Die Gemünderin Taekwondo-Sportlerin Jessica Rau muss überraschend ihre Karriere beenden. Im Gespräch spricht sie unter Tränen über die Gründe.
Entschluss unter TränenDarum beendet die Gemünderin Jessica Rau ihre Karriere
Erst kommt die Luftnot, dann fließen die Tränen. Jessica Rau ist fertig – ihr Körper streikt, ihre Seele ist dunkel. Die Treppenstufen zur Sporthalle in Gemünd geben ihr den Rest, setzen ihr stärker zu als jeder Taekwondo-Tritt. An Leistungssport ist im Moment nicht zu denken.
Deshalb hat die 29-Jährige einen Entschluss gefasst: „Ich beende meine aktive Karriere. Ich bin körperlich nicht mehr in der Lage zu Leistungssport“, sagt sie unter Tränen. Es werden nicht die letzten an diesem Nachmittag sein.
Gemünder Sportlerin Jessica Rau erkrankte an Corona
Rückblick: Im Mai 2022 erkrankt die Eifelerin an Corona. „Ich hatte Fieber, Husten und litt unter Kurzatmigkeit“, erinnert sie sich. Während Fieber und Husten wieder verschwinden, bleibt die Kurzatmigkeit. An Ausdauertraining war und ist nicht zu denken.
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„Ich habe mich in den Pausen nach den Übungen nicht mehr regeneriert. Das ist mit einem Wettkampf nicht zu vereinbaren“, sagt Rau, die von den Leserinnen und Lesern dieser Zeitung vor zwei Jahren zur Sportlerin des Jahrzehnts gewählt worden war.
Bei einem Wanderurlaub habe sie erstmals gemerkt, dass etwas nicht in Ordnung sein könnte. „Ich bin da einfach nicht hochgekommen“, sagt Rau. Die Ziele im Training habe sie auch nicht mehr erreicht. Doch Rau kämpft. Wie so oft in ihrem Leben.
Zunächst sagt sie nur die Teilnahme an der Deutschen Meisterschaft ab, vertröstet sich auf die German Open im Februar. Wieder beginnt der Kampf. Vor allem gegen sich selbst und den eigenen Körper. Doch der Gegner ist nicht der innere Schweinehund, sondern ein Virus. Und das stellt sich als stärker heraus als die 1,60 Meter große Power-Frau. Der bleibt nichts anderes übrig, als auch die German Open abzusagen.
Tief in ihr drin reift im November des vergangenen Jahres schließlich der Entschluss, den auszusprechen auch zwei Monate später noch schwerfällt: Das war’s. Keine Wettkämpfe mehr auf der Matte, sondern höchstens noch daneben. Als Trainerin. „Zunächst habe ich meine Eltern eingeweiht, dann meinen Trainer Sammy. Dann meinen Freund.
Alle haben gesagt, dass es die richtige Entscheidung ist“, sagt die Taekwondo-Sportlerin. Wieder kämpft sie mit den Tränen und sagt dann fast schon trotzig: „Ich bin mit mir im Reinen, weil sich neue Ebenen aufgetan haben.“
Die zweifache Europameisterin und 15-fache Deutsche Meisterin wird dem Taekwondo erhalten bleiben. Wenn auch auf anderer Ebene. Die 29-Jährige ist nun Landestrainerin und bereitet ihre Schützlinge gerade für die Europameisterschaft in Zagreb vor – jenem Ort, an dem Rau ihren größten Erfolg feierte. „Ich kann mein Wissen weitergeben. Das ist unheimlich schön und wichtig für mich“, sagt die Leiterin des Fachdienstes Familienpflege bei der Caritas in Schleiden.
Jessica Rau findet in der Arbeit und als Trainerin eine neue Berufung
Die Arbeit sei unheimlich erfüllend, mache ihr Spaß. Zudem ist Rau nun Vorsitzende des Kuratoriums der Bürgerstiftung in Schleiden für den Bereich Sport: „In meinem Leben hat in vielen Bereichen ein Perspektivwechsel stattgefunden. Das ist so traurig wie schön.“
Aktuell verbringt Rau fast mehr Zeit auf der Autobahn als in der Sporthalle. Am Wochenende geht es für sie beispielsweise wieder nach Essen. Training mit den Besten des Landes steht auf dem Programm. 35 Taekwondo-Sportler hat sie unter ihren Fittichen.
Als Taekwondo-Trainerin viel nervöser als als Sportlerin
Bei der Deutschen Meisterschaft belegte ein Teil ihrer Schützlinge in der Freestyle-Teamwertung den dritten Platz. „Ich war viel nervöser als als Sportlerin. Ich kann ja nichts machen“, sagt die Sozialpädagogin: „Das Ergebnis macht mich unheimlich stolz.“
Und wie war das so im November und im Dezember, als ihr Entschluss feststand? „Ich war gereizt. Mir fehlte der Ausgleich“, sagt die Gemünderin. Immer wieder habe sie ihre Medaillen aus der Schublade geholt.
Hobby Taekwondo wird für Rau zur Leidenschaft
Immer wieder habe sie Berichte über ihre Erfolge gelesen. Es sei eine Qual gewesen. Eine, die notwendig gewesen sei, um sich aktiv mit dem Karriereende auseinanderzusetzen. Dann habe sie Sport gemacht. „Krafttraining geht ja noch“, sagt sie augenzwinkernd. Und anschließend habe sie sich in die Trainingsarbeit gestürzt. „Ich habe mir“, so Rau, „einfach Beschäftigung gesucht, damit ich nicht so viel nachdenken musste.“
Taekwondo ist seit Juli 2000 Bestandteil ihres Lebens, sagt Rau, die eigentlich Tanzen zu ihrem Hobby machen wollte. Stattdessen wurde es Kampfsport. Der war viel mehr als nur Hobby und ist auch nach dem Karriereende pure Leidenschaft.
Und dann kommt er wieder hervor, der Kampfgeist. Als die nächsten Tränen weggewischt sind, sagt die Sportlerin, die auch im Team mit Jana Abt und Sabrina Pütz sehr erfolgreich war: „Wir als Team haben uns überlegt, dass wir in vier Jahren wieder zusammen auf der Matte stehen.“
In vier Jahren sei auch Abt 30 Jahre alt, dann könne das Trio in der Seniorenklasse antreten. „Wer weiß, was in vier Jahren ist. Ich habe es geschafft, mein Asthma wegzutrainieren. Vielleicht gelingt mir das auch mit Long Covid“, sagt Rau kämpferisch.
Enorme Titelsammlung
91-mal stand Jessica Rau auf dem Podest – national und international. Zweimal wurde die Gemünderin Taekwondo-Europameisterin, einmal holte sie Bronze. Bei der Weltmeisterschaft in Peru belegte die heute 29-Jährige den sechsten Platz.
Allein 15-mal wurde die Kampfsportlerin Deutsche Meisterin. Von den Leserinnen und Lesern dieser Zeitung wurde sie seit 2015 immer mindestens aufs Podium bei der Sportlerwahl gehievt. Im vergangenen Jahr kürten die Leser sie sogar zur Sportlerin des Jahrzehnts. Jetzt beendet Rau ihre Karriere. Der Grund: die Folgen einer Corona-Infektion.
Doch dem Taekwondo-Sport bleibt die 29-Jährige treu. Unter anderem trainiert sie die Talente des NRW-Landeskaders. Aber sie hat auch noch zwei Herzensthemen: In Vogelsang leitet die Sozialpädagogin das Projekt „Integration durch Sport“ und trainiert geflüchtete Frauen und deren Kinder. „Das macht unheimlich Spaß“, sagt Rau.
In Gemünd steht sie zudem mit einer besonderen Taekwondo-Akteurin auf der Matte. „Meine Schülerin ist gehörlos. Ich habe mir eigens Gebärdensprache beigebracht“, berichtet Rau: „Ich kommuniziere auch immer wieder mit den Augen mit ihr. Wenn sie fokussiert bleibt, ist sie eine hervorragende Sportlerin. Die Reize sind immer ablenkend, aber wir bekommen das schon gut hin.“