Der Kölner Biologe Björn Schumacher beschäftigt sich mit den Ursachen des Alterns und den Herausforderungen einer alternden Gesellschaft. Jutta Laege sprach mit ihm über die Zukunftsaussichten der Alten.
Kölner AltersforscherWerden wir in Zukunft länger leben?
Unsere Gesellschaft wird immer älter. Wird sie auch besser älter?
Die Lebenserwartung hat sich in den letzten 150 Jahren verdoppelt. Da waren zwei Faktoren maßgeblich: Zum einen hat sich die Kindersterblichkeit dramatisch vermindert. Zum zweiten ist im Laufe des 20. Jahrhunderts das Sterberisiko auch im Erwachsenenalter massiv nach unten gegangen, vor allem weil sich die Gesundheit der Menschen mittleren Alters verbessert hat. Deswegen kann man durchaus sagen: Ja, wir altern besser. Die, nennen wir es mal, „rote Zone“ beginnt heute so wirklich ab 65, 70 Jahren. Ab da steigt das Sterberisiko sehr stark an.
Warum oder wodurch hat sich die Gesundheit verbessert?
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Die Todeszahlen haben sich durch Impfstoffe sehr stark vermindert. Dazu kommt die Verbesserung der Lebensumstände, die Ernährungsversorgung ist besser geworden. Und maßgeblich beigetragen haben natürlich Fortschritte in der Medizin und in der Hygiene.
Warum altern wir überhaupt?
Wir altern, weil alle biologischen Strukturen in uns ständig beschädigt und immer wieder repariert werden müssen. Unser Körper ist eigentlich nur darauf ausgelegt, drei oder vier Jahrzehnte durchzuhalten. So lange, bis die nächste Generation übernehmen konnte. Aber für danach sind wir eigentlich nicht ausgelegt. Deswegen werden wir krank, wenn wir altern, weil unsere Reparatur, unsere Erhaltungssysteme nicht gut genug sind, um uns für langen Lebensdauern gesund zu halten.
Wer alt wird, verweist gerne auf „die guten Gene“. Was können Sie aus Forschungssicht dazu sagen?
Eine Garantie gibt es nie. Es gibt einen genetischen Anteil an der Langlebigkeit. Der wird auf 20 bis 30 Prozent geschätzt. Grundlage dafür waren die Zwillingsstudien. Eineiige Zwillinge, die genetisch ja gleich sind, können durchaus unterschiedlich altern. Am Anfang ihres Lebens sind sie nicht auseinanderzuhalten, aber mit zunehmendem Alter doch, weil Umweltfaktoren eine ganz entscheidende Rolle spielen und zu einem großen Teil festlegen, wie wir altern.
Heutzutage wird neben dem chronologischen auch das biologische Alter bewertet.
Das chronologische Alter lesen wir am Pass ab. Das biologische Alter kann ganz anders sein. Menschen altern unterschiedlich, zum einen wegen ihrer Gene, aber zum viel größeren Teil wegen der Einflüsse, denen sie im Leben ausgesetzt sind. Es ist wichtig, dass wir erkennen, wie alt wir biologisch sind, denn daran lässt sich auch das Risiko altersbedingter Erkrankungen ablesen. Mit Hilfe von molekularen Markern kann man heute messen, wie alt man biologisch ist und wiewir durch bestimmte Verhaltensweisen oder Lebensstiländerung das biologische Alter positiv beeinflussen.
Im Internet kann man sein biologisches Alter und damit seine Zukunft auch selbst errechnen. Ist das seriös?
Es spricht nichts dagegen, aber es kommt darauf an, was man damit anfängt. Das machen beispielsweise auch Versicherungsunternehmen für ihre Statistiken. Was spannend ist: In den Niederlanden und in Großbritannien hat man herausgefunden, dass die 25 Prozent der unteren Einkommensklasse im Vergleich zu den 25 Prozent der Topverdiener eine um neun Jahre geringere Lebenserwartung haben und 14 Jahre früher krank werden. Das hat nichts mit dem Geld zu tun, sondern mit den Lebensumständen. Das heißt aber nicht, dass es in diesen Gruppen nicht auch sehr langlebige oder kurzlebige Schicksale geben kann. Für das gesunde Älterwerden des einzelnen bedeutet solche Berechnungen erstmal nicht viel.
Dennoch verbirgt sich dahinter eine gesellschaftliche Problematik, wenn gerade die sozial schwächeren Schichten betroffen sind?
In der Tat findet man die, die sich ungesünder verhalten, häufiger unter denen, die gering verdienen. Deswegen hat Alternsforschung durchaus mit sozialer Gerechtigkeit zu tun. Wir sollten uns bewusst sein, wie riesig das Problem ist, vor dem wir stehen. Bis 2035 wird die Hälfte unserer Bevölkerung über 65 sein. Und davon werden über 50 Prozent mindestens zwei chronische Krankheiten gleichzeitig haben.
Düstere Zukunftsaussichten…
Ja. Schon heute entfällt die Hälfte der Gesundheitsausgaben auf die über 65-Jährigen. Das können wir als Gesellschaft überhaupt nicht leisten. Und deswegen müssen wir unbedingt dazu kommen, dass wir Gesundheit ins Alter bringen, lebenslange Gesundheit haben. Und in der Tat: Wir müssen ran an die Bevölkerung, die besonders ungesund lebt.
Wird die Alternsforschung zu wenig gehört?
Das Thema kommt in der politischen Diskussion gar nicht vor. Es wird vollkommen totgeschwiegen.
Ihr Lösungsansatz ist die Prävention. Wo sollte die ansetzen?
Zuallererst bei der Ernährung. Vor einigen Jahren hat eine erste klinische Studie in den USA gezeigt, dass eine relativ milde Kalorien-Reduzierung von nur 12,5 Prozent nach 24 Monaten wirklich positive Effekte auch auf das Immunsystem hat. Auch Intervallfasten ist gut geeignet. Es hat sich herausgestellt, dass die meisten Menschen das sehr gut können und es sich relativ gut in den Alltag einbauen lässt. Und dann, ganz wichtig: Sport, Bewegung. Egal ob zwei Stunden am Wochenende intensiv oder jeden Tag eine halbe Stunde. Das ist die Intervention, die wirklich immer positive Effekte hat. Und zwar in jeder Lebensphase.
Todesursache Nummer eins sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen? Bleibt es in Zukunft bei diesem „Erbe“ oder kann die nächste Generation vorbeugen?
Die Frage ist weniger die der Vererbung sondern die der Risiko-Minimierung. Bluthochdruck ist ein ganz entscheidender Faktor, nicht nur für Herz-Kreislauf-, sondern auch für andere Erkrankungen im Alter. Es ist wichtig, dass man da interveniert. Eben durch ein Sportprogramm oder Änderung seiner Verhaltensweisen.
Für einige dürfte sich das unlösbar anhören.
Viele Menschen können das nicht umsetzen. Deshalb spielen in der Medizin vorbeugende Behandlungen wie Blutdrucksenker eine ganz wichtige Rolle. Und neuerdings auch die Abnehmspritzen. Die sind, ursprünglich ja als Medikament für Diabetes Typ II entwickelt worden, nicht nur wichtig im Kampf gegen den großen Krankheitsfaktor Übergewicht, sondern schützen auch vor anderen Krankheiten des Alterns, wie Herz-Kreislauf oder Nieren-Erkrankungen. Inzwischen gibt es sogar Erkenntnisse, dass sie auch Alzheimerrisiken senken können.
Ist also die Abnehmspritze in Zukunft ein Garant für das Älterwerden, bzw. gesundes Älterwerden?
Bei Menschen, die übergewichtig sind, stimmt das. Ob die Abnehmspritze auch gesunden Menschen helfen kann, wissen wir nicht. Dazu laufen derzeit Studien.
Ebenso wichtig wie körperliche ist die mentale Gesundheit. Wie wird da die Zukunft aussehen?
Die mentale Gesundheit ist schwieriger zu greifen als Bluthochdruck oder Fettleibigkeit. Aber die kann ich durch gesunden Lebensstil sowie durch Sport und Bwegung erhalten. Es hat sich auch gezeigt, dass Menschen, die ein positiveres Bild vom Älterwerden haben, gesünder bleiben. Auch wenn das natürlich von vielen physischen, physischen und sozio-ökonomischen Faktoren abhängt.
Die Folgen der Corona-Pandemie waren auch psychische Belastungen wie Einsamkeit, Depressionen, sozialer Rückzug. Wird sich das auf das Älterwerden auswirken?
Das ist durchaus möglich. Es gibt da mehrere Aspekte. Der erste ist Long COVID, was ein erhebliches Gesundheitsproblem darstellt und immense Vereinsamung zur Folge hat. Die zweite Ebene ist die Einsamkeit, die in der Pandemie Menschen unglücklich und passiv gemacht hat. Vereinsamte Menschen sind eher die, die nicht laufen, die keinen Sport machen, die nicht körperlich aktiv sind. Soziale Aktivität und körperliche Aktivität haben oft miteinander zu tun. Vereinsamung hat am Ende Auswirkungen auf die gesamte Gesundheit. Und die sind durch die Pandemie durchaus vorangeschritten. Und bei älteren Menschen ist körperliche und geistige Aktivität mit positiven Auswirkungen ganz eng verknüpft. Wenn das nicht mehr stattfindet, kann es zu Risiken für alle möglichen altersbedingten Krankheiten kommen.
Welche Rolle nehmen KI und Digitalisierung im Prozess des Altwerdens inzwischen ein?
KI spielt in der Forschung, wie zum Beispiel in der Entwicklung der Alternsuhren, schon eine sehr große Rolle. Wie wir KI in der alternden Gesellschaft einsetzen, ist die große Herausforderung. In zehn Jahren wird ein erheblicher Teil krank sein. 50 Prozent der Bevölkerung wird über 65 Jahre alt sein, nur noch 15 Prozent zwischen 20 und 64. Das heißt, die müssen alles stemmen, für das Ganze bezahlen. Und dann kommt immer häufiger dazu, dass das Menschen im berufsfähigen Alter sind, die noch zusätzlich ihre Eltern pflegen müssen. Da ist es wichtig, dass KI und Digitalisierung wirklich Hilfestellungen geben, um diese Probleme zu lösen oder zumindest zu vermindern.
Auf einer Skala von 1 bis 10, wo sehen Sie uns damit in Deutschland?
Na ja, vielleicht auf vier. Wir brauchen viel mehr Daten aus der Bevölkerung, um zu sehen, was der Gesundheitserhaltung im Alter dient. Da sind wir in Deutschland miserabel. Das wird in skandinavischen Ländern viel besser gemacht. Da werden Gesundheitsdaten systematisch erhoben, so dass man auch erkennen kann, was gesund und was ungesund für Menschen ist.
Es bleibt also viel zu tun. Aber dennoch sind wir eine Gesellschaft, die in Zukunft noch älter werden wird, oder?
Seit den 1980er Jahren steigt die Anzahl der 100-Jährigen immer weiter an, aber die Anzahl darüber bei weitem nicht so stark. Der Rekord der Langlebigkeit ist schon 1997 aufgestellt worden, es war die Französin Jeanne Calment, sie wurde 122. Man hätte eigentlich erwartet, dass sich dieser Rekord, weil es immer mehr ältere Menschen gibt, weiter nach oben verschoben hätte.
Und das ist nicht passiert?
Nein. Und deswegen geht man davon aus, dass da Schluss ist. Man geht derzeit davon aus, dass der Mensch eine maximale Lebensspanne von knapp 120 Jahren hat, die Lebenswartung sich unterhalb von 100 Jahren einpendeln. Mit einem Maximum von 120 für die ganz besonders Langlebigen. Das Entscheidende ist, dass wir im Alter gesund sind. Im Moment ist es so, dass die Menschen im Durchschnitt am Ende ihres Lebens über zehn Jahre krank sind. Diese Krankheitsspanne zu komprimieren, ist unser Ziel. Und dass das funktionieren kann, zeigen uns die, die über 100 Jahre alt werden. Es gibt ungefähr 20 Prozent, die bleiben bis ins hohe Alter gesund, werden erst ein, zwei Jahre, bevor sie dann in hohem Alter von 110 Jahren versterben, krank. Es ist also machbar und erreichbar, dass wir wirklich lange gesund leben können.
Der große Menschheitstraum: Kann das Alter und das Altern überwunden werden?
Ob wir diese maximale Lebensspanne von 120 Jahren überwinden, steht vollkommen in den Sternen. Allerdings passiert in der Forschung sehr viel: Beispielsweise die Reprogrammierung von Körperzellen nach Shinya Yamanaka, der den Nobelpreis bekommen hat, weil er entdeckt hat, dass sich aus einer Hautzelle eine Stammzelle generieren lässt und aus der Stammzelle wieder ganz viele Zellen gemacht werden können. Dabei kommt es offenbar auch zu einer Verjüngung dieser Zelle. Das sind spannende Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung, die zum Teil auch schon in der klinischen Erprobung beispielsweise bei Parkinson, sind. Aber es ist noch Zukunftsmusik.