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Interview zu den Missbrauchsfällen in Münster„Das Internet wirkt wie ein Katalysator“

Lesezeit 4 Minuten
Ingo Wünsch

Ingo Wünsch leitet die Stabsstelle gegen Kindesmissbrauch des Landes NRWleitet die Stabsstelle gegen Kindesmissbrauch des Landes NRW.

  1. Der gerade aufgedeckte Missbrauchsfall in Münster, bei dem drei Jungen systematisch missbraucht wurden, hat selbst für den erfahrenen Ermittler eine neue Dimension erreicht.
  2. Im Interview spricht Stabsstellenleiter Ingo Wünsch über die Ermittlungen und den generellen Umgang mit der Thematik.
  3. Christian Schwerdtfeger führte das Interview.

Münster – Ingo Wünsch leitet die Stabsstelle gegen Kindesmissbrauch des Landes NRW. Der gerade aufgedeckte Missbrauchsfall in Münster, bei dem drei Jungen systematisch missbraucht wurden, hat selbst für den erfahrenen Ermittler eine neue Dimension erreicht.

Herr Wünsch, ist Münster die Spitze des Eisbergs?

Ingo Wünsch: Ich finde die Formulierung falsch. Man muss das anders sehen. Wir werden noch ganz viele Eisberge finden. Münster ist also nicht die Spitze eines Eisberges, sondern es gibt davon furchtbar viele – und das weltweit. Das ist meine feste Überzeugung.

Seit einem Jahr leiten Sie die Stabsstelle gegen Kindesmissbrauch. Hätten Sie mit so vielen Fällen von Kindesmissbrauch gerechnet?

Mit Übernahme der Stabsstelle war für mich klar, dass in dem Bereich viel passiert. Aber dennoch hat das erste Jahr Politik, Gesellschaft, Öffentlichkeit und Polizei Aspekte in einer Dimension vor Augen geführt, die auch meine Vorstellungskraft bisher nicht hergegeben hat. Das muss ich deutlich sagen.

Lügde, Bergisch Gladbach und jetzt Münster. Gibt es in Deutschland besonders viel Kindesmissbrauch?

Deutschland ist mit Sicherheit nicht pädokrimineller als andere Länder. Ich bin mir sicher, dass es Verfahren wie Bergisch Gladbach und Münster auch international geben wird. Schon wenn man die Sachverhalte Bergisch Gladbach und Münster betrachtet, zeigen sich ja die Verbindungen in andere Bundesländer. Nur die Ausgangspunkte der Sachverhalte liegen derzeit jeweils in NRW. Das spricht für die gute Arbeit der Polizei in NRW. Wir sind in der Bearbeit ung wesentlich qualifizierter, tiefer und genauer geworden. Das Anzeigeverhalten in dem Bereich ist größer geworden, Opfer wenden sich mittlerweile häufiger selbst aktiv an die Polizei, weil sie erkannt haben, dass sie tatsächlich Hilfe bekommen.

Gibt es mehr Fälle oder werden nur mehr aufgedeckt?

Wir haben auf jeden Fall mehr Kinderpornografie, weil das Internet wie ein Katalysator wirkt. Die Verfügbarkeit an Missbrauchsabbildungen ist enorm, und die Datenmengen sind unvorstellbar groß. Man kann ohne Probleme an solches Material gelangen. Und diese Verfügbarkeit im Netz schafft natürlich potenzielle weitere Täter. Was den Anteil des sexuellen Missbrauchs angeht, bin ich auch der Überzeugung, dass diese starke Verfügbarkeit von Missbrauchsabbildungen dazu führen kann, Fantasien zu wecken und zu forcieren, die dann vielleicht auch zur Umsetzung kommen können.

Reicht das Personal bei einer solchen Vielzahl von Fällen aus?

Wir haben das Personal für diesen Bereich in den letzten zwölf Monaten nahezu vervierfacht und entwickeln uns technisch enorm weiter. Je mehr Prozesse man automatisieren kann, desto weniger Personal braucht man. Das sehe ich aber auf Strecke noch nicht. Solange müssen wir ständig aufs Personal gucken. Bergisch Gladbach und Münster sind Hotspot-Verfahren, die wir temporär überregional erheblich mit Personal stärken müssen, gleichzeitig haben wir aber noch die anderen Missbrauchsfälle. Das unter einen Hut zu bringen, ist eine große Herausforderung.

Wie schaffen Sie das?

Wir priorisieren Verfahren. Verfahren mit Hinweisen auf sexuellen Missbrauch gehen immer vor und werden sofort intensiv und umfassend bearbeitet – sie gehen insbesondere auch vor Verfahren, wo es um einen „Jäger und Sammler“ von kinderpornografischem Material geht. Und dabei gibt es bei diesen unfassbaren Datenmengen immer das Risiko, einen noch andauernden sexuellen Missbrauch nicht sofort erkennen zu können.

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Wie belastend ist es, das kinderpornografische Material auszuwerten?

Ich bin froh, dass wir Menschen in der Polizei haben, die sich mit dem Thema tagtäglich befassen, die sich tagtäglich furchtbarste Missbrauchstaten in Wort, Schrift, Bild, Video und Audio anschauen und anhören müssen. Das ist psychisch auf jeden Fall eine besonders belastende Arbeit.

Wie hält man so etwas aus?

Fürsorge ist extrem wichtig, um die Kolleginnen und Kollegen muss sich intensiv gekümmert werden. Wir machen daher verpflichtende Maßnahmen in der psychologischen Betreuung. Dazu gehört auch, ihnen in der Dienststelle einen Raum zu geben, um sich sozial austauschen zu können, wo man einfach sagen kann: So, jetzt reicht es gerade. Es gibt Dienststellen, die haben ein Schlüsselwort. Wenn einer am Rechner sitzt und er sagt dieses Wort, dann wissen alle, der hat gerade etwas vor Augen, was ihn „aus der Kurve“ schmeißt. Es muss also ein sehr starkes Sozialgefüge geben mit einem sehr starken Aufpassen aufeinander und zueinander.

Christian Schwerdtfeger führte das Interview.