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Firma betrügt beim WiederaufbauGemünder Flutopfer steht kurz vor Weihnachten vor dem Nichts

Lesezeit 7 Minuten
Ursula Lorbach schaut auf das Foto ihres Mannes.

Das Bild ihres verstorbenen Mannes Christoph betrachtet Ursula Lorbach immer wieder.

Erst hat die Flut das Haus schwer beschädigt. Dann ist Familie Lorbach beim Wiederaufbau an eine unseriöse Firma geraten. Ein Familienschicksal.

Nein, Vorfreude auf Weihnachten hat Ursula Lorbach schon 2021 nicht gehabt. Die Erinnerungen an die Flut sind noch zu frisch gewesen, ihr Haus in Mauel eine zu große Baustelle, das Übergangs-Appartement in Kall zu wenig Zuhause. Auch wenn sich Wut und Frust schon mal Bahn gebrochen haben, ist sie doch optimistisch gewesen. 2022 wird alles wieder gut.

Nun ist wieder kurz vor Weihnachten. Und nichts ist gut. Ihr Mann Christoph ist vor wenigen Wochen gestorben, das Haus immer noch eine Baustelle, die Ersparnisse sind weg. Ursula Lorbach ist am Ende.

Mein Fels in der Brandung ist weg.
Ursula Lorbach

Sie schaut immer wieder zu dem Foto ihres Mannes auf dem Esstisch. Eine Kerze brennt daneben, auf der anderen Seite steht das Räuchermännchen, das ihr Mann vor vielen Jahren gekauft hat. „Mein Fels in der Brandung ist weg“, sagt Lorbach.

Die größte Katastrophe ihres Jahres 2022 nimmt am 19. Januar ihren Anfang: Bei Christoph Lorbach, von 1997 bis 2004 Bürgermeister der Stadt Schleiden, wird Bauchspeicheldrüsenkrebs diagnostiziert. Er kämpft, lässt die Chemotherapie über sich ergehen. Aber: „Der Verstand weiß, dass es nichts mehr wird“, sagt Ursula Lorbach: „Doch die Hoffnung stirbt zuletzt.“ In seinen letzten Tagen pflegt Ursula Lorbach ihren Mann daheim. „Ich hätte ihn auf keinen Fall weggeben“, sagt sie.   Am 29. November stirbt Christoph Lorbach im Alter von 65 Jahren.

Gemünder sind an eine unseriöse Firma geraten

Im April sind die Lorbachs zurückgekehrt in ihr Haus in Mauel. In eine Baustelle: Die Zimmertüren sind noch nicht drin, die Kellerfenster noch nicht geschlossen, die Küche nicht fertig – und die Fassade ohnehin nicht. Die wird sich zum   gravierenden Problem entwickeln.

Das Ehepaar ist an eine offenbar unseriöse Firma geraten, die Gewerke ausgeführt hat, für die sie nicht qualifiziert ist. In Kontakt gekommen ist sie zu der Firma, die ihren Sitz zunächst in Köln und inzwischen nahe der Mosel hat,   im Sommer 2021 über eine Internet-Anzeige. Handwerker sind in der Region kaum zu bekommen. Und im Keller soll schnell gehandelt werden, damit sich kein Schimmel bildet: Rückbau und Sanierung sind geplant.

Wir waren so bescheuert und haben gesagt: okay.
Ursula Lorbach

Von dem, was im Erdgeschoss noch alles auf sie zukommt, ist da noch gar nicht die Rede. „Das ist scheibchenweise gekommen“, sagt Lorbach: Der Fußboden muss doch raus, die Fenster, die Klinker müssen runter. Und zu allen anstehenden Arbeiten, die die Gutachter feststellen, habe es vom Vertreter der Firma geheißen: „Kein Problem, wir machen das.“

Und die Lorbachs? Sie gelernte Ökotrophologin, er Rechtsanwalt, beide keine Ahnung vom Bau. „Wir waren so bescheuert und haben gesagt: okay“, sagt Ursula Lorbach.

Die Versicherung hat die Rechnungen bezahlt

Bei der Versicherung – das Gebäude ist versichert, der Hausrat nicht – habe ihr Mann zwar um einen Bauleiter gebeten, doch das sei abgelehnt worden. Vermutlich, weil es schlicht zu viele Betroffene gibt. Stattdessen habe sie die Kostenvoranschläge der Firma bei der Versicherung eingereicht, nach deren Genehmigung die Aufträge erteilt – und die Versicherung habe später gezahlt.

Doch ihr Bauchgefühl habe ihr gesagt, dass mit der Baustelle etwas nicht stimmt. Beim Flut-Jahrestag im Sommer bespricht sie ihren Verdacht mit Sabine Mießeler, die sie in Kontakt mit dem Bausachverständigen Wilfried Körfer aus Aachen bringt.

Sabine Mießeler zeigt auf eine Lücke in der Fassadendämmung.

Mit Rat und Tat stehen Sabine Mießeler und ihr Mann Hans auch Ursula Lorbach zur Seite, an deren Haus offenbar nicht fachgerecht gearbeitet worden ist.

Dessen Liste der Mängel scheint kein Ende zu nehmen: „Das Wärmedämmverbundsystem ist so nicht brauchbar. Die Platten sind nicht verdübelt. Der Sockel ist nicht wasserdicht. Es wurde Innenmörtel außen benutzt. Die Türzargen sind schief eingesetzt. Die Rollladenkästen sind nicht dicht.“ Und, und, und. Er berichtet vom Besuch eines Spezialisten des Dämmplatten-Herstellers: „Der kam an, stieg aus, schlug die Hände überm Kopf zusammen“, so Körfer.

Der Schaden könnte sich auf bis zu 200.000 Euro summieren

Der Firma hat Lorbach über Körfer ein Baustellenverbot erteilt. Danach seien deren Mitarbeiter nicht mehr auf der Baustelle gewesen. Trotzdem habe die Firma ihr per Whatsapp täglich über Wochen hinweg   bis Ende August   neue Rechnungen über jeweils gut 1000 Euro pro Tag für Stundenlohn der Mitarbeiter geschickt. Bezahlt hat sie die nicht. Die gesamte Whatsapp-Kommunikation – inklusive zahlreicher Sprachnachrichten – hat sie gesichert und auch an Vertraute weitergeleitet, damit sie sie in einem möglicherweise bevorstehenden Rechtsstreit vorlegen kann.

Den Schaden beziffert Körfer nach einer ersten Schätzung auf 130.000 bis 140.000, womöglich Richtung 200.000 Euro. Wer dafür wie aufkommt, ist vollkommen unklar. Die Firma muss zunächst Gelegenheiten zur Nachbesserung erhalten. Hierfür läuft am 11. Januar eine Frist ab. Lorbach und Körfer bezweifeln, dass die Firma sich bewegt – auch, da ihre Recherchen ergeben haben, dass sie bei der Handwerkskammer gar nicht registriert ist. Und sie über das Ehepaar Mießeler erfahren haben, dass es alleine in Gemünd vier weitere Betroffene gibt.

Ursula Lorbachs Zukunft ist derzeit völlig offen

Ob dann die Versicherung in einen Rechtsstreit geht? Ob sie Mittel für neue Handwerker freigibt?   All das ist offen. Ursula Lorbach steht inzwischen in Kontakt zu einer Anwältin. Doch bezahlen kann sie diese nicht für die Dauer einer langen Auseinandersetzung. Rechtsschutzversichert ist sie jedenfalls nicht – ihr Mann war ja schließlich Anwalt: „Wir waren 38 Jahre verheiratet. Er hat diese Dinge immer für uns geregelt. Darauf habe ich mich immer verlassen können.“

Stattdessen lebt sie in einem nahezu ungedämmten Haus. Erst vor wenigen Wochen ist zumindest der Rollladenkasten in ihrem Schlafzimmer notdürftig abgedichtet worden, damit es nicht mehr reinpfeift. Dennoch sind die Gasrechnungen enorm: 500 Euro, sagt Lorbach, seien jeden Monat fällig: „Ich weiß nicht, wie lange ich das durchhalte.“ Für den Schaden am Haus kann sie jedenfalls nicht aufkommen. Es sei zwar schuldenfrei, ihre Altersvorsorge. Doch die Ersparnisse sind weg, nach der Flut abgeschmolzen, etwa für die neue Einrichtung.

Ich weiß nicht, wie lange ich das durchhalte.
Ursula Lorbach

Und neue Schulden will und kann Lorbach mit 61 Jahren nicht mehr machen. In ihrem Beruf hat sie nicht gearbeitet. Durch die Kinder und die gerade in den ersten Jahren der Ehe recht häufigen Wohnortwechsel habe sich das einfach nicht ergeben. Stattdessen hat sie sich ehrenamtlich engagiert, ihr Mann das Geld verdient: „Das passte. Wir sind sehr bodenständig, unser liebster Urlaub war immer im bayerischen Wald.“

Die Pläne mit ihrem Mann fürs Alter sind zerstört, ihre eigene Zukunft völlig unklar. Nun rührt eine Geste von Sabine Mießeler sie zu Tränen – sie ist schön, sie kommt von Herzen. Die bestens vernetzte Fluthelferin bekommt zuweilen Geld geschickt, das sie Menschen geben soll, die es wirklich brauchen können. Diesmal hat Mießeler 20 Euro von einer Dame aus Dortmund einstecken, die sie über den Tisch schiebt. „Das hätte ich nie gedacht. Ich habe doch immer auf der anderen Seite gestanden“, sagt Ursula Lorbach. Und dann: „Gib es bitte jemand anders.“


Hilfe für die Gemünder

Im Versorgungszelt hat das Engagement von Sabine und Hans Mießeler wenige Tage nach der Flut in Gemünd angefangen. Als das abgebaut wurde, haben die Hellenthaler sich nicht etwa zurückgezogen, sondern sind weiterhin für die Gemünder da. „Net schwaade, maache“ ist ihr Motto, an den roten Westen sind sie leicht zu erkennen.

Inzwischen haben die Mießelers bis auf ganz wenige Ausnahmen jedem Haus einen Besuch abgestattet. Sie haben ein offenes Ohr, hören, wo der Schuh drückt. Sie helfen beim Ausfüllen von Anträgen, versuchen zu vermitteln. Nach fast anderthalb Jahren im Fluthilfe-Einsatz sind sie ausgezeichnet vernetzt.

Den Kontakt zur Politik suchen sie immer wieder – etwa am Montag, als der Vorsitzende des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses des Landtages nach Gemünd kam. Die Katastrophe präsent zu halten – und zwar nicht nur das Ahrtal und Bad Münstereifel – ist ihr großes Anliegen. Denn der Wiederaufbau wird auch in Gemünd noch sehr lange dauern. (rha)