Sie kennt keinen Acht-Stunden-Tag: Marita Beuel betreibt seit 35 Jahren die Gaststätte „En d'r Kurv“ in Zülpich-Nemmenich.
JubiläumSeit 35 Jahren steht Marita Beuel „En d'r Kurv“ in Nemmenich am Zappes
War es Mut oder einfach nur Leichtsinn, als Marita Beuel einst das schon fast baufällige Haus mitten im Zülpicher Stadtteil Nemmenich gekauft hat? Jedenfalls war es eine Entscheidung mit ausgesprochen langfristigen Folgen. Ein Jahr hat es gedauert, bis das Gebäude von Grund auf saniert war, dann hat sie die Gastwirtschaft „En d'r Kurv“ eröffnet. Auf den Tag 35 Jahre ist das her, der „Geburtstag“ wird am Samstag, 9. November gefeiert. Mit den Stammgästen, versteht sich.
Mit Gastronomie hatte Marita Beuel vorher wenig am Hut, sie kam aus dem Einzelhandel. Aber als ihre Ehe in die Brüche ging, wusste sie, dass sie sich auf eigene Füße – und auf die Hinterbeine – stellen musste. Immerhin hatte sie schon als Kind gern gekocht, wie sie erzählt. Sie tut es bis heute gern, und offenbar auch gut. Denn während in vielen Dörfern die letzten Wirtschaften schließen, bleiben die Gäste Marita Beuel treu.
Wer vor dem Haus mit dem markanten Stufengiebel steht, weiß sofort, warum es „En d'r Kurv“ heißt. Es liegt tatsächlich an der Kurve mitten im Ort. Und doch muss man auf den Namen erst einmal kommen. Der sei ihr spontan eingefallen, beim Essen mit einer Freundin, berichtet die 74-jährige Gastwirtin, die von sich selbst sagt: „Ich bin nie um einen Spruch verlegen.“
An der Wand hängt in der Kneipe in Nemmenich noch ein Sparkästchen
Sie kramt einen Ordner mit alten Speisekarten hervor, zum Teil noch handgeschrieben. Kleine Kunstwerke beinahe, mit launigen Gedichten, gern in rheinischer Mundart. Eine Speisekarte gibt es mittlerweile nicht mehr – auch das eine Eigenheit der in mancherlei Hinsicht ungewöhnlichen Gaststätte. Stattdessen kommt die Wirtin an den Tisch und bespricht mit den Gästen, was es zu essen gibt.
„Das ist für die Kunden ein ganz anderer Empfang, sie fühlen sich persönlich angesprochen“, hat Marita Beuel beobachtet. Sie kocht vor allem gutbürgerlich, Rinderbraten beispielsweise oder Rouladen, und füllt damit offenbar eine Marktlücke. Seit der Corona-Pandemie hat sie die Öffnungszeiten verringert, jetzt sind es nur noch vier statt vorher sieben Tage die Woche.
„Ich habe den Acht-Stunden-Tag nicht erfunden“, beschreibt die 74-Jährige ihr Arbeitspensum. Wenn sie um 17 Uhr die schwere alte Haustür aufsperrt und die ersten Stammkunden eintrudeln, um eine Feierabendbier zu trinken, hat sie schon einen Arbeitstag hinter sich, mit Organisieren, Einkaufen, Essensvorbereitungen. Die Kegelbahn ist so gut wie ausgebucht, im Sommer finden auch Radfahrer den Weg in den Biergarten.
In der Gaststube scheint die Zeit stehengeblieben zu sein
In der Gaststube scheint die Zeit stehengeblieben zu sein, auch wenn die Zapfanlage modern und die Theke makellos poliert ist. An der Wand hängt immer noch ein Sparkästchen, auch wenn es längst keinen Sparclub mehr gibt.
Ein Glas mit Lutschern für die Kinder steht auf der Theke, an den Wänden hängen alte Fotos mit den Nemmenicher Tollitäten, aber auch Bilder vom Umbau. Und eine Hommage der Mitarbeiterinnen, die sie stundenweise unterstützen, an die „beste Chefin“. „Du bahnst dir deinen Weg auch durch das größte Chaos und verlierst dabei nie den Überblick“, heißt es da.
In den 35 Jahren hat Marita Beuel viele Menschen aus Nemmenich und den Nachbarorten kennengelernt, hat Taufen, Hochzeiten, Goldhochzeiten und Beerdigungen im kleinen Saal der Gaststätte ausgerichtet. Und ja, auch wenn sie zögert: Es sind auch Freundschaften entstanden über die Theke hinweg. Wenn sich ein älterer Kunde verabschiede, das sei schon schwer für sie.
„Zum Kummerkasten der Gäste bin ich aber nicht geworden, ich war ja meistens in der Küche“, sagt die Gastwirtin. Die Küche ist ihr der eine Rückzugsort, ihre Wohnung der andere, auch wenn es im gleichen Haus ist. „Ich habe keine Klingel und auch keinen Telefonanschluss“, erklärt Marita Beuel, wie sie ihre Privatsphäre verteidigt. Auch wenn sie es nach wie vor liebt, mit Menschen zusammenzusein und für sie zu kochen.
„Ich hätte vor 35 Jahren nicht gedacht, dass ich das so lange machen würde. Und jetzt kann ich mir gar nicht mehr vorstellen, es nicht zu tun“, sagt sie. Auch wenn sich die Zeiten und auch die Menschen geändert hätten: „Früher kamen die Leute hierhin, um sich zu unterhalten. Heute hat jeder sein Smartphone in der Hand, manche schicken einander Nachrichten, obwohl sie am gleichen Tisch sitzen.“