Serie: Zanders im WandelLumpen und Kriege – Die Firma in den Jahren 1914 bis 1945
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In unserer vierteiligen Serie blicken wir zurück auf die 190-jährige Geschichte der insolventen Firma Zanders.
1915 wurde die Expansion der Papierfabrik in Bergisch Gladbach durch den Ersten Weltkrieg und den Tod des Firmenchefs Hans Zanders jäh gestoppt.
Bergisch Gladbach – Fast zwei Jahrhunderte hat die Firma Zanders die Geschichte von Bergisch Gladbach maßgeblich geprägt. Das Papierunternehmen hat Generationen von Arbeitern Beschäftigung gegeben, die sich als „Zandrianer“ empfanden. Am Anfang stehen 8.900 preußische Thaler, die Johann Wilhelm Zanders am 28. Juli 1829 einsetzte, um die Schnabelsmühle zu erwerben. Am Ende stehen leere Kassen nach der Insolvenz 2019 und eine ungewisse Zukunft. 190 Jahre Firmengeschichte. Eine Rückschau in vier Folgen, unter Mitarbeit von Magdalene Christ, Geschäftsführerin der Stiftung Zanders, Papiergeschichtliche Sammlung.
Die Expansion in der Bergisch Gladbacher Papierfabrik wird durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs und den Tod des Firmenchefs Hans Zanders 1915 jäh gestoppt. Wiederum springt mit Olga Zanders eine Frau in die Bresche.
Fehlende Arbeiter, fehlendes Material
Der Krieg wirkt sich unmittelbar auf das Werk aus. Beträgt die Belegschaft Ende 1914 noch 1.500 Mitarbeiter, sinkt sie durch Einberufungen zur Armee auf weniger als ein Drittel. „Die Frauen arbeiteten weiterhin hauptsächlich in der Lumpenkammer, sortierten und schnitten die Lumpen klein. Oder sie kontrollierten die fertigen Papierbögen auf Produktionsfehler im Sortiersaal“, erläutert Magdalene Christ, Archivarin der Papiergeschichtlichen Sammlung.
Anna Zanders aus Lerbach, Witwe von Richard Zanders, lässt Weihnachtspäckchen für die „Einberufenen“ packen, darin „Cigaretten“ und „ein Täfelchen Schokolade“, ein „Paar Hosenträger“ oder auch „ein Tannenzweig mit Licht.“
Für die Produktion fehlt es nicht nur an Arbeitskräften, sondern auch an Arbeitsmaterial, weil die Kriegswirtschaft Vorrang hat. Es mangelt an Leim, Filz und Harz und die Menge von monatlich erzeugten 1.906 Tonnen Papier und Karton sinkt bis 1917 auf monatlich 525 Tonnen. „Und statt Feinpapiere herzustellen, produziert man nun auch Filter für Atemschutzmasken“, so Magdalene Christ. Zur Arbeit in den Hallen wurden auch Kriegsgefangene verschiedener Nationalitäten eingesetzt. Am Ende des Ersten Weltkrieges sind 110 Firmenmitarbeiter gefallen. In den Lagerräumen an der Gohrsmühle stapeln sich nicht Papierbögen, sondern sind neuseeländische Soldaten einquartiert.
Aber das Elend ist noch nicht zu Ende: Die Inflation lässt den Arbeitern kaum etwas zum Leben. Und obwohl die Mitarbeiter täglich mit Bündeln von Geldscheinen, mit Millionen und Milliarden in der Tasche, den Kassenraum der Fabrik verlassen, reicht es kaum für Brot und Wohnung. So erhält laut Buchhaltung ein Fräulein Grosse im November 1923 eine Pensionszahlung von „8.983 Milliarden“ und wird dennoch nicht reich davon geworden sein. Der Tisch im Esszimmer der Fabrikantenfamilie ist da schon üppiger gedeckt. Ein Haushaltsbuch verrät, dass hier auch in den dürftigen Jahren zwischen 1918 und 1920 stets Vorspeise, Hauptgericht und Dessert auf dem Speiseplan standen. Hausmannskost mit viel Fleisch, aber nur mit gelegentlichen Ausflügen in das Reich der Delikatessen.
„Schicksalsgemeinschaft“ zwischen Stadt und Firma
Die allgemeine Wirtschafts- und Versorgungslage normalisiert sich erst 1924; das Inlandsgeschäft für Papier zieht wieder an. Zum 100-jährigen Firmenbestehen 1929 sind im Unternehmen 2.000 Mitarbeiter beschäftigt, ein Drittel der Stadtbevölkerung hängt in irgendeiner Weise von der Papierfabrik ab, ist in der Zeitung nachzulesen, und der Bürgermeister spricht von einer „Schicksalsgemeinschaft“ zwischen Stadt und Firma J.W. Zanders.
Die Produktpalette umfasst Bütten- und Briefpapier, Kunstdruck-, Chromo-, Bücher- und Aquarellpapier, Kartons, Passepartouts für Bilder, alle üblichen Feinpapierqualitäten – inklusive Papier für Notgeldscheine. Und schon seit 1906 verfügt die Firma Zanders mit der Künstlerin Alexe Altenkirch über eine anerkannte Werbegrafikerin, die Design und Werbung prägt und bis 1929 die Messeauftritte des Unternehmens gestaltet, so Magdalene Christ in „Lobpreis der Weiblichkeit“ über die Frauen bei Zanders. Trotz der Weltwirtschaftskrise, die Ende der 1920er Jahre einsetzt, wird auf dem Gelände an der Gohrsmühle 1931 ein neues Kraftwerk für die energieintensive Papierproduktion eingeweiht, für dessen Planung man den renommierten Architekten Dominikus Böhm gewinnen kann, der eigentlich für seine Kirchenbauten bekannt ist. Die Weltwirtschaftskrise macht auch vor dem Papiermarkt nicht halt. Vorübergehend muss die Fabrikation in der Dombach stillgelegt werden, wird in der Gohrsmühle Kurzarbeit angesetzt, müssen Arbeiter entlassen werden.
Die Weimarer Republik ist politisch zerrissen, die demokratischen Kräfte widerstehen den Angriffen der Nationalsozialisten so wenig wie zartes Feinpapier der Axt. Auch in der Arbeiterschaft bei Zanders finden die Nationalsozialisten Anhänger, die Firmenleitung arrangiert sich. Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs bestimmt die „Reichsstelle Papier“ das Geschehen in der Fabrik, wieder werden Arbeiter von den Maschinen abgezogen und einberufen. 1940 fehlen bereits 300 Männer. Die Firma produziert jetzt Landkartenpapier für die Wehrmacht, Kleiderkartenkarton, später Tarnpappen. Mit Karl Richard Zanders und Dr. Johann Wilhelm Zanders wird auch die Geschäftsleitung eingezogen, Karl Richard fällt 1942 in Russland. Mit zunehmenden Bombenangriffen auf Köln kommt es 1944 zu Kurzarbeit, weil die Gohrsmühle durch die zerstörten Verkehrswege von wichtigen Zufuhren wie Kohle abgeschnitten wird. Schließlich stehen alle Maschinen still. 1945 wird die Fabrik Ziel von Bombenangriffen, die Bahnanschlüsse und Strohhallen zerstörten. Als im April 1945 die Amerikaner in Bergisch Gladbach einmarschieren, kann die Sprengung des Kraftwerks mit Mühe verhindert werden, das nun die Stromversorgung der Stadt übernimmt.
Die Instandsetzung des Werks geht nur schleppend voran. Als erste produziert die Pappenfabrik bei Zanders wieder. Mit den Pappen werden provisorische Reparaturen an Häusern durchgeführt, Zwischenwände in Behelfswohnungen errichtet und leere Fensterhöhlen abgedichtet. Nach Kriegsende sind 106 Zandrianer gefallen, viele sind noch in Gefangenschaft oder werden vermisst.