Süßwassermedusen bevölkern derzeit die Donau bei Wien — Schiffe könnten sie nun auch in den Rhein einschleppen. Was uns erwartet.
Nach Invasion in der DonauQuallen gibt es wohl bald auch im Rhein
Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, sagte man früher, als die kleinen Sperlinge im Frühjahr in Scharen aus dem Süden angeflattert kamen. Demnächst werden Rheinanlieger auch in Bonn die Schwalben im Sprichwort vielleicht durch Quallen ersetzen, denn die Medusen könnten demnächst zum untrüglichen Zeichen heißer Sommer werden.
Vor wenigen Tagen aber berichteten österreichische Medien über eine Qualleninvasion der Donau. Mitten in der Hauptstadt Wien trieben Hunderte der Nesseltiere in den Uferbereichen. Da stellt sich die Frage: Kommen die bald auch zu uns?
„Das ist nur eine Frage der Zeit“, sagt Frank Nitsche. Der Biologe und Ökologe leitet die Ökologische Rheinstation der Universität Köln.
Alles zum Thema Universität zu Köln
- „Klingt wie Putins Wunschzettel“ US-Pläne sorgen für Wirbel – Kremlchef lobt Trump und verhöhnt Europa
- Schlagersängerin aus Bornheim-Walberberg Anke Fürst ist ein stimmgewaltiges Energiebündel
- Drohungen mit Handelskriegen und Gewalt Wie ernst ist Donald Trump zu nehmen, Herr Jäger?
- Seit Jahrzehnten Welterklärer „Maus“-Produzent Armin Maiwald feiert 85. Geburtstag
- Nachruf Schachwelt trauert um Dr. Robert Hübner
- Psychologie Unsere Wahrnehmung ist zu negativ - und das hat Folgen
- Tod von Elmar Buck Wie der Leiter des The-Fi-Fe-Instituts die Kultur- und Medienszene Kölns geprägt hat
Es gab ursprünglich nur wenige Arten
Sie ist eine Außenstelle des Zoologischen Instituts. Von einem alten Flussschiff an der Oberländer Werft im Kölner Süden aus verfolgen Nitsche und seine Kollegen seit 2002, wie sich die Lebensgemeinschaft in Rhein verändert und wie die fortschreitende Klimakrise dazu beiträgt.
Quallen hätten in deutschen Binnengewässern eigentlich nichts zu suchen, erklärt Nitsche in seinem Fließwasserlabor auf dem Schiff. Es gab ursprünglich nur wenige Süßwasserarten in Südostasien. Eine davon aus dem Deltabereich des Jangtsekiang, Craspedacusta sowerbii mit ihrem wissenschaftlichen Namen, hat sich inzwischen auf allen Kontinenten außer der Antarktis eingerichtet.
1880 war ein Exemplar erstmals im Seerosenbecken im Londoner Regent's Park aufgetaucht. 1905 wurde sie dann bereits in Bayern entdeckt. Sichtungen blieben seither aber eher isoliert und sporadisch.
2018 hatten beispielsweise Tausende Süßwasserquallen sich den Fühlinger See in Köln mit Badewilligen geteilt. Wie sie in das Gewässer gelangten, ist unklar. „Oft kippen entnervte Aquarienbesitzer ihre wasserliebenden Mitbewohner einfach in natürliche Gewässer. Oder die Polypen lassen sich an Sportboote geheftet von einem See oder Fluss in einen anderen tragen“, erklärt Nitsche. Er ergänzt: „Über den Main-Donau-Kanal könnte die Süßwasserqualle nun von Wien aus im Ballastwasser von Schiffen jederzeit in den Rhein einwandern“.
Der Polyp ist wenige Millimeter groß, auch die Qualle fällt mit einem Durchmesser von zwei Zentimetern kaum mehr auf. „Die Einschleppung in fremde Gewässer kann man also gar nicht verhindern“, glaubt der Biologe.
Zum eigentlichen Quallenstadium kommt es bislang selten. Die Tiere benötigen dazu stehende oder langsam fließende Gewässer und Wassertemperaturen von mindestens 25 Grad. So lange warten sie als Polypen irgendwo angeheftet auf ihre Zeit. Erst wenn es mollig warm ist, lösen sie sich als kleine Kugel vom Polypen ab, die sich nach unten öffnet und eine Glockenform bildet. Weil die Polypen temperaturgesteuert mutieren, kommt es zu der scheinbar plötzlichen Vermehrung der Quallen wie jetzt in Wien.
Ein Rekord im Reich der Tiere
Die Süßwasserqualle besteht übrigens zu 99,3 Prozent aus Wasser, ein Rekord im Tierreich.
An der Messstation des Landes in Bad Honnef wurde der kritische Temperaturwert Mitte Juli bereits für einige Tage erreicht. Als Folge der Erderhitzung dürfte der Schwellenwert künftig häufiger überschritten werden. Die beruhigten Uferbereiche zwischen den künstlichen Buhnen etwa in Beuel oder Oberkassel könnten den Quallen dann als optimaler Lebensraum dienen, glaubt Biologe Nitsche.
Mit normalem Geschlechtsverkehr vermehren können sich die Quallen in Europa allerdings derzeit nicht. Offenbar wurde im 19. Jahrhundert nur ein einziges Weibchen eingeschleppt, dessen Polyp sich immer wieder teilte. Alle Nachkommen sind natürliche weibliche Klone, bis irgendwann vielleicht mal ein männlicher Artgenosse irgendwo aus dem Ballastwasser eines weiteren Schiffes gespült wird.
Wären Quallen im Rhein ein Problem? „Für Menschen sind die Süßwasserquallen nicht giftig. Aber sie filtrieren ziemlich viel Plankton weg. Die Frage ist, wie sich das auf andere Arten wie Fische auswirken würde“, überlegt Nitsche. Natürliche Feinde gibt es schließlich nicht.
Mit ihrer ursprünglichen nacheiszeitlichen Zusammensetzung hat die Lebensgemeinschaft im Rhein aber ohnehin kaum noch etwas gemein. „Wir finden nur noch zehn Prozent der Arten, die hier vor 50 Jahren vorkamen“, sagt der Biologe. Selbst unter den sogenannten Neozoen, also den tierischen Neuzugängen, gibt es ständigen Wandel.
Dominierte vor zehn Jahren noch die schon im 19. Jahrhundert aus Nordamerika eingeschleppte Zebra- oder Dreikantmuschel im Rhein, so hat die Grobgerippte Körbchenmuschel aus Südostasien diese inzwischen fast vollständig verdrängt.
Chinesische Wollhandkrabbe ist ein Dauergast
Auch die Chinesische Wollhandkrabbe, die ihre Jugend von drei oder vier Jahren im Süßwasser verbringt, ist im Rhein inzwischen ein Dauergast.
Zwei Drittel der Biomasse macht heute allerdings der räuberische Höckerflohkrebs aus. Ursprünglich lebte er im warmen Unterlauf der Donau. In nur drei Jahren war er ab 1992 vom Mittellauf in den Rhein eingewandert. Als nächste Einwanderer könnten ihm nun die Süßwasserquallen folgen.