Christoph Nitsche erkrankte vor fünf Jahren an Covid und war damals der erste registrierte Fall in Deutschland.
„Warum muss ich jetzt der Erste sein?“„Patient 1“ redet nach fünf Jahren über seine ganz normale Corona-Infektion
Der 27. Januar war für Christoph Nitsche aus Kaufering im Landkreis Landsberg in diesem Jahr ein ganz normaler Arbeitstag. Vor fünf Jahren war das anders. Damals, am 27. Januar 2020, wurde das Leben des heute 38-Jährigen innerhalb weniger Stunden völlig auf den Kopf gestellt: Aus Christoph Nitsche wurde der erste offizielle Corona-Infizierte in Deutschland. Über diese Zeit und sein Leben danach hat er nun gesprochen. Zum ersten Mal scheut er sich dabei nicht mehr, seinen Namen in der Zeitung zu lesen und dort ein Bild von sich zu sehen. Die Tage rund um seine Coronainfektion bezeichnet er als „surreal“.
Ende Januar war Nitsche mit seiner Familie beim Skifahren in Unterammergau. An diesem Montag will er wie gewohnt nach Stockdorf im Landkreis Starnberg fahren. Dort arbeitet er beim Automobilzulieferer Webasto als Direktor im „Launch-Management“. Er plant und koordiniert die Markteinführung neuer Produkte des Herstellers von Standheizungen und Schiebedächern. Bei Webasto in Stockdorf infizierte sich Nitsche mit dem neuartigen Virus. Am 10. Januar 2020 nannte es die Weltgesundheitsorganisation WHO erstmals so: „neues Coronavirus“.
Wie alles anfing: Besuch aus China
Ein Rückblick auf ereignisreiche, ja historische Tage: Eine Kollegin aus China war am 19. Januar für drei Tage nach München gereist. Mit Nitsche nimmt sie in Stockdorf an einem Meeting teil. Sie hatte sich offenbar bei ihren Eltern mit dem Coronavirus angesteckt. Diese waren aus Wuhan bei ihr zu Besuch gewesen, wo die Corona-Pandemie ihren Ursprung hatte. Typische Covid-19-Symptome wie Fieber und Husten entwickelte die Frau erst nach ihrer Rückkehr nach China, wo sie positiv auf das Coronavirus getestet wurde.
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Webasto erfährt am Morgen des 27. Januar von ihrem positiven Befund und fängt daraufhin an, Kontakte zu identifizieren: „Patient 1“, als der Nitsche nun – anonym – bekannt wird, saß bei der Besprechung am 20. Januar in einem kleinen Raum direkt neben der Infizierten aus China. Heute erinnert er sich daran, dass er danach Erkältungssymptome und Fieber mit Schüttelfrost hatte. Nitsche nimmt damals Paracetamol, es geht ihm wieder gut. „Ich habe mich am Montag fit genug gefühlt, um in die Arbeit zu gehen“, sagt er über den 27. Januar 2020.
Gute Erinnerungen an die Quarantäne im Krankenhaus
Am frühen Morgen jenes Tages erfährt dann auch er, dass bei der Kollegin aus China das Coronavirus nachgewiesen wurde. Nitsche fährt zu seinem Hausarzt, der ihn ins Tropeninstitut nach München-Schwabing schickt. „Es war natürlich erst mal ein Schock.“ Der damals 33-Jährige fährt alleine mit seinem Auto von Kaufering in die Landeshauptstadt. Er reagiert nur noch, wie er heute sagt. Das Personal im Klinikum verhält sich abgeklärt und unaufgeregt. Es wird Fieber gemessen, Blut abgenommen, Abstriche genommen. Nitsche ist in einem Einzelzimmer mit Toilette, er fühlt sich gesund. „Mir kam das alles sehr surreal vor. Warum muss ich jetzt der erste sein, der das hat?“, fragte er sich.
Angst um sein Leben hat Nitsche nie. Der Alltag in der Klinik ist langweilig: Fieber messen, Abstriche aus Nase und Rachen, Essen, Fernsehen, Schlafen. „Ich hatte meinen Laptop dabei, konnte von dort aus ganz normal arbeiten.“ Anfangs trägt das Klinikpersonal noch Schutzanzüge, Maske und Handschuhe, doch der Umgang mit dem Corona-Patienten normalisiert sich. „Irgendwann hat mich ein Arzt dann nachts mal an die frische Luft gelassen“, erinnert sich Nitsche. Das Schlimmste an der Zeit im Klinikum sei die Trennung von der Familie gewesen. Seine Frau ist damals in der elften Woche schwanger, seine Tochter hat Geburtstag und er kann nicht mit ihr feiern.
Als „Patient 1“ bekannt: Sonst keine besonderen Vorkommnisse nach der Infektion
Als Nitsche nach 18 Tagen wieder nach Hause kommt, beginnt ganz langsam wieder der Alltag. Er wird noch regelmäßig getestet, bis nachgewiesen werden kann, dass auch der letzte Funke des Virus weg ist. Ein Spezialist in Landsberg untersucht seine Lunge und findet nichts, später lässt sich Nitsche impfen, am Coronavirus erkrankt er seitdem nicht mehr. Auch seine Familie steckte er nicht an. Seine Frau habe erst jetzt, kurz vor Weihnachten, erstmals Corona gehabt, sagt er. An Spätfolgen leidet der 38-Jährige nicht, dennoch sei im Ort das Gerücht herumgegangen, er habe Long Covid.
In seiner Familie, seinem Freundes- und Bekanntenkreis ist er als „Patient 1“ bekannt. Gelegentlich werde er immer noch so genannt, erzählt er. Natürlich, in den ersten Wochen nach seiner Infektion, hätten viele, auch Arbeitskollegen, wissen wollen, wie die Tage im Krankenhaus gewesen seien, erzählt er. Die Diskussionen um die Aufklärung über den Umgang der Politik mit dem Virus verfolgt Nitsche mit Interesse. Er hält viele getroffene Maßnahmen für richtig, einige aber auch für übertrieben. Er selbst durfte zwar noch bei der Geburt seiner zweiten Tochter im Kreißsaal dabei sein, musste aber eine Maske tragen. Seine Töchter sind heute acht und vier Jahre alt.
Keine schwere Coronainfektion
Die Zeit der Ausgangssperren hat Nitsche als weniger schlimm empfunden. „Wir hatten ein Kleinkind zu Hause, da war das kein Problem“, sagt er. Freunde und Bekannte seien von Anfang an mit ihm und seiner Familie ganz normal umgegangen. „Die wussten ja, dass ich nicht schwer krank war.“ Auch die Ärztinnen und Ärzte, die seine schwangere Frau betreuten, seien professionell mit der Situation umgegangen. Das Wort „normal“ verwendet er oft.
Die Kollegin aus China, die mit Nitsche in einer Besprechung saß und ihn dabei ansteckte, habe sich per E-Mail bei ihm gemeldet und nach seinem Wohlbefinden gefragt, erzählt er dann noch. Ob er sich an die Zeit vor fünf Jahren besonders erinnere? Nitsche denkt kurz nach und verneint. „Ich hätte selbst gar nicht gewusst, dass das fünf Jahre her ist.“