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Flut„Wir befürchten, dass wir bei den Aufräumarbeiten noch mehr Leichen finden“

Lesezeit 7 Minuten

Aus dem Fluss müssen mehrere Fahrzeuge geborgen werden.

Schleiden-Gemünd – Die Gefühlslage der Menschen im Schleidener Tal ist an diesen Tagen schwer greifbar. Da ist die Fassungslosigkeit über das Ausmaß der Zerstörungen. Da ist die Trauer um die Toten. Die Erleichterung, dass es in so vielen Fällen bei materiellen Schäden geblieben ist. Und auch der so typische Eifeler Trotz-Optimismus, dass nun gemeinsam angepackt werden muss, um diese Krise zu meistern.

Es gab viel mehr Rettungserfolge als Misserfolge

Allein zehn Tote hat die Stadt Schleiden zu beklagen, wie viele Menschen verletzt wurden, ist noch völlig unklar. „Bis jetzt“, sagt Bürgermeister Ingo Pfennings über die Opferzahl. Und fügt an: „Das sind leider nur die bestätigten Todesfälle. Es steht zu befürchten, dass wir bei den Aufräumarbeiten noch mehr Leichen finden werden.“ Ums Leben gekommen sind die Menschen laut Pfennings „auf alle Arten, wie man in einem Hochwasser sterben kann“. Sie sind in die Strömung geraten und weggerissen worden. Sie sind in ihren Autos oder in ihrem Keller von den Wassermassen eingeschlossen worden. Und es seien auch Fälle dabei gewesen, in denen Helfer tatenlos zusehen mussten und nicht mehr eingreifen konnten.

Doch Pfennings weiß auch von Erfolgen der Retter zu berichten, die diese mit hohem persönlichen Einsatz erzielt haben. Die Feuerwehrleute etwa, die am Schleidener Kreisel Autofahrer aus der enormen Strömung, die dort herrschte, gerettet haben. Sie sind mit ihrem Feuerwehrfahrzeug so ins Wasser gefahren, dass klar war, dass sie ihr eigenes Fahrzeug werden aufgeben müssen. Doch sie haben die Menschen aus ihren Autos aufs Dach des Feuerwehrfahrzeugs ziehen und von dort retten können.

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Erst am folgenden Morgen ist das Ausmaß der Zerstörung sichtbar

Rettungsaktionen waren gerade in der Nacht zum Donnerstag jedoch vielfach nur noch mit Booten möglich. Zwei Wasserretungszüge der DLRG haben dort viel Arbeit geleistet, als mit den Mitteln der örtlichen Kräfte nichts mehr zu machen war. Mit Bussen haben die Schleidener am Mittwochabend zunächst versucht, die Menschen aus dem Tal in die Höhendörfer zu evakuieren – so lange das möglich war.

Dort standen die Dorfgemeinschaften bereit: Sie haben ihre Dorfgemeinschaftshäuser geöffnet, Stromaggregate und Gasflaschen organisiert, Verpflegung und Unterkunft geschaffen, Kleider zusammengetragen, für die, die durchnässt und nur mit dem, was sie am Leib trugen, dort angekommen sind. Dazu gab es sogar ein paar Spielsachen für die Kinder.

Erst am folgenden Morgen ist das Ausmaß der Zerstörung sichtbar. Die Menschen schauen, ob und was zu retten ist. Sie stehen zusammen, nehmen sich in den Arm, spenden sich gegenseitig Trost. Das Aufräumen beginnt, langsam. Richtig Fahrt nimmt es am Freitag auf. Schweres Gerät wird eingesetzt, um die Straßen passierbar zu machen und die zahllosen Autos, die zerstört und durcheinandergewürfelt gestrandet sind, wegzuschaffen.

Nun ist aufräumen angesagt

Bernd Peters ist da unter anderem aktiv. Er betreibt einen Biohof in Kerperscheid, ist selbst nicht von der Katastrophe betroffen. Anpacken ist für ihn eine Selbstverständlichkeit. Am Mittwoch hat er beim THW Sandsäcke gefüllt, bis auch dieser Bereich in Oberhausen evakuiert werden musste. Nun ist er mit seinem John Jan Teil des Teams „Autos räumen“: Der Gemünder Marienplatz und der Schleidener Driesch werden zu Schrottplätzen umfunktioniert.

In Gemünd herrscht an diesem Freitag nahezu allerorten Betriebsamkeit. Michael Lauterbach und Manfred Greuel von der Fahrschule an der Dreiborner Straße stehen knöcheltief im Schlamm. Versuchen, irgendwie dem Chaos Herr zu werden. Genauso wie Werner Müller vom Sportladen ein paar Häuser weiter. An die angstvollen Stunden vom Mittwoch, als das Wasser gekommen ist, denkt er immer wieder mit Schrecken zurück. Doch nun ist aufräumen angesagt, wie überall in Gemünd.

Das Inventar aus Udo Hecks Metzgerei stapelt sich schon auf der Straße. Er und seine Familie sind gleich doppelt betroffen. Das Geschäft an der Dreiborner Straße: zerstört. Das Wohnhaus in Malsbenden: zerstört. Wie hoch der Schaden ist? Das weiß noch keiner. Allein eine halbe Million, so Hecks Schätzung, könnten es nur für ihn sein.

Da ist zuweilen auch noch das ungläubige Staunen über das, was geschehen ist

Doch die Rechnung wird in diesen Tagen noch nicht aufgemacht. Da ist zuweilen auch noch das ungläubige Staunen über das, was geschehen ist. Bei Stefanie Hochgürtel etwa. Mit vier Leuten hatten sie am Mittwoch zwei Stunden Zeit, Waren in Sicherheit zu bringen. Den Keller haben sie ausgeräumt, das Erdgeschoss aber nicht. Wer hätte denn damit gerechnet, dass das Wasser drei Meter hoch steigen würde? Sie schüttelt den Kopf: „Das hätten wir locker noch geschafft zu räumen.“

Bei ihr wie bei allen Geschäftsleuten an der Dreiborner Straße wird der Müll auf der Straße gestapelt. Es gilt das Prinzip der unbürokratischen Hilfe, das Pfennings ausgerufen hat: „Abgeholt wird, was an der Straße steht.“ Schweres Gerät ist unterwegs, um die ersten Fuhren Müll aufzunehmen. Wie und wo die unzähligen Tonnen entsorgt werden? Das müsse nun organisiert werden, sagt Pfennings.

Mit Hochwasser kenne man sich aus, „aber sowas habe ich noch nicht erlebt"

Ein paar Hundert Meter weiter hat das Wasser in Malsbenden alles mit sich gerissen, wessen es habhaft werden konnte. Ein Gartenhäuschen nach dem anderen, berichtet Irmgard Lindemanns, sei vorbeigeschwommen. Gemeinsam mit einer Nachbarin hatte sie sich ins Obergeschoss geflüchtet, da das Wasser rasant stieg und stieg. „Seit 57 Jahren wohne ich nun schon hier“, sagt sie. Mit Hochwasser kenne man sich als Flussanrainer ja nun wirklich aus: „Aber sowas habe ich noch nicht erlebt.“ Doch jammern ist ihres nicht, aufgeben erst recht nicht. Zuerst wird draußen der Schlamm weggefegt – „sonst trägt man sich den ganzen Dreck ja auch noch rein“ –, dann geht’s im Haus los. Keller und Erdgeschoss haben unter Wasser gestanden, auch bei Lindemanns sind die Schäden weder abseh- noch quantifizierbar.

Die Betroffenen sind mit all der Arbeit aber nicht allein. Groß ist zudem die Hilfsbereitschaft – egal, ob im Großen oder im Kleinen mit angepackt wird. Am Freitag rollt die sogenannte überörtliche Hilfe ins Tal: Die Bundeswehr ist zunächst mit zwei schweren Räumfahrzeugen am Start, der Verbindungsoffizier klärt ab, wie weiter geholfen werden kann. Aus dem Ruhrgebiet rollt eine Feuerwehr-Bereitschaft an: 90 Einsatzkräfte und 33 Fahrzeuge sind das, die sich vor allem autark organisieren. Sie können dafür sorgen, dass die erschöpften Feuerwehrleute der Stadt mal eine so dringend benötigte Verschnaufpause erhalten.

Jeder hilft jeden in dieser Zeit

Und dann ist da die Bundespolizei. Auch deren Kontingente hat die Stadt angefordert. Gerade in Gemünd sperren die Polizisten den Ort für sämtlichen Verkehr ab, der dort nichts verloren hat. Weil Autobahnen gesperrt sind, hat sich laut Pfennings der Verkehr deutlich erhöht. Allerdings seien auch zahlreiche Trümmertouristen dabei: „Die fahren dann die Urftseestraße rauf und runter und bringen den Verkehr zum Erliegen“, so der Bürgermeister konsterniert. Und potenzielle Helfer, die sich „mit Flip-Flops und ner Schaufel“ auf den Weg machen, seien zwar nett – doch gebraucht werden die nicht. Über Plünderungen, so Pfennings, habe er jedoch bislang keine Erkenntnisse.

Dass Familien und Freunde sich gegenseitig unterstützen, versteht sich eigentlich von selbst. Doch es sind auch Menschen, die sich zuvor noch nie begegnet waren, die Seite an Seite den Schlamm wegfegen. Oder die mit dem Auto durch die Straßen fahren, schauen, wo gearbeitet wird und den Kopf aus dem Fenster strecken: „Möchte jemand Kaffee oder abgekochtes Wasser?“ Das haben die beiden Frauen aus Herhahn geladen. Gerade Kaffee ist hochwillkommen, wo doch der Strom und Wasser fehlen, selbst welchen zuzubereiten.

Nun gilt es, vom Rettungs- in den Hilfseinsatz umzuschalten

Für den Bürgermeister und die Führungsmannschaft gilt es nun, vom Rettungs- in den Hilfseinsatz umzuschalten. Dazu gehört auch, dass nun die Statiker alle Hände voll zu tun haben. Die Wassermassen haben Straßen und Brücken arg zugesetzt – ob die alle zu halten sind, ist völlig ungewiss. Es muss nun überprüft werden, welche Häuser sanier werden müssen und welche nicht zu retten sind.

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Und dazu gehört die Verpflegung. „Ich denke, dass kein Geschäft im Stadtgebiet mehr intakt ist. Die Lebensmittelversorgung liegt komplett danieder“, sagt Pfennings. Da gilt es, ein System aufzubauen, die Menschen zu verpflegen, die nun in ihre Häuser zurückkehren – sich aber nicht versorgen können. Zunächst wird in der Realschul-Mensa eine Stelle eingerichtet, in der sie sich Speisen abholen können. Im weiteren Verlauf sollen auch Gulaschkanonen-Trupps installiert werden, die das Essen direkt zu den Menschen bringen können – und das im großen Stil, da es so viele Betroffene sind. Von x-Hunderten spricht Pfennnings, so genau weiß es schlicht noch niemand.

Trotz der schwer fassbaren Schäden zeigt sich: In Notzeiten rückt man eben zusammen. Landwirt Peters fasst es mit einem Lächeln zusammen: „Wir sind Eifeler.“

Wer den Menschen in der Stadt Schleiden helfen möchte, kann sich an die Stadt wenden unter Tel. 02445/98-470 oder per E-Mail: hochwasser@schleiden.de