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Zülpicher Mormonen-GruppeWas noch fehlt, ist ein Versammlungsort

Lesezeit 4 Minuten

Vor dem Gottesdienst ziehen sich alle Gläubigen die Schuhe aus und platzieren sie mehr oder weniger ordentlich im Flur.

  1. Die Mormonen-Gruppe in Zülpich möchte eine eigenständige Zweiggemeinde werden.
  2. Rund 2600 Mormonen gibt es im Rheinland.
  3. Die Zülpicher Gemeinde benötigt bald auch eine eigene Versammlungsstätte.

Zülpich – Die Schuhe werden im Flur ausgezogen. Erst dann geht es ins Wohnzimmer, das jeden Sonntag in einen großen Versammlungsraum verwandelt wird. Ein großer schwarzer Tisch ist dafür zu einer Art Altar umfunktioniert worden. Knapp 50 Mitglieder der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage haben sich im Haus von Dr. Markus Bolte im Zülpicher Neubaugebiet „Seegärten“ eingefunden, um den Ostergottesdienst der Mormonen zu feiern.

„Wir sind auf dem Weg, eine eigenständige Zweiggemeinde zu werden“, sagte Markus Rechenberg, Leiter der Mormonen-Gruppe in Zülpich. In Deutschland gebe es knapp 40 000 Mitglieder der Glaubensgemeinschaft. Im Rheinland seien es rund 2600. „Mit 170 Gemeinden gibt es in den meisten größeren Städten Versammlungsorte und Gottesdienste. Die Zülpicher gehören zur Gemeinde Bonn“, so Rechenberg.

Geht es nach ihm, ist der Weg zur Zweiggemeinde schon bald abgeschlossen. Dazu gehört aber eben auch, eine eigenständige Versammlungsstätte zu haben. „Wir stehen im Kontakt mit der Stadtverwaltung, aber auch mit Privatpersonen. Derzeit ist es aber so, dass freie Immobilien den Flüchtlingen zur Verfügung gestellt werden. Dafür haben wir natürlich Verständnis“, so Rechenberg.

Kein Alkohol, kein Kaffee, keine Zigaretten

Mitglieder der Gemeinschaft, die sich selbst „Heilige der Letzten Tage“ (in Englisch: Latter Days Saints) nennen, verstehen ihren Glauben als eine von Gott veranlasste Wiederherstellung der christlichen Kirche, die ursprünglich durch Jesus Christus gestiftet wurde. Da sich die Glaubensgemeinschaft neben der Bibel auf weitere Quellen ihres Glaubens beruft – beispielsweise das Buch Mormon –, werde sie von der römisch-katholischen Kirche und den meisten protestantischen Kirchen als synkretistische, also Religionen vermischende Neureligion angesehen, so Rechenberg.

Bei Verena Holtz ist der Glauben seit Kindheitstagen fest verankert. Wie alle anderen Mitglieder der Gemeinde trinkt sie keinen Kaffee und Alkohol und raucht auch nicht. „Daran erkennt man uns vielleicht im Alltagsleben noch am besten. Ansonsten sind wir Menschen wie andere auch“, sagt Holz mit einem Augenzwinkern. In der Schule hätten ihre Mitschüler zunächst häufig Witze über ihren Glauben gemacht, so Holtz. In der Oberstufe habe sich das geändert: „Immer wieder sagten Mitschüler, dass sie sich gewünscht hätten, nie geraucht zu haben“, sagt sie und ist dankbar für ihren Glauben.

Ein Gebet vor dem Essen

Vor ihren Mahlzeiten spricht sie immer ein leises Gebet: „Wenn ich mir im Sommer ein Eis gönne, dann natürlich nicht. Vor großen Mahlzeiten aber schon.“

Eine Stunde dauert der Gottesdienst, der zu Beginn auch einer Art Mitgliederversammlung gleichkommt. Es wird nicht nur gebetet, sondern Rechenberg nutzt die Zusammenkunft auch, um Termine und personelle Veränderungen, beispielsweise bei den Gruppenleitungen, zu verkünden. Anschließend wird in mehreren Reden auf das Leben, Sterben und die Auferstehung Christi eingegangen.

Die Kirche der Mormonen, die sich selbst als christliche Religion sieht, ist umstritten, manchmal wird sie sogar als Sekte bezeichnet. Dem widerspricht Rechenberg: „Sekten sind meist Abspaltungen anderer Kirchen. Wir glauben an die Lehren Christi und an die Neugründung der christlichen Urkirche. Wir setzen bestimmt niemanden unter Druck, aber es gibt natürlich Gebote, die wir beachten.“ Nach dem Gottesdienst, in dem zu jeder Zeit Jesus Christus im Mittelpunkt steht, finden jeden Sonntag unterschiedliche Gesprächsrunden statt – immer dem jeweiligen Alter der Gläubigen entsprechend.

„Es ist eine Art Religionsunterricht, in dem ganz offen über die verschiedensten Glaubensthemen gesprochen wird“, erklärte Markus Rechenberg, der Interessenten gerne zum Gottesdienst nach Zülpich einlädt: „Jeder ist bei uns herzlich willkommen.“

Keuschheit vor der Ehe

Die Glaubensgemeinschaft der Mormonen wurde im Jahr 1830 von Joseph Smith gegründet. Der Farmgehilfe betrachtete sich selbst als auserwählt, die wahre Kirche im Auftrag Gottes wiederherzustellen. Das weltweite Zentrum der Mormonen ist die Stadt Salt Lake City im amerikanischen Bundesstaat Utah. Hier ließen sich die Mormonen nach ihrer turbulenten Gründungsphase 1848 endgültig nieder.

Für Mormonen gibt es Verhaltensregeln: Aus Glaubensgründen rühren sie weder Alkohol noch Kaffee, schwarzen Tee und Zigaretten an. Zunächst war es bei ihnen üblich, dass ein Mann mehrere Frauen heiraten durfte. 1890 wurde die Vielehe jedoch vom US-amerikanischen Staat verboten. Außerdem praktizieren Mormonen die Keuschheit und völlige sexuelle Enthaltsamkeit vor der Ehe. Ein Zehntel ihres Einkommens geben sie der Kirche.