Die Hilfe nimmt kein Ende: Auch zwei Jahre nach der Flut sind Sabine und Hans Mießeler unermüdlich für Betroffene im Einsatz.
WiederaufbauEhepaar aus Hellenthal kümmert sich um Flutopfer, die Probleme haben
„Wäre ich mal besser nicht versichert gewesen.“ Diesen Satz hören auch Sabine und Hans Mießeler häufig. Das Ehepaar aus Hellenthal kümmert sich um diejenigen, bei denen der Wiederaufbau nicht in Gang kommt oder bei denen er stockt. Es ist der wohl deutlich kleinste Anteil der Betroffenen in den Flutgebieten.
Die Gründe, warum es nicht vorangeht, sind vielfältig und beschränken sich längst nicht nur auf die Versicherungen. Die finanziellen Dimensionen reichen dabei von ein paar Tausend Euro bis zu mehr als einer halben Million. Rund 15 bis 20 Fälle betreuen die beiden derzeit intensiv. Nahezu täglich kommen neue hinzu.
Einem Gastronomen aus dem Schleidener Tal können sie helfen
Manche Fälle sind so speziell, dass kein Ministerium sie hätte auf der Agenda haben können, als das Wiederaufbauprogramm aufgelegt wurde. Als Beispiel nennt Sabine Mießeler einen Gastronomen aus dem Schleidener Tal. Rund 70.000 Euro hat er ins Inventar investiert, seine Gastwirtschaft hat kurz vor der Eröffnung gestanden, als die Flut kam. Versichert ist nichts. Das Gewerbe ist nicht angemeldet. All das hat er zusammen mit der Beantragung der Schankerlaubnis zur Eröffnung erledigen wollen.
Wiederaufbauhilfe? Für einen Betrieb, der im Prinzip nicht existiert? Keine Chance? Denkste. Stunde um Stunde arbeitet Sabine Mießeler sich in die Materie ein, verschafft sich Ansprechpartner bei Stadt und IHK, tüftelt eine Lösung aus: Es sind zwar noch Auflagen zu erfüllen und eine Menge Papierkram zu erledigen, doch dann dürfte auch dieser Fall ein gutes Ende finden.
Nicht wenige Flutopfer streiten seit zwei Jahren mit ihrer Versicherung
Schnell, unkompliziert, kundenfreundlich und geräuschlos regulieren viele Versicherungen die Flutschäden. Doch es gibt nicht wenige Menschen, die sich seit zwei Jahren mit ihrer Versicherung streiten, weil die eben nicht oder nur mit deutlichen Abschlägen zahlen will.
Die lange Zeit, so die Beobachtung von Sabine und Hans Mießeler, hat manch einen zermürbt. „Die Leute sind müde und haben keine Kraft mehr“, sagt Hans Mießeler. Die Folge: Sie unterschreiben einen Vergleich. Eine gerichtliche Auseinandersetzung scheuen die meisten – solche Verfahren dauern einfach zu lange. Der Vorteil, dass das Geld von der Versicherung beim Vergleich sofort kommt, sei meist keiner, da die Summe deutlich geringer als der Schaden sei.
Team Mießeler hilft bei Gutachten, Anträgen und Schriftverkehr
Ein Gegengutachten eines unabhängigen Sachverständigen zu einem von einer Versicherung beauftragten Gutachter sei häufig empfehlenswert, sagt Sabine Mießeler. Und ja, Team Mießeler hat Kontakt zu Experten, die auch mal ein kostenfreies Gutachten erstellen, wenn die Not groß ist.
Gutachten sowie Formulare, Anträge und Schriftverkehr, ob mit Versicherungen oder Behörden, sind in der Regel in bestem Verwaltungs- und/oder Juristendeutsch verfasst. Selbst für Muttersprachler ist das zuweilen nicht auf Anhieb verständlich. Nicht-Muttersprachler sind da chancenlos. Nach 41 Dienstjahren in der Verwaltung bei der Gemeinde Hellenthal sind diese Formulierungen für Sabine Mießeler kein Problem.
Auch die Verfahren selbst sind für manch einen ein Buch mit sieben Siegeln: Was er wie, wo und von wem an Unterstützung erhalten kann, weiß manch einer auch zwei Jahre nach der Katastrophe nicht. Da sowohl die Recherche als auch die Antragstellung meist online geschehen, sind gerade ältere Menschen aufgeschmissen, wenn sie dabei nicht von der Familie oder aus dem Umfeld unterstützt werden.
Manche Betroffene wurden von unseriösen Firmen betrogen
Den Handwerkermangel und die Not der Menschen in den Flutgebieten nutzen einige Schwarze Schafe offenbar aus. Weit mehr als ein Dutzend Fälle sind den Mießelers inzwischen bekannt, in denen Betroffene unseriösen Firmen aufgesessen sind. In einigen Fällen seien Anzeigen erstattet, da es mutmaßlich um handfesten Betrug gehe. Juristische Verfahren dauern jedoch lange, der Schaden durch unsachgemäße oder unfertige Bauausführung soll aber möglichst schnell behoben werden.
Das Problem: Das Geld – wahlweise von der Versicherung oder der Wiederaufbauhilfe – ist weg. Hier haben auch die Mießelers keine schnelle Lösung im Köcher. Es sind Grenzfälle, die sie demnächst mit Ministerin Ina Scharrenbach erörtern wollen.
Sabine Mießeler wird nicht müde, einen Hinweis wieder und wieder zu geben, wenn ein unbekanntes Unternehmen beauftragt werden soll: „Lasst euch die Handwerkskarte zeigen!“ Die werden von den Handwerkskammern ausgestellt und weisen die Gewerke aus, für die ein Betrieb eingetragen und demnach auch qualifiziert ist.
Über die Wiederaufbauhilfe werden in der Regel 80 Prozent des Schadens beglichen. Doch angesichts der Summen von oft weit jenseits der 100.000 Euro sind die verbleibenden 20 Prozent alles andere als ein Pappenstiel. Die Summen lassen sich oft nicht mal eben so per Kredit finanzieren. Ältere bekommen die Finanzierung häufig nicht mehr. Und Jüngere auch nicht, wenn etwa der bestehende Kredit fürs Haus die Möglichkeiten bereits ausschöpft.
Manche verzichten aus Scham darauf, Wiederaufbauhilfe zu beantragen
Helfen können da die Wohlfahrtsorganisationen mit Hilfen aus den Flutspenden. Beim DRK gelten die Mießelers inzwischen als „Streetworker“. Dessen Anträge hat Sabine Mießeler in ihrer dicken Aktenmappe – dem mobilen Büro – stets dabei und hilft beim Ausfüllen.
„Andere hat's doch viel schlimmer getroffen. Ich weiß nicht, wie oft wir das gehört haben – gerade von denen, die am schwersten betroffen sind“, sagt Hans Mießeler. Die daraus resultierende Verzichtsquote auf öffentliche Hilfen hält er nach wie vor für recht hoch. Auch Anstand und Schamgefühl seien nicht zu unterschätzen. Dass es kein Zeichen von Schwäche und schon gar kein Makel sei, sich auch finanziell helfen zu lassen, müssen die Mießelers den Menschen immer wieder mal vermitteln.
Nein, die sind kein Problem. Auf die Bürgermeister, auf den Landrat und auf die Heimatministerin lassen die Mießelers nichts kommen. Auf der lokalen Ebene ist ihre Arbeit bekannt: „Wenn wir uns an Bürgermeister oder Landrat wenden, wissen die, dass die Not groß ist – und kümmern sich“, sagt Hans Mießeler.
Und die Ministerin? „Manche Fälle sind so seltsamer Natur, derer muss man sich annehmen“, habe er, so Mießeler, zu Ina Scharrenbach gesagt, als sie am Montag den Wiederaufbaubescheid nach Schleiden gebracht habe. Die Folge: Sie habe ein Treffen zugesagt, um die Art von Grenzfällen, mit denen es die Mießelers tagtäglich zu tun haben, zu erörtern.
Die roten Jacken sind das Markenzeichen der Mießelers
Die roten Jacken mit dem Aufdruck „Net schwaade, maache“ sind ihr Markenzeichen geworden. Ohne fühlen sich Sabine und Hans Mießeler inzwischen irgendwie nackt. Seit dem Tag nach der Flutkatastrophe sind sie im Einsatz: zuerst in den evangelischen Kirchen, dann viele Wochen im Verpflegungszelt in Gemünd, inzwischen als eine Art Streetworker und vor allem mit „Papierarbeit“ beschäftigt.
Die Vernetzung der zahlreichen Helfergruppen führt dazu, dass das „Team Mießeler“ längst nicht nur in Gemünd und im Schleidener Tal unterwegs ist, sondern in allen Flutgebieten im Kreis Euskirchen. Regelmäßig erhalten sie Hinweise auf einen Fall, dessen sie sich bitte mal annehmen sollen. Geholfen wird, wo tatsächlich Hilfe nötig ist – ohne Ansehen von Person, Nationalität, Status oder sonst was.
Die Papierarbeit hat mit den Anträgen auf Grundsteuerermäßigung begonnen. Handschriftlich und formlos wurden diese zunächst gestellt. Um Struktur hineinzubringen, hat Sabine Mießeler sich nach Einzelheiten erkundigt und ein Formular entworfen, das inzwischen weiträumig im Einsatz ist.
Vollzeitjob in der Fluthilfe statt beschaulichem Rentnerleben
Gemünd aber hat ihr Herz erobert – unabhängig davon, dass Hans Mießeler, langjähriger Personalratsvorsitzender der Bundeswehr in Mechernich, der seine Ausbildung zum Koch einst in Gemünd absolviert hat, eine gewisse „Vorbelastung“ mitbringt. Als ihnen der Überblick fehlte, haben sie sich Straßenkarten ausgedruckt und aneinandergeklebt. Seitdem ziehen sie regelmäßig von Haus zu Haus. Hören nach, wo der Schuh drückt, bieten Hilfe an, weisen auf Unterstützungsmöglichkeiten hin. Häufig erfahren sie Erleichterung – dass jemand da ist, der sich des Problems annimmt.
Es ist mehr als ein Vollzeitjob. „Eigentlich sind wir Tag und Nacht ansprechbar“, sagt Sabine Mießeler. Dabei könnten die 69-Jährige und ihr 66 Jahre alter Ehemann eigentlich ihr Rentnerdasein genießen. Stattdessen steht ihr Wohnmobil daheim. Eine „Erlebnisfahrt“, so Hans Mießeler, ist schon die Tour zum Tüv.
Ehrenamtlich Hilfe zu leisten, ist für sie selbstverständlich – die Kraft dafür geben sie sich gegenseitig. Wenn ihnen als Dankeschön etwa ein Fruchtcocktail in Form einer stattlichen Tüte Obst geradezu aufgenötigt wird, ist ihnen das eher unangenehm. Sehr emotionale Momente erleben sie häufig, wenn sie zu Helferfesten oder Einweihungen eingeladen werden. (rha)