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Eine Akte voller AbgründeEinblicke in ein Bergisch Gladbacher Doppelleben

Lesezeit 6 Minuten
Gerichtsakten im Kölner Landgericht

Gerichtsakten im Kölner Landgericht (Symbolbild)

  1. Ein 43-jähriger Mann aus Bergisch Gladbach muss sich unter anderem wegen schweren sexuellen Missbrauchs vor dem Kölner Landgericht verantworten.
  2. Die Ermittler gehen davon aus, dass der Angeklagte seine Tochter mehr als zwei Jahre lang immer wieder missbraucht hat.
  3. Die mehr als 100 Seiten lange Anklageschrift gibt Einblicke in ein sehr erschreckendes Doppelleben.
  4. Der Text enthält Details zum Verhalten des Missbrauchenden, die für einige Leserinnen und Leser zu graphisch sein können.

Bergisch Gladbach – Die Ermittler brauchen im Oktober vergangenen Jahres nur wenige Versuche, um das Passwort zu knacken, das der heute 43-jährige Familienvater für seine drei Mobiltelefone benutzt. Es ist das Geburtsdatum seiner Tochter. Das Mädchen ist heute drei Jahre alt. „Meine Kleine“ und „der Zwerg“ soll der Mann sein Kind in den Chats genannt haben, die die Ermittler auf den Handys entdeckten. Es sind Chats, in denen er davon gesprochen haben soll, beim Sex mit seiner Frau an seine Tochter zu denken. In denen er sich gewünscht haben soll, dass seine Tochter irgendwann von einem gleichaltrigen Jungen entjungfert wird – und er dabei zusehen kann.

Wenn sich bestätigt, was die Kölner Staatsanwaltschaft dem 43-Jährigen aus Bergisch Gladbach vorwirft, dann lernt seine Tochter erst jetzt eine normale Kindheit kennen. Ihr eigener Vater soll sie ab ihrem dritten Lebensmonat sexuell missbraucht haben, ab vergangenem Sommer fast täglich. Von seiner Ehefrau, der Familie und seinen Freunden unbemerkt – davon gehen die Ermittler derzeit aus – führte er offenbar seit langem ein Doppelleben. Fürsorglicher Vater und Pädophiler. All das geht nach Informationen unserer Redaktion aus der mehr als 100-seitigen Anklageschrift hervor. Die Ermittler gehen bei dem Kind von einem Missbrauchszeitraum von zwei Jahren und drei Monaten aus.

Missbrauch immer wieder für andere dokumentiert

Die Staatsanwaltschaft wirft dem gelernten Koch und Hotelfachmann 79 Taten vor. In 61 Fällen soll er seine Tochter sexuell missbraucht haben, die meisten Taten stuft die Anklagebehörde als schwer ein. Es geht auch um Vergewaltigung und die Verabredung zu einem Verbrechen. Ein Mittäter hat vor dem Landgericht Kleve bereits gestanden, gemeinsam mit dem Bergisch Gladbacher dessen Tochter in einem Wellness-Bad in Essen missbraucht zu haben. Der 43-Jährige soll außerdem zwei zehn bis zwölf Jahre alte Mädchen im Internet vor laufender Kamera zu sexuellen Handlungen gebracht und massenhaft kinderpornografische Bilder und Videos besessen, verbreitet und hergestellt haben.

Auf seinen Handys und Computern sicherten die Ermittler drei Terabyte Daten. Er soll den Missbrauch seiner Tochter viele Male dokumentiert und seinen Chatpartnern in den pädokriminellen Netzwerken zur Verfügung gestellt haben. Neben dem Bundeswehrsoldaten aus Kamp-Lintfort soll er einigen weiteren Männern in Aussicht gestellt haben, seine Tochter ebenfalls missbrauchen zu dürfen. Einer der Chats hatte allein 1800 Mitglieder.

Bilder sind unerträglich

Kölns Polizeipräsident Uwe Jacob machte kürzlich deutlich , wie unerträglich die Bilder und Videos sind, die die Ermittler seit dem Herbst sichten und auswerten müssen. Er sprach von Einblicken, „die das Vorstellungsvermögen sprengen“. Mal soll die Tochter während des Missbrauchs mit einem Schnuller im Mund zu sehen sein, mal trägt sie winzige Kindersocken oder liegt auf einer Babydecke auf dem Wickeltisch. Der 43-Jährige soll dem Mädchen auch regelmäßig Kinderpornos gezeigt haben. All das geschah offenbar, ohne dass seine Frau Verdacht schöpfte.

Der Mann soll sein Kind vor allem früh morgens missbraucht haben, wenn seine Frau das Haus zum Arbeiten verließ. Er selbst arbeitete als Pförtner in Bergisch Gladbach und hatte unterschiedliche Schichten. Er war es aber offenbar fast immer, der das Kind um 8.30 Uhr in die Kita brachte. Vorher habe er immer „Zeit zum Kuscheln“, soll er sinngemäß in den Pädophilen-Chats geäußert haben.

Für Missbräuche verabredet

Im Prozess gegen seinen bereits verurteilten Chatpartner und Bekannten aus Kamp-Lintfort wurde klar, dass die beiden Männer nicht nur ein sexuelles Verhältnis miteinander hatten, sondern sich auch im Chat über Wochen gegenseitig hochschaukelten in ihren Missbrauchsfantasien. Bei Fantasien blieb es nicht: Der Soldat gestand im Prozess, dass sich beide drei Monate nach der Tat im Wellness-Bad in Kamp-Lintfort trafen. Dabei sollten alle drei Kinder der beiden Männer missbraucht werden, auf viele Arten. Der Plan scheiterte.

Für ein weiteres Treffen am ersten November-Wochenende 2019 hatten die beiden Männer schon Sexspielzeug und Reizwäsche in kleinstmöglicher Größe besorgt. Der Bergisch Gladbacher soll vorgeschlagen haben, die Kinder mit Alkohol zu betäuben. Auch dazu sagte der Soldat im Prozess aus. Es kam nicht zu dem Treffen an Halloween, weil die Chats der beiden Männer schon von der Polizei überwacht wurden und die Ermittler sie elf Tage vorher festnahmen.

Ehefrau ist Nebenklägerin und Zeugin im Prozess

Nach Erkenntnissen der Ermittler soll der Bergisch Gladbacher seit mindestens 20 Jahren Kinderpornos konsumieren und tauschen. Er soll schon sexuelles Interesse an Kindern gehabt haben, als er selbst noch sehr jung war. Durch die Auswertung der Chats sollen sich Hinweise ergeben haben, dass er schon als Jugendlicher zwei Kinder missbraucht haben könnte. Mögliche Opfer konnten aber offenbar bislang nicht identifiziert werden.

In den Ermittlungsakten sind aber Hinweise darauf enthalten, dass er als junger Mann eine Angehörige ab ihrem vierten Lebensjahr jahrelang sexuell missbraucht haben soll. Davon soll er auch vielen Chatpartnern berichtet und den Missbrauch sinngemäß als „Beginn der Kinderliebe“ bezeichnet haben. Der mutmaßliche Missbrauch der Frau ist verjährt, sie soll ihn ab er bestätigt haben und als Zeugin im Prozess gehört werden.

Kind sollte freiwillig mitmachen

Ins Visier der Polizei rückte der Mann nie. Er hat keine Vorstrafen. Vermutlich hat er sich auch deshalb sicher gefühlt. In den Chats soll er oft seinen richtigen Namen – und auch den seiner Tochter – genannt haben. Seine Mobiltelefone konnten nicht nur die Ermittler ohne großen Aufwand entsperren. Auch die Ehefrau hatte offenbar freien Zugang zu seinen Computern und Telefonen. Doch sie scheint ihm blind vertraut zu haben. In Chats schrieb er über den Missbrauch nach Informationen unserer Redaktion von einem „kindgerechten“ und dem „Alter des Kindes angemessenen“ Umgang. Sein perfider Plan: Er wollte seine Tochter offenbar so „erziehen“, dass sie irgendwann freiwillig mitmacht.

Laut Anklage könnte der Bergisch Gladbacher selbst Opfer sexueller Gewalt gewesen sein. Es gebe Hinweise, dass er als Grundschüler von einem älteren Nachbarsjungen missbraucht worden sei. Den eigenen Großvater soll er dabei beobachtet haben, wie der zwei Kinder missbraucht haben soll. Der Verteidiger des 43-Jährigen wurde für diesen Artikel um Stellungnahme gebeten, diese liegt bislang nicht vor. Die Ehefrau wird am Prozess als Nebenklägerin teilnehmen. Sie ist auch als Zeugin geladen. Nach Informationen unser Redaktion soll das Verfahren am 6. Juli am Kölner Landgericht beginnen. 60 Zeugen und zwei Sachverständige sind geladen. Dem Gladbacher droht eine Freiheitsstrafe von bis zu 15 Jahren. Außerdem die Anordnung der Sicherungsverwahrung. Sein Umfeld soll ihn als besonders hilfsbereiten Menschen und verantwortungsvollen Vater beschrieben haben. Einer, der immer für die Familie da gewesen sei.

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Eine BAO, besondere Aufbauorganisation, arbeitet in der Regel zeitlich begrenzt, wenn polizeiliche Lagen besonders komplex sind, etwa nach einem Terroranschlag oder in einem Entführungsfall. Die BAO Berg ermittelt nun zwar schon seit sieben Monaten. Ein Ende ist bei den Ermittlungen zum Missbrauchsnetzwerk nicht abzusehen, wie Kölns Polizeipräsident Uwe Jacob kürzlich sagte. 32 identifizierte Tatverdächtige gibt es aktuell in NRW, bundesweit sind es 72. 44 Opfer im Alter von drei Monaten bis 14 Jahren sind bisher identifiziert.