Ausstellung im Museum Morsbroich„Beuys wäre von der jungen Generation begeistert“
- Am 2. Mai eröffnet im Museum Morsbroich die Ausstellung „Der Katalysator“.
- Sie ist der Beitrag des Hauses zum Jubiläumsjahr des legendären Künstlers, der am 12. Mai 100 geworden wäre.
- Die Organisatorinnen und Organisatoren der Ausstellung erzählen.
Leverkusen – Ehe es – hoffentlich mit Publikum – losgeht, haben wir mit dem derzeitigen Museumsdirektor Fritz Emslander, der Ausstellungskuratorin Ania Czerlitzki sowie der neuen Museumskuratorin Thekla Zell über Beuys, dessen Beziehung zu Leverkusen, sein künstlerisches wie gesellschaftliches Engagement und die Konzeption einer Ausstellung gesprochen, die vor allem eines nicht sein soll: nostalgisch. Übrigens: Weitere Beiträge zur Beuys-Ausstellung folgen.
Herr Emslander, Frau Czerlitzki, Frau Zell, im Mai eröffnet in Morsbroich die große Ausstellung zu Joseph Beuys. Er ist Künstler-Ikone, war Umweltaktivist, hat die Anfänge der Grünen mitgestaltet – und sich somit damals schon jenen Themen gewidmet, die heute wieder verstärkt aufgegriffen werden, etwa durch „Fridays For Future“. Vor allem aber wollte Beuys, dass jeder Mensch aktiv, zur Künstlerin oder zum Künstler, wird.Fritz Emslander: Ja. Es war bei ihm ein „Call To Action.“ Eine Aufforderung an alle, kreativ zu sein, um die Gesellschaft zu verändern.
Dann will ich mal ein wenig provokativ fragen: Zeigt denn nicht genau dieser Umstand, dass es eigentlich schade ist, wenn Kunst wie in Beuys’ Fall immer nur zu solch besonderen Anlässen hervorgeholt wird? Beuys wäre in diesem Jahr 100 geworden. Und gefühlt alle Museen stürzen sich zwölf Monate lang auf ihn. Auch Sie in Morsbroich. Dabei sollte seine Kunst doch eigentlich immer gezeigt werden, immer eine Rolle spielen. Im Beuys-Jahr wirkt sie ob dieser Konzentration irgendwie nur nostalgisch. Das ist schade, oder?Ania Czerlitzki: Ja. Aber genau hier setzt ja auch die Leverkusener Ausstellung an. Es ging uns nämlich nicht darum, einfach nur einige seiner Werke zu zeigen – also nostalgisch zu sein. Sondern es ging uns darum, einige seiner Arbeiten gemeinsam mit Arbeiten junger Künstlerinnen und Künstler zu präsentieren und so zu zeigen, wie aktuell Beuys immer noch ist. Thematisch einerseits. Und andererseits in der Art, wie sich Kunst politisch engagieren kann.
Er engagierte sich unter anderem mit den im Schloss gezeigten Arbeiten „Strassenaktion“ von 1971 und „Halbzeit“ von 1984.Czerlitzki: Genau. Und wenn man das weiterdenkt: „Fridays For Future“ steht ebenso wie die bei uns neben diesen Beuys-Werken gezeigte junge Kunst für eine Generation, die sich eine Handlungsmacht zurückerobert hat und von der Beuys, glaube ich, begeistert wäre. Kunst soll in die Gesellschaft hinein. Und die Gesellschaft wiederum soll ins Museum, zur Kunst kommen. Das war seine Intention. Und das ist eine aktuelle Herangehensweise, die sich in den zeitgenössischen Positionen, die wir gemeinsam mit Beuys zeigen, wiederfindet.
War dieses Konzept der Ausstellung denn von vorneherein klar – einfach, um sich von den vielen anderen Ausstellungen zu Beuys in diesem Jahr abzugrenzen?Emslander: Ja. Das war klar. Wir haben diesen Begriff „Der Katalysator“ gewählt, weil es uns eben nicht um den historischen Beuys geht, der auch vielerorts gezeigt wird, sondern weil es uns tatsächlich um Beuys als Impulsgeber geht. Als Impulsgeber auch für nachfolgende Generationen.
Das Wort „Katalysator“ kennt man eher aus der Motortechnik, weniger im Zusammenhang mit Beuys. Was hat es mit dem „Katalysator“ auf sich?Emslander: Das steht als Titel für einen Künstler, der immer noch als Brandbeschleuniger fungiert. Für einen, der immer noch anregt und entzündet und zeigt, dass Kunst explosiv sein kann. Wir sind ein Museum für zeitgenössische Kunst. Wir schauen aufs Heute. Es geht uns nicht um den gut abgehangenen Beuys, wenn man so will.Czerlitzki: Es hat sich bei der Konzeption der Ausstellung gezeigt, dass ganz, ganz viele junge Menschen einen Bezug zu Beuys haben. „Ja, klar, denn kennen wir!“ – jeder und jede hatte sofort einen Standpunkt. Kritisch oder enthusiastisch.
Wie sind Sie, Frau Czerlitzki, als Kuratorin der Ausstellung denn auf diese beteiligten, mal kritischen, mal enthusiastischen Künstlerinnen und Künstler gekommen?Czerlitzki: Ich habe geschaut, was wo politisch passiert.
Und haben was gefunden?Czerlitzki: Positionen, die quasi rausgehen in die Welt. Und Positionen, die eher aus dem Osten Europas stammen.
Wahrscheinlich weil dort – siehe Ukraine oder Belarus – politisch und gesellschaftlich derzeit besonders viel passiert.Cerlitzki: Genau. Es geht uns nicht wie so oft um diesen klassischen Blick nach Amerika. Es geht in die andere Richtung. Denn es ist so: Der östliche Teil Europas war lange Zeit nicht wirklich Teil des Kunstmarktes. Und dadurch gab es dort auch keinen Ausverkauf dieser Kunst. Die Kunst dort hat nach wie vor einen anderen Stellenwert. Sprich: Es ist sehr viel selbstverständlicher, wenn Kunst dort eine oppositionelle Haltung einnimmt. Wenn sie ein Störfaktor ist, der aufzeigt, wenn etwas nicht gut ist.Emslander: Es gibt im Osten Europas seit längerem schon ein wesentlich stärkeres Selbstverständnis von Kunst im politischen Sinne.
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Dann nennen Sie uns doch bitte einmal ein Beispiel dieser Kunst.Czerlitzki: Da ist zum Beispiel die Arbeit einer polnischen Künstlerin namens Honorata Martin. Sie ist in einer Zeit, in der die Spaltung der Gesellschaft immer mehr zunahm, einfach losgelaufen und über mehrere Wochen in ihrer Heimat unterwegs gewesen. Ohne Geld. Nur mit Hund und einem alten Handy, mit dem sie Fotos gemacht hat. Sie hat sich komplett den Leuten ausgeliefert. Hat geschaut, bei wem sie unterkommen und etwas zu essen und trinken bekommen kann. Hat Meinungen aufgefangen. Und sie hat dadurch ein Stimmungsbild ihres Landes gezeichnet. Sie hat nachgespürt: Was geht in den Menschen vor? Welche individuellen Geschichten gibt es? Und: Wie steht es um die Demokratie? Das war mir besonders wichtig. Positionen zu zeigen, die sich kritisch mit der Verfasstheit der Demokratie heutzutage beschäftigen.
Ein gutes Stichwort: „Demokratie“ – das steht auch im Untertitel der Ausstellung.Czerlitzki: Ja. Weil das hoch aktuell ist in der jetzigen Zeit. Es geht um die Frage: Wieso ist Demokratie nach wie vor der höchste Wert, den wir haben? Gerade Beuys’ Installation „Strassenaktion“ spielt ja darauf an. Da hat er auf der Straße in Köln die Menschen über Demokratie aufgeklärt und dieses mit Tonband aufgenommen. Die Leute sind hörbar sehr kritisch mit ihm, er bleibt aber sehr nahbar und konsequent bei der Sache.Emslander: Wir haben nicht nur nach Künstlerinnen und Künstlern gesucht, die Beuys nur rezipieren. Uns geht es – wie ihm – um eigene Ansätze, wie man künstlerisch in die Gesellschaft hineinwirken kann. Dieser Satz, den man im Beuys-Jahr noch häufiger hören wird, „Jeder Mensch ist ein Künstler“, zeugt ja davon. Er sagt aus: Man setzt sich nicht hin und nimmt seine Malstifte, man ist nicht im engen Bereich des eigenen Ateliers als Sonntagsmaler tätig, sondern man geht hinaus und wird kreativ beim Gestalten der Gesellschaft.Thekla Zell: Beuys sprach immer von der Kunst als Kapital – und meinte damit nicht Kapital im Sinne von Geld, sondern von kreativem Kapital. Darauf geht „Der Katalysator“ ein.
Welche besondere Beziehung hatte Beuys denn zu Leverkusen und zu Morsbroich – abgesehen von der sattsam bekannten Episode um seine Fett-Badewanne, die im Museum von zwei unwissenden Damen kurzerhand gesäubert wurde?Emslander: Das kann man gar nicht so eindeutig festmachen. Es gab immer wieder mal Berührungspunkte – etwa den Vortrag „Landschaft – ein Organ des Menschen“, den er 1974 im Spiegelsaal hielt. Die „Strassenaktion“ wiederum ist schon länger als Dauerleihgabe aus einer Privatsammlung bei uns. Zudem ist er bei uns mit einigen schönen Zeichnungen vertreten. Aber es gab hier beispielsweise keine große Einzelausstellung von ihm. Warum, kann man nicht sagen. Eine enge Beziehung hatte er eben zu anderen Häusern. Für uns können wir das nicht reklamieren. Er war und ist letztlich einfach ein Künstler, um den man mit unserer Sammlung und als zeitgenössisches Museum gar nicht herumkommt.
Haben Sie denn bei der Konzeption Ihrer Ausstellung gemerkt, dass es Beuys-Jahr ist? Sprich: War die Konkurrenz zwischen den Museen um Arbeiten des Künstlers oder Kunst, die mit ihm zusammenhängt, besonders groß?Emslander: Wenn wir jetzt eine reine Beuys-Ausstellung gemacht hätten, dann hätten wir das sicherlich gespürt. So aber gab es eigentlich nur einen kleinen Fall: Wir sind mit der Familie, in deren Privatsammlung sich die „Halbzeit“ befindet, in steter Kooperation. Was für uns von großem Vorteil war. Denn: Wir haben somit jederzeit das Recht auf den Erstzugriff. Und irgendwann kam der Eigentümer auf uns zu und fragte uns, wie es denn mit der „Halbzeit“ aussehe. Er habe da eine Anfrage bekommen und wollte sichergehen, ob er den anderen absagen müsse – und das musste er dann leider tun. Was man hingegen deutlich merkt: Im Vorfeld gibt es wesentlich mehr Medienresonanz als sonst. Es brummt.Czerlitzki: Ich weiß gar nicht, wie viele Ausstellungen und Events es in diesem Jahr zu Beuys gibt. Und gerade das zeigt ja auch, dass dieses Thema Beuys eine derart riesige Komplexität besitzt, dass man gar nicht das Gefühl hat: Oh, jetzt könnte es eng werden.
Sprich: Es ist genug für alle da.Emslander: Sagen wir so: Das Oeuvre von Beuys gibt das eben her. Ich denke, im 20. Jahrhundert haben Beuys und vielleicht noch Picasso die höchste Quantität an Kunst erschaffen. Entsprechend groß ist der Fundus.
Was denken Sie: Wie hätte Beuys Ihrer Meinung nach die Corona-Pandemie mit Lockdown und Co. gesehen und eventuell künstlerisch aufgegriffen?Zell: Er hätte ganz sicher eine Meinung gehabt und die auch klar öffentlich kundgetan.Czerlitzki: Er hätte sich sehr engagiert für die Öffnung der Museen – vor allem vor den Fitness-Studios. Aber dabei wäre es ihm nicht um das Museum als Event-Raum gegangen, sondern um das Museum als Ort der Bildung und des Austausches.Emslander: Womöglich hätte er die Krise auch philosophisch betrachtet. Als Chance für Veränderungsprozesse, die man zuvor nicht für möglich gehalten hätte.Czerlitzki: Auch in Bezug auf Ökologie und Umweltschutz.Zell: Und in Bezug auf Demokratie! Denn auch darum geht es ja. Derzeit wird sehr viel von oben beschlossen. Und die Frage wird immer lauter: Warum dürfen wir nicht selber entscheiden? Und: Wer entscheidet? Die Ministerpräsidenten? Die Kommunen? Überhaupt: Wer entscheidet wann in einer Demokratie?Czerlitzki: Wobei Beuys natürlich in einer Zeit lebte, in der er noch nicht wusste, dass Demokratie – wie etwa im Falle des Brexit – vielleicht auch ausgenutzt wird, durch Panikmache oder dergleichen. Wenn man ihn jetzt auf der Straße sehen würde, dann hätte er sich ja auch in irgendeiner Weise weiterentwickelt und wäre nicht mehr der Beuys aus den Siebziger Jahren.
Die Ausstellung und ihre Kuratorinnen
Ania Czerlitzki, die „Der Katalysator“ kuratierte, ist unter anderem für die international bekannte „Julia Stoschek Collection“ tätig – die private Sammlung zeitgenössischer Kunst der Kunstsammlerin Julia Stoschek – tätig.
Thekla Zell ist seit November 2020 die Kuratorin des Museums Morsbroichs und Nachfolgerin der nach Bonn abgewanderten Stefanie Kreuzer. Zell war zuvor acht Jahre lang Sammlungsleiterin der Zero-Foundation. Sie verwaltet das Erbe der „Zero“-Bewegung – einer Düsseldorfer Künstlergruppe, die 1958 von Heinz Mack und Otto Piene gegründet wurde.
„Der Katalysator“ wird am 2. Mai im Museum Morsbroich eröffnet und soll bis zum 29. August in Morsbroich zu sehen sein. Alle aktuellen Informationen im Internet.
www.museum-morsbroich.de