Missbrauchskomplex Bergisch GladbachMuss Jörg L. für immer hinter Gitter?
- Eine Hausdurchsuchung in Bergisch Gladbach entlarvte vor einem Jahr ein riesiges pädophiles Netzwerk mit bundesweit 30 000 Verdächtigen.
- Während die Ermittlungen andauern, erwartet der 43-jährige Familienvater, der seine Tochter schon als Baby missbrauchte, am Dienstag in Köln sein Urteil.
Köln/Bergisch Gladbach – Nicht nur in der Zeit vor seiner Festnahme im Oktober 2019 hatte Jörg L. (43) offenbar zwei Gesichter. Auch im Verlauf des bisherigen Prozesses am Kölner Landgericht um den sogenannten Missbrauchskomplex Bergisch Gladbach zeigte der Angeklagte sich von zwei Seiten: Am ersten Verhandlungstag, als Staatsanwältin Clémence Bangert in nahezu unerträglich langen anderthalb Stunden die Anklageschrift verlas, verzog L. keine Miene. Ins Leere starrend verfolgte der gelernte Koch, der seine im April 2017 geborene Tochter mehr als 70 Mal sexuell missbraucht haben soll, jene Vorwürfe, die Prozessbeobachter wegen ihres Reichtums an brutalen Details fassungslos machten.
Doch schon am zweiten Prozesstag präsentierte sich L. rege. Immer wieder steckte er in den folgenden Verhandlungstagen die Köpfe mit Verteidiger Udo Klemt zur Beratung zusammen. Zeugenaussagen glich L. aufmerksam mit der vor ihm liegenden Ermittlungsakte ab. Immer wieder machte er von seinem Recht Gebrauch, in persönlichen Erklärungen seine Sicht der Dinge darzustellen.
Urteil wird am Dienstag erwartet
Am Dienstag, dem zehnten Verhandlungstag, will die 2. Große Strafkammer unter Vorsitz von Christoph Kaufmann das Urteil in dem Fall sprechen. Von der Anklage sind dreizehneinhalb Jahre Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung gefordert. Verteidiger Klemt stellte keinen konkreten Strafantrag, trat der beantragten Sicherungsverwahrung aber entgegen.
Rückblende: Als im Oktober 2019 Polizeibeamte das Reihenhaus der Familie L. in Bergisch Gladbach durchsuchen, geht es zunächst um Besitz von Kinderpornografie. Doch auf Smartphones des 43-Jährigen werden Bild- und Videoaufnahmen vom sexuellen Missbrauch der Tochter sichergestellt. Digitale Kontakte zu Pädosexuellen auf Messenger-Diensten wie WhatsApp, Threma oder Telegram, legen dann das kriminelle Geflecht sexueller Gewalt gegen Kinder offen, das heute mit dem Namen der Kreisstadt des Rheinisch-Bergischen Kreises bundesweit verbunden wird.
Im Haus stoßen die Beamten auch auf ein Heimkino im Keller. Von L. selbst gebaut, sind die Wände schallisoliert, die Tür angeblich mit einem sogenannten Totmannschalter versehen, wie man ihn von Industriemaschinen kennt: Kommt jemand von außen in den Raum, wird ein Kontakt unterbrochen, die Filmvorstellung bricht ab.
Alle kannten nur das gute Gesicht des Angeklagten
Sein früherer Vorgesetzter (62), der vor Gericht nichts Schlechtes über den Angeklagten berichten konnte, erinnerte sich als Zeuge: „Das war eine auffällig dicke Schalldämmung.“ Andeutungen im Verfahren, der Raum könne für den sexuellen Missbrauch der Tochter so konzipiert worden sein, widersprach der 43-Jährige in einer seiner Erklärungen im Prozess. Zur Dämmung sagte er: „Damit die Tochter und Nachbarn nicht gestört werden.“ Zu der Totmannschaltung äußerte L., dass die sich an der Kinderzimmertür befunden habe: „Damit ich das im Kino mitkriege, wenn die Kinderzimmertür aufgeht. Das war, um zu sehen: Ah, da ist was.“
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Bekannte, Freunde und Verwandte – sie alle kannten nur das gute Gesicht des Angeklagten: Freundlich, zuverlässig, ehrlich, hilfsbereit, ein guter Koch und Gastgeber, lauteten einige Charakterisierungen im Zeugenstand. „Er war immer da, wenn man ihn gebraucht hat“, sagte eine Freundin (35) der Familie L., die den Angeklagten als „liebevollen und stolzen Vater“ beschrieb. Umso mehr hat das soziale Umfeld die Ermittlungen getroffen, die die andere Seite von L. offenbarten: „Ich bin noch nie so enttäuscht und getäuscht geworden. Ich muss da echt mit kämpfen“, erklärte um Haltung ringend der frühere Vorgesetzte des 43-Jährigen. Der ehemals beste Freund (44) des Angeklagten sagte am Ende seiner Vernehmung bewegt: „Ich traure um die Freundschaft, um die Person, die ich kennengelernt habe.“ Kontakt wolle er keinen mehr zu dem 43-Jährigen. L. standen da die Tränen in den Augen. Verzweifelt versuchte er Blickkontakt zu seinem bis gerade eben noch besten Freund herzustellen. Doch der 44-Jährige zeigte dem Angeklagten beim Verlassen des Saals nur die kalte Schulter.
Mit jedem weiteren Verhandlungstag wurde klarer: Es wird einsam um Jörg L. Nach Rundschau-Informationn hat er keinen Kontakt zu Mitgefangenen , Besuch hat er bis auf seinen Verteidiger bis heute keinen empfangen. Die Ehefrau, die laut der Ermittlungsleiterin in dem Fall keine Ahnung vom kriminellen Treiben ihres Mannes hatte, hat die Scheidung eingereicht. Und seine heute dreijährige Tochter, die laut einer Bekannten der Familie immer seltener nach dem Vater frage, sei gesagt worden, der Vater habe was gemacht, was nicht erlaubt ist, dass er deswegen nicht zurückkomme.
Sollte sich der eine oder andere Freund, Bekannte, der Bruder oder die Mutter nicht doch noch durchringen, L. irgendwann im Gefängnis zu besuchen, dann wird es einsam bleiben. Geht es nach der Staatsanwaltschaft, bis an sein Lebensende.