Der Sportler liegt auf dem Rücken, die gen Hallendecke gestreckten Beine wollen der Schwerkraft folgen, die Bauchmuskeln brennen bei jeder Hebung des Oberkörpers. Da beugt sich Markus Esser über den müden Sportler. Lässt man die Beine hängen, wenn der strenge Blick und die muskulösen Oberarme eines ehemaligen Hammerwerfers über einem thronen? Besser nicht.
Bis 2015 stand Markus Esser für den TSV Bayer 04 Leverkusen im Wurfring, holte eine WM-Silber- und eine EM-Bronzemedaille sowie acht deutsche Meistertitel im Hammerwurf. Heute steht er in der Bürgerhalle Bürrig und macht „Die Schlebuscher“ fit – die Tanzgruppe der KG Grün Weiß Schlebusch.
„Was mir am Anfang fremd war? Einfach alles“, lacht Esser. Na ja, bis auf den Karneval. „Ich bin in Leverkusen geboren und schon ewig bei Grün-Weiß Schlebusch, der Karneval liegt mir absolut im Blut“, sagt der 39-Jährige. Schuld an seinem Wechsel ins Tanz-Geschäft ist zum einen die elfjährige Tochter Leandra, die bei den Schlebuscher Pänz tanzt. Und Sabrina Djuritschin, die elf Jahre lang die Tanzmarie der Schlebuscher war und seit 2011 die Gruppe trainiert. „Ich wollte ihn zunächst zum Tanzen motivieren“, erzählt Djuritschin. Da holte sie sich eine Abfuhr ein. Als sie Esser dann aber bat, sie zunächst aushilfsweise beim zweimal in der Woche stattfindenden Training zu unterstützen, willigte er ein. Drei Jahre später ist aus der Aushilfe ein fester Bestandteil des Teams geworden.
Markus Esser dreht die Musik auf, stellt sich vor die rund 30 Frauen und Männer und beginnt das Aufwärmprogramm: Aerobicschritte vorwärts und seitwärts, Knie hoch, zwischendrin Ausfallschritte, Kniebeugen oder Liegestützen. Und dabei natürlich immer lächeln – das ist das Showgeschäft. Nach zehn Minuten stehen selbst dem ehemaligen Profisportler die Schweißperlen auf der Stirn, nach 15 Minuten tropft es leicht auf den Holzboden. „Das Schwierigste ist, dass man im Kopf schon immer einen Schritt weiter sein muss“, erklärt Esser seine persönliche Aerobic-Herausforderung. „Man macht einen Schritt vor, muss aber gleichzeitig schon überlegen, was kommt als nächstes und dann auch noch im Takt zählen.“ Der Zuschauer sieht die Kopfarbeit nicht, Esser ist mittlerweile ein geübter Vorturner. Nach der Aufwärmphase geht es weiter mit Koordinationstraining, das Esser ebenfalls leitet. In Zweierreihen machen die Tänzer Seitgalopp, Pferdchensprünge oder komplizierte Kombinationen von Hand- und Beinarbeit. Und dass Esser nicht nur starke Arme, sondern eine mindestens ebenso kräftige Stimme hat, demonstriert er, wenn es zu laut in der Halle wird. Sein „Ruhe!!!“ lässt Ohren und Wände wackeln.
Bei allen Unterschieden zwischen der Tanzbühne und dem Wurfring: Sport ist Sport. „Wenn du in der Session drei oder vier Auftritte am Abend mit jeweils drei Liedern hast, geht das richtig an die Substanz“, sagt Kommandant Marco Hafermann. Um dann noch lächeln zu können, ist Kraft und Ausdauer gefragt.
Mittlerweile haben die Schlebuscher sich einen guten Ruf über die Stadtgrenzen hinaus erarbeitet, sind in der vergangenen Session im Kölner Gürzenich aufgetreten. „Im Karneval ist Köln das Tor zur Welt“, sagt Hafermann. „Um da hin zu kommen, braucht es Professionalität und das vermittelt Markus wunderbar“, lobt Hafermann. Schließlich refinanziere sich die Gruppe durch ihre Auftritte. „Was mir wichtig ist, ist Motivation und Ehrgeiz in die Truppe zu bringen“, erklärt Esser. Ehrgeiz, Motivation, Einstellung. Das sind Worte, die Esser häufig benutzt, wenn er über seine Arbeit bei den Schlebuschern spricht. Egal, ob man für Olympia oder den Gürzenich trainiere, wichtig sei, dass man mit vollem Einsatz dabei ist. Dafür organisiert der Berufssoldat der Sportfördergruppe auch Trainingswochenenden in „seiner“ Kaserne, der Lüttich-Kaserne in Köln. „Ich kann denen Tanzen und Choreographien beibringen“ sagt Djuritschin. „Aber Markus macht unsere Gruppe noch professioneller. Nicht nur mit seinen Trainingseinheiten, sondern auch mit seiner ganzen Einstellung und Ansprache an die Gruppe.“
Ein Olympionike, das ist eben ein Vorbild, ob er nun tanzen kann, oder nicht. Und dann reicht auch schon mal ein strenger Blick, um der Schwerkraft noch ein kleines bisschen länger zu widerstehen.