In-Extremo-Sänger aus Bergheim„Der Pfleger in der Intensivklinik hat mich gerettet“
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Bergheim – Dem römischen Philosophen Marcus Tullius Cicero zufolge ist „Dankbarkeit nicht nur die größte aller Tugenden, sondern auch die Mutter aller anderen“. Ob das Michael Robert Rhein nun zu einem tugendhaften Menschen macht, sei dahingestellt. Dankbarkeit jedenfalls empfinde er täglich, sagt der Frontmann der Rockband „In Extremo“. Sein Werdegang führte den Sänger, der nach einigen Jahren in Kerpen inzwischen in Quadrath-Ichendorf lebt und in diesem Jahr sein 40. Bühnenjubiläum feiert, von den Dorfsälen in der DDR über Mittelaltermärkte bis auf die großen Festivals in aller Welt.
Ein Höhepunkte war sicherlich der Auftritt beim „Przystanek Woodstock“ – was so viel wie „Haltestelle Woodstock“ bedeutet – Anfang August 2012. Dort stellten mehrere 100.000 Menschen das größte Publikum dar, vor dem In Extremo bis heute auftrat. Dazu kommen unter anderem Touren durch Südamerika, mit einem Gastspiel beim berühmten „Rock in Rio“-Festival. Doch es gab auch andere, weniger glanzvolle Momente.
Unglück während eines Pearl-Jam-Konzerts
Auf dem dänischen „Roskilde Festival“ ereignete sich während der Show der US-Rocker „Pearl Jam“ vor der Bühne ein Unglück, bei dem neun Menschen ihr Leben verloren. Die Leitung des Festivals bestand auf einer Fortsetzung der Veranstaltung. In Extremo sollten trotz des Unfalls ihren Auftritt absolvieren. „Ich kann jetzt nicht spielen“, erinnert sich Rhein an seine erste Reaktion. „Ich war völlig in Trance.“ An das Konzert hat der Frontmann keine Erinnerung. „Aus heutiger Sicht muss man aber sagen, dass die Veranstalter richtig gehandelt haben. So wurde eine Panik vermieden. Damals konnte ich das nicht einsehen“, resümiert Rhein.
Ebenso prägend war ein Unfall beim Feuerspucken auf der Bühne während einer Show 1998 in Mannheim. „Der Pfleger in der Intensivklinik hat mich mit seiner großen Erfahrung gerettet“, berichtet Rhein. Bereits vier Wochen später stand der Sänger wieder auf der Bühne – und spuckte Feuer. „Wenn man nicht auf die Bühne geht, kann das nur durch den Tod entschuldigt werden“, erklärt der Künstler schulterzuckend.
Michael Robert Rhein hat zuerst Akkordeon gelernt
Erste musikalische Schritte unternahm der im thüringischen Dingelstädt geborene Sänger im Kindesalter am Akkordeon. Doch die fünf Mark für den Unterricht investierte Rhein lieber in Bockwurst und das Getränk „Vita Cola“ – sehr zum Missfallen seiner Eltern. Rheins Begeisterung für die Rockmusik wurde durch ein Konzert der „Klaus Renft Combo“ geweckt, einer der bekanntesten Rockbands der DDR. Deren systemkritische Texte führten zu zeitweiligen Auftrittsverboten.
Ein Schicksal, das in der DDR vielen Gruppen zuteil wurde. Mit seiner ersten Band „Nr. 13“ – gegründet 1981 – war auch Rhein davon betroffen. „Wir haben uns dann irgendwelche Namen ausgedacht und die auf die Ankündigungsplakate geschrieben“, erinnert sich der Musiker. „Aber durch Mundpropaganda wussten die Leute dann schon, wer da wirklich spielt.“
Michael Robert Rhein auf der Bühne verhaftet
Ab 1985 zog es Rhein nach Ost-Berlin. Nach weiteren Auftrittsverboten hieß seine Band inzwischen „Einschlag“. Später erfolgte eine weitere Umbenennung in „Noah“. Die Besetzung blieb die gleiche. Selbst eine Verhaftung von der Bühne weg konnte Rhein nicht abschrecken. Er lebte weiterhin von der Musik – und diversen Nebenjobs.
Unter anderem kellnerte er in einer Kneipe. „Dort fragte mich so ein Mittelalter-Typ, ob ich trommeln könne“, erzählt Rhein. Im Anschluss an seine Kneipenschicht fand sich der Musiker auf dem Weg zu einem Mittelalter-Markt in Rostock wieder. Der „Typ“ war Mike Paulenz, besser bekannt als „Teufel“. Zusammen mit einem weiteren Musiker gründeten sie das Gaukler-Trio „Pullarius Furcillo“.
1995 In Extremo gegründet
Schließlich kehrte Paulenz 1995 zu seiner ursprünglichen Gruppe „Corvus Corax“ zurück. Rhein, der sich schon länger mit der Idee beschäftigte mittelalterliche Musik in ein modernes Rock-Gewand zu kleiden, gründete mit seinen alten Bandkollegen In Extremo. Der lateinische Begriff lässt mit „zu guter Letzte“ oder „in Vollendung“ übersetzen.
„Zu Beginn haben wir nur von der Hand in den Mund gelebt“, erinnert sich Rhein. „Wir sind zu den Konzerten mit der Bahn gefahren oder getrampt.“ Heute gehört Rhein mit seinen Kollegen von In Extremo zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Rock-Acts. Acht Top-Ten-Alben, vier davon auf Platz Eins, sowie über 1300 Live-Shows zeugen von der Popularität der Gruppe. Der Liebe wegen war der Sänger in den 1990er-Jahren in den Erftkreis gezogen, wo er sich mittlerweile fest verwurzelt sieht. Seine Anfänge aber hat Rhein nicht vergessen. Dankbarkeit ist mehr als nur ein Wort, sie ist die größte aller Tugenden.