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Tochter schon als Baby missbraucht

Lesezeit 4 Minuten

Bundesweit ist Bergisch Gladbach durch die Aufdeckung des Missbrauchsnetzwerks in die Schlagzeilen geraten.

Bergisch Gladbach/Köln – Was sich hinter der Fassade dieses Bergisch Gladbacher Reihenhauses über Jahre abgespielt haben soll, entsetzte nicht nur die Menschen in der rheinisch-bergischen Kreisstadt, sondern sorgte bundesweit für Aufsehen – und zu Ermittlungen eines Pädophilennetzwerks in bis dahin nicht dagewesenen Ausmaß.

Jetzt hat die Staatsanwaltschaft Köln Anklage gegen den mittlerweile 43-jährigen Familienvater erhoben, in dessen Haus die Polizei im Oktober hunderttausende kinderpornografische Bilder und Filme sowie Hinweise auf den Missbrauch der eigenen Tochter gefunden hatte. Und damit kommen noch weitere Vorwürfe gegen den gelernten Koch und Hotelfachmann ans Tageslicht.

100-seitige Anklage

Sieben Anklagen bisher

In dem Missbrauchsnetzwerk wird allein in NRW gegen 23 Personen ermittelt, gegen sieben wurde Anklage erhoben bei Gerichten in Kleve (2), Mönchengladbach (Verfahren gegen zwei Männer läuft), Köln, Aachen (Tatort Alsdorf) und Duisburg. Neun Personen sitzen in Untersuchungshaft.

Die Ermittlungen erstrecken sich aber inzwischen auf alle Bundesländer. 31 Opfer wurden bislang identifiziert. Die Zahlen können nach Angaben der mehr als 300 Beamte zählenden Ermittlungsgruppe aber noch größer werden, denn es sind noch längst nicht alle Daten ausgewertet. (kmü/ta)

Die Staatsanwaltschaft wirft dem 43-Jährigen in der mehr als 100-seitigen Klageschrift vor, seine 2017 geborene Tochter immer wieder sexuell missbraucht zu haben und kinderpornografisches Bildmaterial davon via Internet verbreitet zu haben, außerdem soll er sich mit Chatpartnern aus Internetforen zum Missbrauch weiterer Kinder verabredet zu haben.

Insgesamt werden dem Bergisch Gladbacher, der seit seiner Festnahme im Oktober in Untersuchungshaft sitzt, 79 Straftaten zur Last gelegt, wie das Landgericht Köln am Mittwoch mitteilte. Allein in 61 Fällen soll der Familienvater seine Tochter ab dem dritten Lebensmonat bis kurz vor seiner Festnahme sexuell missbraucht haben.

Wie berichtet, war der damals 42-Jährige zunächst wegen des Besitzes von kinderpornografischen Materials ins Visier der Ermittler geraten. Nach Informationen der Rundschau waren die Beamten bei Ermittlungen gegen einen Beschuldigten in Kassel auf die Spur des Bergisch Gladbacher gekommen. Erst bei der Sichtung von Bild- und Filmmaterial, das auf mehreren Terabyte umfassenden Speichermedien im Haus und auf dem Grundstück des Mannes sichergestellt worden war, hatten sich die Hinweise auf den sexuellen Missbrauch ergeben.

In einem „überwiegenden Teil“ der nun angeklagten Fälle soll der 43-Jährige die sexuellen Handlungen fotografiert oder gefilmt haben und die Aufnahmen über Online-Messengerdienste an gleichgesinnte Chatpartner gesendet haben. Auch soll er andere Kinder über das Internet zu sexuellen Handlungen vor der Kamera motiviert haben.

Einen Teil seiner Taten soll der Bergisch Gladbacher gemeinsam mit einem Chatpartner aus Kamp-Lintfort am Niederrhein begangen haben. Dabei sollen der Sohn und die Tochter des Chatpartners sowie die Tochter des Angeschuldigten missbraucht worden sein. Zudem sollen sich die beiden Männer zu einem „schweren sexuellen Übergriff“ auf die dreijährige Nichte des Chatpartners verabredet haben – und das insgesamt in vier Fällen. Der Chatpartner aus Kamp-Lintfort, ein 26-jähriger Bundeswehrsoldat, muss sich bereits von Dienstag an in Moers vor Gericht verantworten. Ihm werden 36 Fälle von Missbrauch zur Last gelegt. Aufsehen hatte sein Fall erregt, weil sich der Mann im Juni selbst angezeigt hatte, die Staatsanwaltschaft Kleve aber auf eine Hausdurchsuchung verzichtete.

Der Prozess gegen den 43-jährigen Bergisch Gladbacher könnte laut Landgericht Köln im Sommer beginnen, sofern das Hauptverfahren von der 2. Großen Strafkammer des Landgerichts als Jugendschutzkammer eröffnet wird.

Laut Gericht hat sich der 43-jährige Angeschuldigte bislang nicht zu den Vorwürfen eingelassen. „Er hat jedoch im Ermittlungsverfahren an der Identifizierung seiner Chatpartner mitgewirkt“, so Jan F. Orth, Pressesprecher des Landgerichts. Im Fall einer Verurteilung drohen ihm zwischen zwei und 15 Jahren Haft. Außerdem stehe die Anordnung der Sicherungsverwahrung im Raum, so Orth.

Der landesweit erste Prozess zu dem Komplex hatte bereits vergangene Woche in Mönchengladbach begonnen. Zwei 39 Jahre alte Männer sind dort unter anderem wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 79 Fällen angeklagt. Zwischen 2015 und 2019 sollen die beiden Deutschen aus Krefeld und Viersen am Niederrhein immer wieder zwei Mädchen vergewaltigt haben - der eine seine Tochter, der andere seine Nichte. Der jahrelange Missbrauch habe zum Alltag der zur Tatzeit sechs bis elf Jahre alten Mädchen gehört.