundesweit aufstellen. Den entgegengesetzten Weg geht das BSW: Als Abspaltung der Linken sitzen Sahra Wagenknecht und neun weitere Mitglieder bereits im Bundestag – und wollen bei den Landtagswahlen in den ostdeutschen Bundesländern in diesem Jahr und bei den Wahlen 2025 mindestens so gute Ergebnisse einfahren wie bei der Europawahl.

Auf dem Foto ist David held von den Freien Wählern zu sehen.

David Held von den Freien Wählern bricht eine Lanze für die kleinen Parteien.

Aus dem Stand heraus erlangte das Bündnis bundesweit 6,2 , im Rhein-Erft-Kreis 4,5 Prozent – und dies mit einem Minimum an Wahlkampf und Strukturen. Die befinden sich erst jetzt im Aufbau.

Fakt ist: Das politische Spektrum ist vielschichtiger geworden. Dies wird sich auch künftig im Bundestag weiter abbilden.   Das Bundesverfassungsgericht hat Teile einer geplanten Wahlrechtsänderung einkassiert, die von der Ampel in Berlin auf den Weg gebracht worden war. So ist die Einführung einer reinen Fünf-Prozent-Sperrklausel im Wahlrecht verfassungswidrig. Es bleibt dabei: Einer Partei reichen drei errungene Direktmandate, um in den Bundestag einzuziehen.

Der durchsichtige Versuch, kleine Parteien, insbesondere auch die Linke, aus dem Parlament entsorgen zu können, ist gescheitert
Hans Decruppe

Aus Sicht des langjährigen Bergheimer Linken-Politikers Hans Decruppe ist der „durchsichtige Versuch“ von SPD, FDP und Grünen gescheitert, „kleine Parteien, insbesondere auch die Linke, aus dem Parlament entsorgen zu können“. Er begrüßt daher das Urteil der Verfassungsrichter. Der Jurist prüft eigenen Angaben zufolge als Vorsitzender der Fraktion Die Linke/BSW/+ im Kreistag Rhein-Erft derzeit eine Organklage gegen die erfolgte Änderung des Kommunalwahlgesetzes NRW vor dem Verfassungsgerichtshof NRW in Münster.

Diese Änderung hat zur Folge, dass bei Zuteilung der Sitze in den Räten und Kreistagen die Stimmen für große Parteien mehr zählen als die Stimmen für kleinere Parteien oder Wählergruppen. Decruppe sieht darin eine „ krasse Verletzung der verfassungsrechtlichen Wahlgrundsätze der Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit der Parteien und Wahlbewerber“.

Ähnlich äußert sich David Held von den Freien Wählern. Er beklagt eine „unnötige Benachteiligung“ von Wählergemeinschaften und kleinen Parteien: „Gerade wir bringen Sachverstand ohne Ideologie in die Diskussion und Beratungen ein.“

Decruppe und Held haben recht. Bloß: Wer hört sie, die Kleinen?