Erftstadt-Liblar – Der Schritt durch die kleine Tür, die in das große dunkle Holztor eingelassen ist, befördert den Ankömmling in eine andere Welt. Das Ambiente in Schloss Gracht ist edel, der Empfang ausgesprochen freundlich. Im stilvoll gestalteten Schlosshof dreht eine Gruppe Sportler ihre Runden. Die Welt draußen scheint weit weg, sieht man vom Corona-Schnelltest ab, den jeder über sich ergehen lassen muss, der zu Besuch kommt. Aber selbst der Pfleger, der mit dem Tupfer den Nasengang malträtiert, tut es mit einem netten Plaudern.
14 Monate ist es her, dass die Privatklinik für Psychotherapie und Psychosomatik in das Schloss mitten in Liblar eingezogen ist. Seitdem sind dort 205 Patienten und Patientinnen behandelt worden. Seit der Corona-Krise stiegen die Zahlen, sagt Dr. Eva Kalbheim, Chefärztin und stellvertretende Klinikdirektorin: „Social distancing ist Gift für Menschen mit Depression.“ Sprich: Das, was den Körper vor dem Virus bewahren soll – der Rückzug in die eigenen vier Wände, das Einschränken der Kontakte –, ebnet auf der anderen Seite der seelischen Erkrankung den Weg.
Die Pandemie ist gewissermaßen das Mikroskop, unter dem viele Probleme noch deutlicher werden. Die Therapie sei eine Einladung zur Selbstfürsorge, sagt Eva Kalbheim, aber: „Wir denken die Entlassung mit.“ Der Patient fange in Wochen und vielleicht auch Monaten in der Klinik an, sich zu ändern. Doch die Welt draußen verändere sich nicht. Nicht in der Familie, nicht am Arbeitsplatz. Und zurzeit auch nicht, was die Kontaktbeschränkungen angehe. Bevor jemand aus der Klinik entlassen werde, gebe es deshalb die Belastungserprobung, Urlaub übers Wochenende sozusagen, um herauszufinden, ob der Patient schon gefestigt genug sei für den Alltag.
Natürlich sei Corona auch Thema in der Therapie. Ein Thema sei das Zurückgeworfensein auf sich selbst, die kleinen Fluchten ins Fitnessstudio oder ins Kino seien ja derzeit nicht möglich. Manche Menschen seien regelrecht traumatisiert, weil sie ihre Enkelkinder nicht sehen könnten. Andere litten an der Erkenntnis, dass sie beziehungsweise ihr Beruf nicht systemrelevant seien. Es fehlten nicht nur die Kontakte, sondern auch das kulturelle Leben, das „Futter für Seele und Geist“.
Die Klinik ist laut der Chefärztin gut auf die Corona-Regeln eingestellt, Personal und Patienten werden einmal in der Woche auf das Virus getestet, wer zum Dienst kommt, lässt die Temperatur messen und gibt Auskunft über seine Gesundheit. Die Sporttherapie findet weiter statt – im Freien oder mit zwei Metern Abstand auf der Matte.
Das geht alles, und doch merkt man den Unterschied. „Früher saßen beim Essen sechs oder acht Patienten an einem Tisch, da wurde auch viel gelacht“, sagt Kalbheim. Jetzt gebe es Zweiertische, und auch an denen halte man Abstand. „Wir haben in der Psychotherapie das Ritual des Handschlags abgeschafft,“ sagt die Ärztin. Das sei normalerweise der einzige Moment, in dem sie einen Patienten berühre. Die psychischen Folgen der Pandemie werde man erst in vier oder fünf Jahren absehen können. Eva Kalbheim ist sicher: „Das macht etwas mit uns. Mit jedem von uns.“