Geschichte der Fluten in LeichlingenDie Wupper ließ sich schon früher nicht bändigen
Leichlingen – Für alle, die es miterleben und erleiden mussten, war das Hochwasser in der Nacht zum 15. Juli 2021 in Leichlingen ein hoffentlich einmaliges Ereignis. Und alle beten, dass so etwas nie wieder geschehen möge. Aber historisch betrachtet war die Wupperflut in der Stadtgeschichte keineswegs einmalig.
Vor rund hundert Jahren trat die Wupper fast regelmäßig über die Ufer, wurde Leichlingen immer wieder von der Außenwelt abgeschnitten, musste die Bürgerschaft mit überschwemmten Häusern im Dorfzentrum leben und war sie schon so daran gewöhnt, dass Stege übers Wasser gebaut wurden wie heutzutage bei „acqua alta“ auf dem Markusplatz in Venedig.
Anlässlich des Jahrestages der Flutkatastrophe von 2021 hat Stadtarchivar Marc Sievert einen Rückblick auf die Flut-Geschichte geworfen. Seit 1693 soll es Dutzende gegeben haben, recherchierte Heimatforscher Fritz Hinrichs in den 1950er-Jahren. Die Hochwasser der Jahre 1890, 1909 und 1925 haben sich besonders ins kollektive Gedächtnis der Stadt eingeprägt.
Im Vergleich zu damals lassen sich einerseits viele Gemeinsamkeiten mit der jüngsten Überschwemmung feststellen. Es war zum Beispiel topografisch immer derselbe Uferbereich von Nesselrath bis Büscherhöfen betroffen. 70 Jahre alte, von Hand gezeichnete Gefahrenkarten mit Überschwemmungsgebieten ähneln den heutigen Computer-Simulationen sehr. Und es gab stets eine solidarische Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung, wird berichtet.
Aber es gab andererseits auch Unterschiede. So hat Stadt und Einwohnern früher keine übergeordnete Behörde bei der Bewältigung der Schäden geholfen: „Die Flutopfer wurden früher oft allein gelassen“, erklärt Sievert. Und auch von Todesopfern, wie sie 2021 zu beklagen waren, ist zumindest nichts bekannt.
Zuletzt in den 1950er-Jahren gab es Überflutungen schweren Ausmaßes. Seitdem dachte man, dass die Gefahr durch Schutzmauern, Deiche und neue Brücken gebannt sei. Aber durch den Klimawandel begünstigte Starkregen und Gewitterzellen haben den Schrecken jetzt zurückgebracht – und Erinnerungen an damals werden wieder aktuell.
1890 war es vom 23. bis 25. November besonders schlimm, wurden von den Weyermann-Villen Am Hammer über die Fabriken am heutigen Schulzentrum bis zum alten Marktplatz 50 bis 60 Wohnhäuser überschwemmt und viele Wege zerstört. Die Feuerwehr rettete Menschen aus der Flut.
1909 stand der Ortskern erneut unter Wasser, wurde am 4. und 5. Februar das damalige, aus Fachwerkhäusern bestehende Bräuhausviertel an den heutigen Markt-Arkaden innerhalb kürzester Zeit komplett überschwemmt. Leichlingen soll 24 Stunden lang von der Außenwelt abgeschnitten gewesen sein.
1925 ergoss sich die Wupper gleich mehrfach in die Stadt, versanken Brücken und Straßen im Wasser, das einen Meter hoch in den Häusern stand, besonders in der Markt- und Neukirchener Straße bis nach Büscherhöfen. Erst danach wurden Pläne für Schutzanlagen, Mauern und Deiche umgesetzt. Die 1926 nach nur sechsmonatiger Bauzeit errichtete Bogenbrücke wurde absichtlich ohne Mittelpfeiler konstruiert, damit sich an ihr kein Wasser und Treibgut mehr stauen konnte. 1927 bis 1929 entstanden Befestigungsmauern an den Ufern der Innenstadt. Eine Kommission überwachte kontinuierlich die Schutzeinrichtungen.
1936 standen Brückenstraße und Brückenplatz trotzdem wieder unter Wasser, liefen Keller voll. Die Gefahr war trotz allem nicht gebannt. Die deutschlandweiten schweren Unwetter 1946 überstand Leichlingen aber glimpflich, während Burg an der Wupper dabei absoff.
1951 war es der Weltersbach, der verheerend anschwoll, für eine Sturzflut vom Pilgerheim bis in den Ortskern sorgte und – ähnlich wie 2018 – Hasensprung und Büscherhöfen überspülte.
1957 standen bei schweren Regenfällen Haasenmühle, Nesselrath, Fähr und Wipperaue, Leysiefen, Kradenpuhl, Unterberg, Balken und Diepental unter Wasser, mussten Bewohner mit Schlauchbooten gerettet werden. In Weltersbachtal und Büscherhöfen entstanden schwere Schäden.
Jede einzelne Akte muss in die Hand genommen werden
Stadtarchivar Marc Sievert hat den historischen Rückblick auf Hochwasser-Ereignisse in Leichlingen zusammenstellen können, obwohl 90 Prozent des Stadtarchivs bei der Flut vor einem Jahr untergegangen sind. Dabei halfen ihm erhalten gebliebene Publikationen. Auch bei den Kollegen im Stadtarchiv Leverkusen wurde er in alten Unterlagen des damaligen Rhein-Wupper-Kreises fündig.
Die Originalakten der Verwaltung zu den Hochwasser-Jahren hingegen sind im Keller des Rathauses im Wupperschlamm abgetaucht. Das Gedächtnis der Stadt lagerte dort im Magazin, das überschwemmt worden ist. Was von einem Helferteam aus Spezialisten und Freiwilligen aus dem Wasser geborgen und bei mindestens minus 20 Grad eingefroren werden konnte, um die Schimmelbildung zu stoppen, befindet sich wie berichtet auf 121 Paletten in einem Kühlhaus in Troisdorf und wartet auf die fachmännische Trocknung, Sichtung und Restaurierung.
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Die Rettung wird auf fast zehn Millionen Euro geschätzt und ist der finanziell teuerste Posten des Leichlinger Wiederaufbauplans. Das Großprojekt, für das man auf Erfahrungen aus der Bergung des eingestürzten Kölner Stadtarchivs zurückgreifen kann, soll Mitte 2023 beginnen und es kann nach heutiger Schätzung leicht bis 2028 oder noch länger dauern. „Wir werden nicht umhin kommen, jede einzelne Akte in die Hand zu nehmen und zu bewerten, ob sie wiederhergestellt werden soll“, sagt Marc Sievert. Für diese Arbeit wird noch ein Gebäude gesucht und auch, ob man dafür genügend Restauratoren findet, ist noch offen. Die Gelegenheit soll natürlich auch zur Digitalisierung der Fundstücke genutzt werden.
Zehn Prozent des Archivmaterials, das nicht oder nur leicht beschädigt war und getrocknet werden konnte, lagert mittlerweile in einem „Asylarchiv“ der Leverkusener Kollegen im früheren Landratsamt an der Haus-Vorster-Straße in Opladen. Dort kann es (nach Terminabsprache mit Sievert) in einem Lesesaal auch eingesehen werden.
Wo in Leichlingen das Archivmaterial zukünftig gelagert werden soll, ist offen. Bürgermeister Frank Steffes weiß nur: „In einem Keller werden wir das historische Archiv definitiv nie wieder unterbringen“.