Marienheide/Lindlar – Ob sie den Schock gut überstanden habe, fragt ein Mann beim Einsteigen die Busfahrerin hinter dem Lenkrad. „Da haben wir beide wohl Glück gehabt! “, gibt Anke Vetter zurück, als sie in ihm den Fahrgast erkennt, der mit ihr im Bus saß, als eine Woche zuvor eine Orkanböe einen Baum aufs Dach schleuderte.
„Ich musste morgens schon Umwege fahren, weil es gestürmt hat und Bäume auf der Straße lagen“, erzählt sie von dem Tag, den sie so schnell nicht vergessen wird. „Ich wusste schon, dass es gefährlich ist.“ Bis kurz vor 19 Uhr ging alles gut auf der Strecke zwischen Lindlar und Wipperfürth. Doch dann, an einer Steigung, lag ein Baum quer auf der Straße. Endstation! Sie forderte den Fahrgast auf, zu ihr nach vorne zu kommen. „Ich hatte schon das Telefon in der Hand und die Feuerwehr am Ohr, als es krachte. Dann fiel die Deckenverkleidung Stück für Stück ab und ich sah, wie sich Äste durchs Dach bohrten.“
Je enger und krummer die Straße, desto besser
Gedacht habe sie nicht viel, als sie zu zweit vorne im Bus hockten und hofften, dass nicht noch mehr passiert. „Aussteigen konnten wir nicht. Das wäre noch gefährlicher gewesen“, schildert Vetter. Zehn Minuten später kam die Feuerwehr von der einen Seite und die Polizei von der anderen, um Bus, Fahrerin und Passagier aus ihrer misslichen Lage zu befreien.
Nein, den Spaß am Job habe ihr das Erlebnis nicht verdorben, versichert die 52-Jährige, die seit zwei Jahren mit Bussen der Ovag-Tochter VBL auf Oberbergs Straßen unterwegs ist. Und schon erzählt sie begeistert von ihrem Arbeitsalltag auf den schmalen Straßen zwischen Gummeroth und Wasserfuhr: „Je enger und krummer, umso besser!“ Und sie erzählt von dem kleinen Jungen, der seine Mutter fragte: „Warum fährt die Frau Vetter denn jetzt Bus?“ „Weil sie es kann!“, habe die Mutter geantwortet. Das hat ihr gefallen.
Zuletzt ein Jahr für Bundestagsabgeordnete gearbeitet
Gewundert hat es sie nicht. Denn die meisten Oberberger, ganz besonders in Marienheide, kennen Anke Vetter als langjähriges SPD-Ratsmitglied, als frühere Stellvertretende Bürgermeisterin, als Frau, die unter anderem aktiv die Tafel unterstützte und tatkräftig die Flüchtlingshilfe mit aufbaute. Zuletzt arbeitete sie ein Jahr für die frühere SPD-Abgeordnete Michaela Engelmeier im Bundestag in Berlin. Und dann ein krasser Umstieg: Zurück nach Oberberg, raus aus der Politik, rein in den Bus.
Der Beruf Busfahrerin
Busfahrerinnen bei der Ovag
25 Busfahrerinnen arbeiten bei der Ovag. „Es könnten sehr gerne mehr sein“, findet Geschäftsführerin Corinna Güllner. Sie findet es schade, dass unter den mehr als 200 Beschäftigten, die für das Unternehmen auf Oberbergs Straßen unterwegs sind, nur so wenige weiblich sind. „Ob es am Schichtdienst mit hochkomplex getaktetem Fahrplan liegt oder am Respekt vor den großen Bussen?“, überlegt sie und zählt die Vorteile auf: Ein guter Verdienst, die Arbeitsplatzsicherheit eines kommunalen Unternehmens und die Möglichkeit für Quereinsteiger, sich zu qualifizieren, indem sie den Führerschein und ein Praktikum machen. Das sei eine gute Möglichkeit gerade auch für Frauen nach der Kinderpause, wieder ins Berufsleben einzusteigen, meint die Geschäftsführerin. (ms)
„Ich wollte schon immer was Großes, Schweres, Langes“, scherzt sie. Das hat sie jetzt: So ein Bus misst mehr als zwölf Meter. Eigentlich habe sie früher, während ihrer Ausbildung zur Fotografin bei einer Messebaufirma, schon vom Lkw-Fahren geträumt. „Die Idee war natürlich auch ein Stück weit der Situation geschuldet“, räumt sie zur Begründung ein. „Fotografinnen werden nicht gerade gesucht.“
Zeit, mit der Kommunalpolitik aufzuhören
Aber Busfahrerinnen. Kurz entschlossen machte sie den Führerschein und ein Praktikum. „Im Umgang mit ganz unterschiedlichen Menschen kenne ich mich ja aus“, schmunzelt sie. „Die meisten Fahrgäste sind einfach nett.“ Und wenn ihr doch mal jemand dumm kommt? „Dann genügt meist ein lockerer Spruch, um die Situation zu entschärfen.“
Und die Politik? „Kommunalpolitik ist unglaublich zeitintensiv. Das sehen viele Menschen gar nicht, die immer auf die Politiker schimpfen. Irgendwann ist man einfach – ja, vielleicht: müde“, sagt Vetter und überlegt, ob sie das treffende Wort gefunden hat. „Es war für mich einfach an der Zeit, aufzuhören.“
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So ganz ohne Politik kann sie aber doch nicht sein, als sachkundige Bürgerin sitzt sie im Marienheider Ausschuss für Kultur und Tourismus. „Das passt doch ganz gut zu einer Busfahrerin!“, schmunzelt sie und hofft, dass ihr im neuen Job so schnell kein Baum mehr aufs Dach fällt.