Bergisch Gladbach – Kinobetreiber Helmut Brunotte hat "die Reißleine gezogen", wie er sagt, und das Lichtspieltheater, das vor 30 Jahre die Keimzelle seines Cineplex-Imperiums mit heute 50 Kinoleinwänden an neun Standorten war, aufgegeben. "Eigentliche wollten wir noch bis Ende April durchhalten, aber es ist fast unmöglich geworden, noch aktuelle Spitzenfilme in Analog-Technik zu bekommen."
Zu klein, veraltet und an der falschen Stelle
Nachrüsten auf zeitgemäße digitale Technik lässt sich das Gebäude nicht mehr: "Dann müssten wir eine Klimaanlage einbauen, und da würden wir bei dem rund hundert Jahre alten Bauwerk viel zu viel Energie verlieren", so Brunotte. "Außerdem ist es zu klein. Unsere neuen Häuser haben alle mehr als drei Säle."
Der Viktoria-Saal ist der ehemalige Veranstaltungssaal des Wirtshauses "Am (Im/Zum) Waatsack". Den Namen trug der Saal, in dem Max Bruch seine Vertonung von Schillers Ballade "Das Lied von der Glocke" uraufgeführt haben soll, nach der Viktoria-Straße (Odenthaler Straße), die sich an dieser Ecke mit der Wilhelm-Straße (heute Hauptstraße) traf. Die beiden Straßen waren benannt nach dem damaligen Kaiserpaar.
Fast alle Kinos haben in Wirtshaussälen begonnen, auch die Schloss-Passage ("Rheinischer Hof", später "Hotel Stadt Bensberg"). In Alt-Gladbach überlebten von den Lichtspielhäusern (etwa "Bambi" in Gronau, "Apollo" in Heidkamp) bis Mitte der 70er Jahre nur das Viktoria und das Kino im Bergischen Löwen, das zugleich Schauspielbühne war. Beim Neubau des Bürgerhauses wurde dort kein kommerzielles Kino mehr vorgesehen. (gf)
Ironischerweise ist es gerade der Erfolg der Bensberger Schlosspassage nach ihrer Erweiterung durch den über der Steinstraße schwebenden großen Saal, der dem Gladbacher Schwester-Kino wirtschaftlich den Hals ganz gebrochen hat. "In Bensberg sind wir ganz anders aufgestellt, da sieht das Publikum, was Kino heute kann. Das Viktoria ist da nicht mehr wettbewerbsfähig." Brunotte erinnert sich, dass bereits der letzte Sommer von einer schweren Durststrecke geprägt war. "Das Weihnachtsgeschäft ging jetzt nochmal, aber nur weil Bensberg und Leverkusen oft ausverkauft waren. Da ist dann noch was für das Viktoria abgefallen."
Eher skeptisch ist Brunotte, was einen Kino-Neubau im Stadtzentrum an anderer Stelle angeht. "Da muss man die Wirtschaftlichkeit genau prüfen", wägt er ab. Der ideale Standort wäre am Gladbacher S-Bahnhof, da habe er im Jahr 2000 einen entsprechenden Vorschlag gemacht, doch der habe im Stadtrat keine Mehrheit gefunden. "Stattdessen hat man sechs Meter Straßenbreite dem Projekt gegenüber zugeschlagen (der heutigen RheinBerg-Passage, Anm. d. Red.), so dass der Platz dort nicht mehr reicht."
Dass seit Jahren kein Cent mehr in die Modernisierung des Viktorias geflossen ist, hat aber noch andere Gründe als nur zu geringe Größe und falscher Standort ohne Parkplätze: Es ist die ungewisse Zukunft des gesamten Häuserensembles rund um das Kino-Center. Seit Jahren wogt hier ein Tauziehen um den Abriss des über 200 Jahre alten Baudenkmals und Wirtshauses "Am Waatsack", das angeblich die Neugestaltung des Verkehrsknotens Hauptstraße/Odenthaler Straße verhindert. Zwar: Der jetzt favorisierte Plan einer T-Kreuzung mit Linksabbiegerspur aus Richtung Hebborn nach Osten in die Hauptstraße ließe sich auch durch eine Versetzung der Parkmauer des Kulturhauses Zanders realisieren. Doch hinter den Kulissen ist die Marschrichtung klar: Der Waatsack soll weichen.
Während Hans Wolfgang Zanders seine Mauer auf keinen Fall preisgeben will, ist die Familie Knebel, Besitzer von Waatsack und Kino, bereit, an die Stadt zu verkaufen. Entweder soll das historische Fachwerkhaus nach Nordosten "verschoben" werden oder gleich ganz ins Freilichtmuseum Lindlar umziehen. Ein entsprechender "Asylantrag" wurde vom dortigen Museumschef bereits positiv beschieden. "Die nehmen den Waatsack, wenn nötig", hat Bürgermeister Lutz Urbach in Erfahrung gebracht. Das wäre allerdings nur Plan B, wenn die Versetzung an Ort und Stelle nicht funktioniert. Dafür fehlt der Stadt nämlich noch das dahinterliegende Grundstück.
Vermieterin Ursula Knebel, die dem Verkauf nur schweren Herzens zugestimmt hat, hofft jedenfalls sehr, dass der Waatsack in Gladbach bleiben kann.