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Partei wird angefeindetWas eine Kerpener Grüne beim Wahlkampf in Sachsen erlebt hat

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Auf dem Foto sind die Grünen-Politikerinnen Annika Effertz, Claudia Kurzweg und Evelyn Filipp zu sehen.

Wahlkämpferinnen unter sich (v.l.): Annika Effertz, Claudia Kurzweg und Evelyn Filipp

In Kerpen muss Annika Effertz keine Furcht vor Übergriffen oder Anfeindungen haben. Bei einem Besuch in Torgau erfuhr sie Unvorstellbares.

In Kerpen sind die Grünen eine feste Größe. Bei der letzten Kommunalwahl 2020 holten sie 17,8 Prozent der Stimmen, wurden drittstärkste Kraft im Stadtrat. Bei der Bundestagswahl im Jahr darauf waren es immerhin noch 13,8 Prozent.

Dass es Orte gibt, in denen Grüne im politischen Spektrum kaum wahrgenommen werden, ja sogar beschimpft, bedroht und angegriffen werden, das erfuhr die Kerpener Grünen-Vorsitzende Annika Effertz bei einem Besuch im sächsischen Torgau. Claudia Kurzweg hatte sie angeschrieben und gefragt, ob die Kerpenerin sie bei ihrem Wahlkampf könne. Die Sächsin ist als einzige Kandidatin für die Kommunalwahl in Torgau am 9. Juni für die Grünen aufgestellt.

Wahlkampfstände und Haustürwahlkampf ist alleine nicht möglich

In der 20.000 Einwohner zählenden Gemeinde haben die Grünen noch zwei weitere Mitglieder. In der letzten Legislatur hat es in Torgau keinen Kandidaten bei der Kommunalwahl gegeben. Annika Effertz hat erfahren: „Zwar gibt es viele Unterstützerinnen und Unterstützer, aber Parteimitglied zu werden, trauen sich dann doch viele nicht.“

Das liegt wohl daran, dass es besonders viele Menschen gibt, die der AfD nahestehen. „Nebenbei“ bestreitet Claudia Kurzweg noch den Wahlkampf für die Europakandidatin Anna Cavazzini – auch allein. Wahlkampfstände und Haustürwahlkampf sind alleine aus Sicherheitsgründen völlig unmöglich, hat die Kerpenerin erfahren.

Zusammen mit einer weiteren freiwilligen Helferin, Evelyn Filipp aus Berlin, haben Effertz und Kurzweg einen ganzen Tag lang abgerissene Plakate neu gehängt, einen Infostand in der Torgauer Innenstadt betreut und am Nachmittag Haustürwahlkampf in zwei Torgauer Wohngebieten gemacht. „Ohne Evelyn und Annika hätte ich hier in Torgau dieses Jahr gar keinen Wahlkampf machen können“, sagte Claudia Kurzweg. „Ich bin beiden sehr dankbar. Die Solidarität tut gut und macht mir Mut weiterzumachen.“

In Nachbarschaften unterwegs, die als „sicher“ gelten

„Ich wollte ein klares Zeichen setzen“, sagt Annika Effertz. „Wahlkampf darf nicht behindert werden, weil er ein fundamentaler Bestandteil der demokratischen Prozesse in unserer Gesellschaft ist. Die Behinderungen von Wahlkampf greifen in fundamentale Rechte unserer demokratischen Grundordnung ein. Meinungsfreiheit, Informationsfreiheit, Chancengleichheit, die demokratische Legitimation der Gewählten. Davon abgesehen ist jedes abgerissene oder beschmierte Plakat eine Straftat (Sachbeschädigung). Sowie jede Beleidigung oder jeder tätliche Angriff natürlich auch.“

Jetzt müssen wir nur noch regelmäßig Spucke und Urin wegwischen – besser als Scherben
Claudia Kurzweg

Sie selber habe keine schlechten Erfahrungen in Torgau gemacht. Im Gegenteil: Die meisten Menschen seien sehr wohlwollend, freundlich und zugewandt gewesen. „Jedoch waren wir auch in Nachbarschaften unterwegs, die als ,sicher‘ gelten.“

Dass es in Torgau auch anders zugehen kann, zeige sich darin, dass die Scheiben des Grünen Büros nach einem Anschlag mit Backsteinen mit Panzerglas ersetzt werden mussten. „Jetzt müssen wir nur noch regelmäßig Spucke und Urin wegwischen – besser als Scherben“, sagt Claudia Kurzweg.