Kerpen – Petra Hammesfahr ist eine der erfolgreichsten deutschen Autorinnen von Psychothrillern. Seit 43 Jahren lebt die heute 70-Jährige in Kerpen. Große Bekanntheit erlangte sie unter anderem mit ihren Romanen „Der Stille Herr Genardy“ und „Die Sünderin“. Letzterer ist inzwischen erfolgreich von einem US-Sender verfilmt worden und läuft als erste Staffel der Serie „The Sinner“ beim Streaming-Anbieter Netflix. Am Montag, 14. März, erschien Petra Hammesfahrs neuer Thriller „Stille Befreiung“ (432 Seiten, 16 Euro, ISBN-10: 3453292642). Anica Tischler sprach mit ihr darüber, wie sie auf die Ideen für ihre Bücher kommt und was ihr ihre Figuren bedeuten.
Sie haben sich schon häufiger mit Themen wie Missbrauch auseinandergesetzt. Auch in Ihrem neuen Roman „Stille Befreiung“ geht es um eine Form von Missbrauch. Womit haben wir es genau zu tun?
Petra Hammesfahr: Die Protagonistin und Ich-Erzählerin Sandra will sich aus ihrer katastrophalen Ehe mit Ronnie befreien. Als Physiotherapeutin kommt ihr das Angebot, in einem Privathaushalt eine schwerbehinderte junge Frau zu betreuen, gerade recht. Aber damit bringt sie sich in eine noch schlimmere Situation.
Eine junge Frau in der heutigen Zeit. Sie will ihr Leben genießen, alles so angenehm und leicht wie möglich haben. Da scheint Ronnie mit seinem Geschäft, seinem BMW und seiner Großzügigkeit genau der richtige Mann für sie. Sandra lässt sich von Äußerlichkeiten blenden. Unmittelbar nach der Hochzeit ist der Traum bereits aus.
Wie ist „Stille Befreiung“ entstanden?
Begonnen habe ich den Roman vor sieben oder acht Jahren, ihn sechs- oder siebenmal überarbeitet oder neugeschrieben. Der Aufbau war problematisch. Nur weil ich eine Geschichte komplett im Kopf habe, ist sie noch lange nicht erzählt.
Was war an der Struktur problematisch?
Die Spannungsbögen zu setzen. Ich hätte Sandras Geschichte auch einfach von A bis Z niederschreiben können. Dann wäre sie vielen Lesern zu Anfang vielleicht langweilig erschienen und zum Schluss hin wäre die Spannung unerträglich geworden. Mit dem Schluss anfangen funktionierte nicht. Ich musste mischen und es trotzdem als fortlaufende Handlung schildern.
Woher nehmen Sie Ihre Inspiration?
Das weiß ich nicht. Ich habe schon als kleines Kind Geschichten erzählt. Manchmal steht am Anfang nur ein Gedanke, manchmal schon ein kompletter Roman. Die Idee zu „Die Mutter“ kam abends beim Zähneputzen. „Die Sünderin“ entstand am Otto-Maigler-See, als ich einen Apfel für meinen Sohn schälte. Neben uns hörte eine Gruppe Rocker schrecklich laute Musik, obwohl das verboten war. Das hat mich so geärgert, dass ich dachte, was wäre eigentlich, wenn ich jetzt einen von denen absteche? Cora Bender war geboren, das ist auch die erste Szene im Roman und im Film.
Wie finden Sie es, dass Ihr Roman als Netflix-Serie adaptiert wurde?
Adaptiert wurde er fürs US-Kabelfernsehen. Dass Cora nun durch Netflix auf der ganzen Welt zu sehen ist, macht mich stolz. Ich bin auch sehr zufrieden mit der Umsetzung. Mit deutschen Verfilmungen meiner Bücher hatte ich meist Probleme, weil Figuren völlig anders dargestellt wurden als im Roman.
Ich gebe mir große Mühe, meine Protagonisten psychologisch fundiert und realistisch darzustellen. Warum können sie bei einer Verfilmung nicht bleiben, wie sie sind?
Wie ist es, wenn Sie ein fertiges Buch an die Leser geben?
Ich bin gespannt auf die Reaktionen. Interessant finde ich, wenn in meine Romane etwas hineininterpretiert wird, was ich so nicht geschrieben habe. Und toll finde ich, wenn Leser in meinen Figuren Menschen aus ihrem Bekanntenkreis oder sogar Familienmitglieder zu erkennen glauben. Das ist für mich der Beweis, dass ich lebensnah schreibe.
Verfolgen Sie mit Ihren Geschichten also auch eine Art Botschaft, wollen Sie den Lesern etwas sagen?
Ich will zum Mitdenken anregen. Ich liebe zum Beispiel unzuverlässige Ich-Erzähler, bei denen die Leser irgendwann denken: „Moment mal, das kann doch gar nicht sein.“ Diese Skepsis würde sich auch im Alltag gut machen, finde ich. Man sollte nicht alles glauben, was die Leute erzählen. Sandra in „Stille Befreiung“ ist aber nicht unzuverlässig. Sie ist leichtfertig und naiv, aber rückblickend auch selbstkritisch. Sie durchläuft im Roman einen Reifeprozess, der sie schließlich in die Lage versetzt, sich aus eigener Kraft aus einer Situation zu befreien, in der sie keine Hilfe erwarten kann. Damit ist nicht zu viel verraten. Dass die Ich-Erzählerin überlebt, ist ja wohl selbstverständlich.