Museum MorsbroichJoseph Beuys und die Sache mit der abgewischten Schultafel
Leverkusen – Nein, sagt sie. Über „die Sache mit der Badewanne“ werde sie auf gar keinen Fall sprechen. Die sei ja nun sattsam bekannt in Leverkusen. Die müsse man nicht noch einmal aufwärmen, da ist Ursula Wedewer resolut. Aber die 88-Jährige hat ja nun auch ohne diese seltsame Schloss-Episode um ein unwissentlich als Spülbecken entfremdetest Kunstwerk so Einiges zu erzählen, wenn es um Joseph Beuys und Leverkusen geht.
Schließlich war ihr 2010 verstorbener Mann von 1965 bis 1995 der Direktor des Museums in Morsbroich – so lange wie keiner zuvor und vielleicht überhaupt keiner mehr. Und er hatte durchaus das, was man eine besondere Beziehung nennen könnte zu jenem Künstler, der in diesem Jahr 100 geworden wäre, der derzeit mit zig Ausstellungen geehrt wird – so auch in Morsbroich. Und der hier seine Spuren hinterließ – trotz der seltsamen Tatsache, dass er ausgerechnet in Leverkusen, mit dessen international doch so bekanntem Museum für moderne Kunst, nie eine Einzelausstellung bestritt.
Treffen im Atelier
Denn da war ja dieser Vortrag, den Joseph Beuys 1974 anlässlich der damaligen Morsbroicher Kunstschau „Landschaft – Gegenpol oder Fluchtraum“ im Museum hielt, und der überschrieben war mit dem Titel: „Landschaft, ein Organ des Menschen“. Eingeladen dazu hatte ihn Rolf Wedewer. Und Ursula Wedewer – seinerzeit Lehrerin am Freiherr-vom-Stein-Gymnasium in Schlebusch – war in die Organisation der Veranstaltung involviert. „Zur Vorbesprechung seines Vortrages trafen wir Beuys in seinem Atelier“, erinnert sie sich. „Und das war eine sehr interessante Begegnung. Er fragte mich damals nämlich, was ich denn gerade in der Oberstufe unterrichte. Und als ich sagte, wir läsen gerade „Novalis“, war er begeistert – und hat eineinhalb Stunden über den Naturbegriff bei „Novalis“ doziert. Das imponierte mir.“
Die Rolle, die Ursula Wedewer seinerzeit rund um diesen vom ehemaligen Fotografen des „Leverkusener Anzeiger“, Holger Schmitt, im Bild festgehaltenen Vortrag spielte, ging jedoch noch weiter. Und führte zu einer kuriosen Anekdote von hohem Unterhaltungswert für alle jene, die sich auch nur ansatzweise für Starkult im Kunstgeschäft interessieren.
Tafel aus dem Gymnasium
Was trug sich zu? „Beuys benötigte für seinen Vortrag im Spiegelsaal eine Tafel. Auf die wollte er mit Kreide seine Ideen schreiben“, sagt Ursula Wedewer. Tafel, Kreide – wo war das zu finden? „In meiner Schule natürlich.“ Also wurden die Utensilien die wenigen Steinwurf-Meter vom Gymnasium ins Schloss gebracht.
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Der Vortrag begann. Beuys referierte und dozierte vor zahlreichen Besucherinnen und Besuchern. Und am Ende sollte die Tafel dann wieder zurückgebracht werden in die Schule. Abgewischt mit einem Schwamm. Das sei jedenfalls der Plan gewesen, betont Ursula Wedewer, die auf Holger Schmitts Foto zu sehen ist, wie sie gemeinsam mit ihrem Mann neben der angesprochenen Tafel auf dem Boden sitzt.
„Nur erhoben sich plötzlich mehrere der Anwesenden und protestierten lautstark: Man dürfe das von Beuys Geschriebene doch nicht wegwischen!“ Schließlich handele es sich ja um nicht weniger als die handschriftliche n Ausführungen desjenigen Mannes und Meisters, der damals seine künstlerische Wucht bereits entfaltet hatte und Menschen landauf wie landab mitunter schamanenhaft beeinflusste. „Einige wollten die Tafel unbedingt mitnehmen.“
Diskussionen im Saal
Es habe Diskussionen gegeben. Hin und her. Doch eine Chance, das Ad-hoc-Kunstwerk einzukassieren und für die Nachwelt zu erhalten, hatten die aufgebrachten Beuys-Anhänger gleichwohl nicht. „Beuys sagte: „Quatsch! Das machen wir nicht!“, erzählt Ursula Wedewer. Sie wiederum ging mit ihm d’accord – und ließ das geschriebene Wort des Künstlers auswischen. Kurzerhand. Planmäßig. Pragmatisch. „Wir benötigten die Tafel schließlich an nächsten Tag schon wieder in der Schule.“
Kein Zweifel: Was ist gegen diese wunderbare Tafel-Affäre schon der zwischen Tatsachenbericht und Legende schwankende Wannen-Vorfall? Damals sollen bei der Zusammenkunft eines SPD-Ortsvereins im Schloss einige Damen die für eine Ausstellung dort gelagerte Beuys-Badewanne als Spülbecken für Biergläser genutzt und somit einen Versicherungsschaden von mehren zehntausend Mark angerichtet haben.
Wichtiger Impulsgeber
Zumal gerade die Vorgänge rund um dieses Beuys-Gastspiel im Spiegelsaal beispielhaft für Rolf Wedewers Einstellung zum Star-Künstler waren. Ursula Wedewer stellt diesbezüglich nämlich klar: „Mein Mann hat Beuys immer als wichtigen Impulsgeber gesehen.“ Insofern passe auch der Begriff „Katalysator“ hervorragend“ den das Team der aktuell Kuratierenden in Morsbroich der am 2. Mai beginnenden Ausstellung gaben. Indes: „Er hat Joseph Beuys auch distanziert gesehen. Denn mit dem, was damals irgendwann passierte, und was man heute als Hype bezeichnen würde, diese Jüngerschaft, konnte mein Mann nun gar nichts anfangen.“
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Rolf Wedewer habe zwar die Zeichnungen Beuys’ „sehr geschätzt“. Zeichnungen, von denen sich einige auch in der Sammlung des Museums befinden. „Aber: Was sich dann alles um ihn herum entwickelte und rankte, waren andere Dinge.“ Die habe man „ wahrgenommen“. Sprich: „Wir haben uns damit auseinandergesetzt. Aber man musste das nicht uneingeschränkt gut finden.“ Womit Ursula Wedewer auf Beuys’ Performances und ungewöhnliche Installationen anspielt – mal bestehend aus Fett. Mal Leichenbahren, Fieberthermometer, Reagenzgläser umfassend („Zeige deine Wunde“).
Faszination und Skepsis
Diese Gleichzeitigkeit von Faszination und Skepsis bildete nicht zuletzt auch die Basis für das Buch „Über Beuys“, das Rolf Wedewer 1972 gemeinsam mit dem Journalisten Lothar Romain verfasste und das als das erste Buch den Künstler betreffend überhaupt gilt. In ihm schrieb Rolf Wedewer: „Man verachtete bis unterschätzte den künstlerischen Aktionisten Beuys, als man den Zeichner [...] lobte; man arrangierte sich schließlich mit ihm und teilte sich in zwei Lager, nämlich in Anhänger und Jünger, die keinen Widerspruch mehr gegenüber dem Meister dulden, und in erbitterte Gegner, die teils aus reaktionärem Starrsinn, teils aber auch aus gesellschaftspolitischen Einsichten heraus, Beuys rundweg ablehnen.“ Beuys und vor allem dessen „Jüngerschaft“ seien von dem Buch denn auch eher „not amused“ gewesen, erinnert sich Ursula Wedewer. Aber genau darum geht es ja in der Kunst: Sie ist streitbar.
Treffen im eigenen Heim
Und das wiederum zeigte sich zu Rolf Wedewers Zeiten durch dessen Beziehung zu Beuys – und zudem bei den regelmäßigen Treffen mit in Morsbroich ausstellenden Künstlerinnen und Künstlern, die allesamt bei Familie Wedewer daheim stattfanden. „Wo auch sonst? Es gab ja noch kein Restaurant am Schloss“, sagt Ursula Wedewer.
Und erzählt schmunzelnd: „Also kamen alle immer zu uns nach Hause. Wir wohnten zunächst in einer Vier-Zimmer-Wohnung auf dem Grünen Weg und hinterher an der Gregor-Mendel-Straße. Die Leute saßen dann auf dem Fußboden, da wir nicht genügend Stühle hatten.“ Und es sei eben diskutiert worden. „Mitunter so heftig, dass irgendwann unsere damals fünfjährige Tochter im Schlafanzug ins Wohnzimmer kam und schimpfte: „Könnt ihr mal ein bisschen leiser sein? Ich kann gar nicht schlafen!“ Ursula Wedewers Fazit: „Eine wunderbare Zeit!“
Namen werden nicht genannt
Bliebe nur noch die Frage, wer denn damals so alles in Schlebusch zusammensaß. Diesbezüglich hält sich die Erinnernde jedoch dezent zurück und wird diplomatisch, wenn sie sagt: „Es waren auch namhafte Künstler dabei. Aber...“ Beuys? „...ich möchte keine Namen nennen.“
Und somit darf spekuliert werden – was ja nicht untypisch für die Kunst ist. Schon gar nicht für die eines Joseph Beuys.