Nach Tod von 22-JährigerMehr Stalkingfälle in Leverkusen und Köln - App soll helfen
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Nach dem Tod einer 22-Jährigen sprechen Organisationen wie der Weiße Ring oder der Frauennotruf von einem Anstieg in 2020: Es suchen mehr Frauen Hilfe.
Wie sieht der "klassische Stalkingfall" aus und welche Möglichkeiten haben Betroffene, sich zu wehren?
Unter anderem eine App soll helfen.
Leverkusen – Die 22-Jährige, die Anfang Juli in Schlebusch getötet worden ist, wurde möglicherweise Opfer eines Stalkers. Wie Recherchen des „Sonntags-Express“ ergaben, soll der 47-jährige Tatverdächtige, der am Tag darauf von der Polizei festgenommen wurde und seit dem in Untersuchungshaft sitzt, die junge Frau bedrängt haben, ihn zu heiraten. Er soll ihr aufgelauert und sie in der Vergangenheit bedroht haben, als sie nicht auf seine Vorschläge einging. Die Staatsanwaltschaft äußerte sich am Montag mit Verweis auf laufende Ermittlungen nicht dazu.
Die Tat ist kein Einzelfall: In Schnitt zwei bis vier Frauen, die Opfer eines Stalkers werden, wenden sich jedes Jahr an die Beratungsstelle gegen sexualisierte Gewalt in Leverkusen, besser bekannt als Frauennotruf.
Leiterin Andrea Frewer geht aber davon aus, dass die Zahl viel höher liegt, da nicht jede Frau sofort auf die Idee kommt, sich beraten zu lassen oder Hilfe zu suchen. „Einige sagen auch: »Ich bin ja nicht vergewaltigt worden« oder »Das krieg ich schon hin«“, schildert Frewer ihre Erfahrungen. Doch seit 2007 ist Stalking ein Straftatbestand und „eine gefährliche Situation“, betont die 55-Jährige.
Oftmals fange es harmlos an: Die Täter (laut Frauennotruf zu 80 Prozent Männer) schreiben E-Mails oder Whatsapp, riefen tagsüber an. Dann kämen Telefonate nachts, erzählt Frewer, es könne Drohungen geben, teilweise komme es zu „Cyberstalking“, wenn das Opfer im Netz terrorisiert wird oder der Täter sogar versucht, die Konten der Frau zu hacken und in ihrem Namen zu posten. „Viele Frauen haben Angst und sind stark verunsichert“, betont Andrea Frewer, es kann bei den Betroffenen zu Schlafstörungen und Depressionen kommen, viele Frauen isolieren sich.
App hilft Opfern
Hilfe bei Stalking gibt es auch beim Weißen Ring, der sich für Opfer von Gewaltverbrechen einsetzt. Vor knapp einem Jahr ist hier die „Stalking-App“ gestartet. Dort kann man festhalten, wann es zu welchen Vorfällen kam, per Video, Foto oder Sprachnotiz. Das funktioniere „wie ein Stalking-Tagebuch“, erklärt Wolfgang Mengel, Leiter der Außenstelle des Weißen Rings für das rechtsrheinische Köln und Leverkusen. Diese App soll bei einer Anzeige bei der Polizei helfen, da „Stalking häufig schwierig nachzuweisen“ sei.
Die Entwicklung verläuft in Wellen: Gab es vor einigen Jahren noch mehr Stalkingfälle, seien in jüngerer Vergangenheit weniger gemeldet, sagt Wolfgang Mengel. Doch in diesem Jahr hätten die Fälle „wieder zugenommen“, hat er festgestellt – „insbesondere in Köln“. Erst vergangene Woche habe er mehrere Telefonate zu dem Thema geführt. Eine Erklärung für diesen Anstieg hat der 67-Jährige nicht. Auch Andrea Frewer vom Frauennotruf Leverkusen hat beobachtet, dass es bereits mehrere Fälle in diesem Jahr gab.
Ein Muster kann man bei den „typischen Stalkingfällen“ durchaus feststellen: „Meist ist es eine vergangene Liebschaft, eine Beziehung, die auseinander geht, bei der der Mann nicht einsehen kann, dass es zu Ende ist“, hat Wolfgang Mengel vom Weißen Ring beobachtet.
Andrea Frewer vom Frauennotruf betont, dass es bei Stalking „nicht um Eifersucht oder Liebeskummer“ gehe: „Es geht um ungleiche Machtverhältnisse. Die Männer meinen, sie hätten ein Anrecht auf die Frau. Stalking ist Ausdruck von geschlechtsspezifischer Gewalt.“ Ganz empfindlich reagiere sie bei dem Wort „Beziehungstat“. Das habe nicht nur etwas mit der individuellen Beziehung zu tun, erklärt die Soziotherapeutin, „das ist keine reine Privatsache“.
Die Atmosphäre und die Strukturen in der Gesellschaft müsse sich so ändern, damit es diese Form der Gewalt nicht mehr gibt. Über die Jahre betrachtet sieht Frewer, dass sich in der Gesellschaft etwas tut: „Die #Metoo-Bewegung hat dazu beigetragen, dass vieles öffentlich wird.“ Man sei noch lange nicht dort, wo man sein will, erklärt die 55-Jährige, „aber wir sind endlich so weit, dass wir darüber sprechen können.“
Betroffene können bei der Polizei Anzeige erstatten und sollten sich anwaltlich beraten lassen. Amtsgerichte können eine einstweilige Verfügung erlassen. Darüber hinaus vermitteln Hilfsorganisationen auch therapeutische Hilfe.