Botanische GigantenHier stehen Gladbachs älteste, größte, schönste Bäume
Lesezeit 4 Minuten
Bergisch Gladbach – Im zarten Alter von wenigen Jahrzehnten sah sie mit an, wie das Rathaus gebaut wurde, das heute „Historisches Rathaus“ heißt. Es ersetzte den Gemüsegarten, in dem bis dato die Kohlköpfe von Maria Hilf gesprossen waren. Der Markt wurde im Laufe ihres Lebens von „Am Markt“ zum „Adolf-Hitler-Platz“ zum „Konrad-Adenauer-Platz“, der prachtvolle Mariensaal wurde gebaut und wieder abgerissen, ein neuer Bergischer Löwe entstand. Unter ihren weit verzweigten Ästen wurde gelacht und geweint, verhandelt und gebetet, sich verliebt und sich gestritten. Könnte sie sprechen, hätte die mächtige Rotbuche vor der Villa Zanders Geschichten aus 150 Jahren zu erzählen.
Wer durch die Innenstadt von Bergisch Gladbach eilt, sich im Auto durch die Straßen schiebt oder sich immer noch konzentriert im Kreisel verirrt, hat meist kein Auge für die grünen Giganten, die hier bereits wurzelten, als es noch gar keine Autos gab. Roswitha Wirtz kennt sie alle. Manchmal nimmt die „Stadtverführerin“ interessierte Bürger mit auf einen kleinen Rundgang, um die Perspektive zu ändern.
Platanen zugusten von „Sichtachsen“ gefällt
Auch die Bäume sind in der Strundestadt eng mit der Fabrikantenfamilie Zanders verbunden. Maria Zanders war es, die rund um die 1874 errichtete Villa einen weitläufigen Park anlegen ließ. „Es war eine riesige Fläche“, sagt Roswitha Wirtz. „Von der Gnadenkirche bis zur Gohrsmühle – mit Teich, Gewächshaus und Orangerie.“
Auf der anderen Seite der Villa Zanders steht eine Zeitgenossin der Rotbuche. Die Platane zeigt erst im oberen Teil ihres imposanten Stammes die typisch gefleckte Rinde. Weiter unten sieht man ihr ihr Alter an. Efeu versucht hartnäckig, mit ihr Freundschaft zu schließen. Früher einmal hatte die Platane viel Gesellschaft, und gemeinsam verdeckten sie die Sicht auf die Villa. „Dann war man der Meinung, man bräuchte architektonische Sichtachsen“, sagt Roswitha Wirtz mit innerem Augenrollen. Die Sichtachse ermöglicht heute, von der Villa aus – völlig ungestört von Bäumen – das Geschehen auf dem Kreisel zu beobachten.
Als Bergisch Gladbach noch eine grüne Stadt war
„Bis in die 1970er Jahre galt Gladbach übrigens weithin als grüne Stadt“, sagt Wirtz. Dort, wo auf dem Straßenschild „Maria-Zanders-Anlage“ steht, die Einheimischen aber nur als „Forumpark“ bekannt ist, dominiert eine Gruppe von fünf Kastanien das Bild. Unter ihrem Schatten fuhr jene Maria Zanders mit der Kutsche Richtung Herrenstrunden. Damals hatte Bergisch Gladbach weniger als 10.000 Einwohner. Heute sind es über 100.000. Sie brauchen Geschäfte, wollen Märkte und Kirmes, und sie wollen auch nicht mehr mit der Kutsche nach Herrenstrunden.
Die Kastanien scheinen den Gang der Welt gelassen an sich vorbeiziehen zu lassen. Wie seit 150 Jahren ist auch in diesem Frühjahr ihr einziges Ansinnen, mit einem sattfrischen Grün das Kohlendioxid aus der Luft im komplexen Prozess der Photosynthese in Zucker für das eigene Wachstum umzuwandeln. Bei vier von ihnen funktioniert das sehr erfolgreich.
„150 Jahre sind für einen Baum nichts“
Nummer fünf jedoch kränkelt. Nummer fünf ist die einzige, die nicht mehr auf Rasen steht, sondern in Pflastersteinen. Sie scheint das nicht zu mögen. Ihre Blätter sind zwar grün, hängen aber traurig herunter. Roswitha Wirtz sucht das Pflaster ab und zeigt auf einige Löcher. „Die sind gebohrt worden, damit man die Wurzeln hier mit Substrat versorgen kann“, berichtet sie. Quasi ein Kanüleneingang für Bäume. Vielleicht stand Nummer fünf aber auch den schweren Baggerschaufeln im Weg, die im Zuge der Regionale 2010 direkt neben ihr die Strunde freilegten. Kastanienwurzeln können bis zu 15 Meter lang werden.
Weiter geht es Richtung Quirlsberg – wo eine rund 120 Jahre alte Kornelkirsche durch das beherzte Verschwindenlassen von Messlatten für die Umgehungsstraße in den 1970ern vor dem Tod gerettet worden sein soll – hinüber zum Buchmühlenpark. Auch hier steht wieder eine Platane, darunter ist ein Spielplatz.
Rotbuchen und Platanen werden bis zu 300 Jahre alt
Früher war die Platane Teil des Schulhofs der Realschule, die Roswitha Wirtz besuchte. „Wir haben bereits damals unter der Platane die Klassenfotos gemacht“, erzählt sie. „150 Jahre sind für einen Baum nichts.“ In der Tat, denn Rotbuchen und Platanen können locker 300 Jahre alt werden. So gesehen haben die Veteranen der Gladbacher Innenstadt gerade mal ihr halbes Leben hinter sich. Wer weiß, was noch kommt.
Zurück an der Bank neben der Rotbuche lässt sich ausruhen und die Perspektive in den die Villa überragenden Wipfel wechseln: Verharren im Labyrinth des uralten Gezweigs, die Geschichte vorüberziehen lassen, Wichtiges von Unwichtigem trennen, die Vergänglichkeit der Zeit und den Frieden des Augenblicks spüren.