Köln – Die Ermittler wollten sicher gehen, dass keine Beweismittel verloren gehen. Mit einer Schrotflinte bewaffnet zerschossen Spezialkräfte in einem Haus im beschaulichen Ortenaukreis im Schwarzwald eine Wohnungstür und überraschten einen mutmaßlichen Sex-Täter. Damit ist in dem riesigen Missbrauchskomplex Bergisch Gladbach einer der Koordinatoren gefasst worden. Dies teilte die Kölner Polizei am Mittwoch mit. Der Mann aus Baden-Württemberg sei der Administrator eines der Chatforen, in dem sich Pädophile ausgetauscht hätten, sagte der Kölner Polizeipräsident Uwe Jacob. Kriminaldirektor Michael Esser beschrieb den Festgenommenen als „zentrale Persönlichkeit, die die Chatverläufe zusammenhält“.
Grausame Details
Rund sechs Monate nach Beginn der Arbeit der Ermittlungskommission „Berg“ äußerte sich die Polizeiführung erstmals wieder ausführlich zu den entsetzlichen Taten. Es sei weiter furchtbar und unglaublich, was an das Tageslicht kommen würde, teilten die Ermittler mit. Polizeipräsident Jacob sprach davon, dass die Beamten Einblicke gewonnen hätten, „die das Vorstellungsvermögen der meisten Menschen sprengen“.
Die psychischen Belastungen seien so groß, dass mindestens drei Kolleginnen und Kollegen aufgrund der Ermittlungen längerfristig krank geworden seien. Andere Beamte hätten die Polizeiführung gebeten, sie von dem Fall abzuziehen. Es offenbare sich hier ein „Abgrund“, der verstöre, sagte Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer zu den Verfahren. Dies betonte auch Kriminaldirektor Esser. Beschuldigte wollten den Ermittler in den Verhören weiß machen, dass die Kinder es so wollten. Es sei erschreckend, dass der sexuelle Missbrauch in der Mitte der Gesellschaft stattfinde. Der schlagartige Zugriff bei dem Koordinator hätte dazu geführt, dass die Ermittler direkt ins Handy des Beschuldigten schauen konnten, sagte Esser weiter. Dadurch seien die Beamten auf mehrere Kinder aufmerksam geworden, die aktuell noch missbraucht worden seien.
Drei Monate altes Baby unter den Opfern
Dazu habe auch ein drei Monate altes Baby gehört. Die Ermittler hätten bereits im November 2019 vermutet, dass es in dem Missbrauchskomplex eine zentrale Person geben muss. Nun konnte die Schlüsselfigur identifiziert werden und am 13. Mai 2020 festgenommen werden. Das Amtsgericht Offenburg habe mittlerweile Untersuchungshaft gegen ihn verhängt. Auch eine weitere Person wurde wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs verhaftet. „Wir sind mit den Ermittlungen noch lange nicht am Ende“, betonte Jacob.
Oberstaatsanwalt Bremer sprach von einem Schneeball-System: Mit jedem Täter, jedem neu enthüllten Chat ergäben sich wieder Spuren zu weiteren Beteiligten. Deshalb werde im Kölner Polizeipräsidium nun sogar ein eigenes Kommissariat für den Kampf gegen den sexuellen Kindesmissbrauch gründen. „Wir sagen den Pädo-Kriminellen den Kampf an“, sagte Jacob.
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Insgesamt gibt es in dem Komplex bisher 32 identifizierte Tatverdächtige in Nordrhein-Westfalen. In ganz Deutschland seien es 72 identifizierte Tatverdächtige, sagte Jacob. Zudem gebe es 44 identifizierte Opfer. Zehn Personen seien in U-Haft, sagte Bremer. Zudem seien sieben Anklagen gegen acht Personen erhoben worden. Die Ermittlungen erstrecken sich mittlerweile über alle Länder der Bundesrepublik.
„Sehr zufrieden“ zeigte sich Bremer nach dem ersten Urteil in dem bundesweiten Kindesmissbrauchsfall. Ein 27-Jähriger war am Dienstag vom Gericht in Moers zu zehn Jahren Haft verurteilt und in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen worden.