Nach Ansicht des Juristen Hans Decruppe ist die Kerpener Politik im Zusammenhang mit der „Rahmenvereinbarung“ bewusst getäuscht worden.
Was nach dem Tagebau kommtJurist hält Vertrag zwischen Stadt Kerpen und RWE für nichtig
Der Titel des Dokuments klingt nicht nach politischem Sprengstoff. „Rahmenvereinbarung für eine nachhaltige Zusammenarbeit zwischen der Stadt Kerpen und der RWE Power AG“ steht auf der ersten Seite. Doch die Diskussionen, die das bisher nichtöffentliche Dokument ausgelöst hat, sind groß. Rechtsanwalt Hans Decruppe kritisiert die Vereinbarung nun aus juristischer Sicht. Und im Hintergrund gewinnt der Konflikt zwischen Stadtverwaltung und den Kerpener Grünen zunehmend an Schärfe.
Rechtsanwalt Decruppe bezieht sich in seiner Bewertung auf die Aussagen der Stadtverwaltung Kerpen und des CDU-Vorsitzenden Klaus Ripp. „Die Behauptungen sind falsch und dürfen nicht unwidersprochen bleiben“, sagt Decruppe, der neben seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt Fraktionsvorsitzender der Linkspartei im Kreistag ist. Decruppe ist der Meinung: Wenn der Rat 2017 in einer nichtöffentlichen Sitzung einen Beschluss gefasst habe, sei er unter kommunalverfassungsrechtlichen Gesichtspunkten unwirksam.
Auf der Tagesordnung tauchte die Rahmenvereinbarung nicht auf
Weder am 7. noch am 14. November 2017 tauche die Rahmenvereinbarung nämlich auf der Tagesordnung auf. Dort stehe nur: Kooperation mit Innogy zur Weiterentwicklung der Strom- und Gasnetzgesellschaften inklusive etwaiger Ergänzungsvorlagen. Die Vereinbarung habe die Stadt aber mit einer anderen juristischen Person abgeschlossen — nämlich mit der RWE Power AG.
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Decruppe sieht hier den Rechtsgrundsatz „Bestimmtheit der Tagesordnung“ verletzt. Tagesordnungspunkte müssten so präzise bezeichnet werden, dass jeder Beratungsteilnehmer erkennen könne, worüber beraten und was beschlossen werden müsse, erläutert der Rechtsanwalt.
„Stattdessen wurde die Rahmenvereinbarung offensichtlich — folgt man den Ausführungen von Klaus Ripp — den Ratsmitgliedern als eine von 40 Gründungsunterlagen der Stadtwerke verkauft“, sagt Decruppe. Er vermutet: Sie seien „hinter die Fichte geführt“ worden und „gezielt politisch getäuscht“. „Denn die Rahmenvereinbarung mit RWE Power ist keine Gründungsunterlage für die Stadtwerke.“ Es gebe keinen juristischen Zusammenhang zwischen der Vereinbarung und dem Vertragsabschluss mit Innogy, der eine Qualifizierung als Gründungsunterlage begründen könne.
Das führt für den Juristen zu einem weiteren Punkt: Das Dokument enthalte keine Inhalte, die schützenswert oder geheimhaltungsbedürftig seien. Die Vereinbarung hätte also im öffentlichen Teil der Ratssitzung auftauchen sollen. „Wird der Grundsatz Öffentlichkeit in einer Ratssitzung verletzt, ist der entsprechende Beschluss nichtig. So ist es hier mit der Rahmenvereinbarung“, erläutert Decruppe.
Die Kerpener Grünen stören sich vor allem an den Inhalten des Dokuments. RWE sichert in diesem unter anderem „Nachbarschaftshilfe“ und Energieprojekte zu. Bisher umgesetzt sei nur das Stillhalteabkommen gegenüber der Entwicklung des Tagebaus, sagen Peter Abels, Vorsitzender der Grünen-Ratsfraktion, und Annika Effertz, Vorsitzende des Stadtverbandes von Bündnis 90/Die Grünen.
„Die im Vertrag avisierten Projekte als Basis des Strukturwandels wurden sämtlich nicht vorangetrieben.“ Das gelte etwa für die bis heute nicht existierende Energieallee entlang der A 4 bei Buir oder die Vernetzung des Hambacher Forstes mit der Steinheide. Die Stadt müsse die Verantwortung für Klimaschäden im Stadtgebiet benennen — und eine Begrenzung der Schäden bei RWE einfordern.
Die Vereinbarung beschäftigt die Grünen mittlerweile auch auf Europaebene. „Der Fall ist meiner Meinung nach sehr krass und ungemütlich nah an Korruption“, sagt der Grünen-Europaabgeordnete Daniel Freund, der sich mit Korruption und Transparenz in der Politik beschäftigt.
Bürgermeister Dieter Spürck (CDU) weist vor allem einen Vorwurf der Grünen zurück: dass er sich nie für Manheim oder den Hambacher Forst eingesetzt habe. „Bei der damaligen Räumung des Hambacher Forstes haben sowohl der Landrat des Kreises Düren als auch ich gegenüber dem Land Nordrhein-Westfalen unsere Bedenken gegen die Begründung für die Räumung geäußert.“
Er vermutet: Die Grünen wollten davon ablenken, dass sie 2016 als Teil der Landesregierung die Entscheidung mitgetragen hätten, Manheim abzubaggern. „Heute scheint man davon nichts mehr wissen zu wollen und wirft stattdessen Nebelkerzen, indem ein angebliches, heimliches Stillhalteabkommen präsentiert wird.“ Der Bürgermeister verweist auch darauf, dass die Grünen 2017 die Nichtöffentlichkeit der Rahmenvereinbarung nicht beanstandet hätten. „Damit wäre es auch ein ‚Geheimpapier‘ der Grünen'“, sagt der CDU-Politiker.
Verhältnis zwischen CDU und Grünen seit Jahren angespannt
Zwischen der Kerpener CDU und den Grünen gibt es schon lange Spannungen. Beide Fraktionen wollten nach der Kommunalwahl 2020 ein Bündnis eingehen. Doch wegen unterschiedlicher Positionen, etwa beim Thema Manheimer Bucht, verschlechterte sich das Verhältnis zwischen den Fraktionen immer weiter.
Am Wochenende hat Spürck gegen die Grünen und den WDR, der zunächst über den Vertrag zwischen der Stadt Kerpen und RWE berichtet hatte, nachgelegt. Die Partei solle damit aufhören, „die Menschen für dumm zu verkaufen“. Ihre Propagandamaschine funktioniere nicht. Da die Grünen die Leitentscheidung 2017 mit beschlossen hätten, müsste es ihnen selbst peinlich sein, „mit heruntergelassener Hose bei der RWE im Bett erwischt zu werden“. Diesen Vorwurf hatte die Partei Spürck gemacht.
Der Bürgermeister appelliert an die Grünen, RWE nicht mit einer „terroristischen Vereinigung“ zu verwechseln. Mehrere Jahrzehnte lang habe der Konzern mit seiner Belegschaft für Energiesicherheit in Deutschland gesorgt und damit „zu unserem Wohlstand und zu sicheren Arbeitsplätzen“ beigetragen.
Spürck erneuerte zudem seine Kritik an der „nachgewiesenermaßen einseitigen Tendenzberichterstattung des gebührenpflichtigen WDR“. Der Sender habe die journalistische Sorgfaltspflicht verletzt und sich von den Grünen missbrauchen lassen. Der Kreisgeschäftsführer der Grünen, Marcel Richard, hatte den CDU-Mann schon zuvor in die Nähe der AfD gerückt. Die Partei kritisiert regelmäßig den öffentlich-Rechtlichen Rundfunk. Spürck kontert: Die Bürger hätten ein Gespür dafür, wenn Fake News statt belegbare Fakten verbreitet würden.