Die Bühne als zweite HeimatRudi Poensgen spielt seit 1949 Theater
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Rudi Poensgen ist jetzt 90 Jahre alt.
Der gebürtige Marmagener kann auf 70 Jahre Theatererfahrung zurückblicken.
Noch immer ist er ein gefragter Darsteller.
Nettersheim-Marmagen – Zum ersten Mal stand Rudi Poensgen mit 20 Jahren auf der Laientheaterbühne in Marmagen. Das war vor 70 Jahren. Und zuletzt im vergangenen November in „Der hat uns noch gefehlt“, einem Lustspiel in drei Akten.
Dass er schon länger keine Rollen mehr als jugendlicher Liebhaber angeboten bekommt – nun ja, auch damit kann er leben. Rudi Poensgen ist schließlich 90, und da passt der Sturm und Drang vielleicht nicht mehr so ganz. Aber deshalb aufs Mitspielen in der Theatergruppe des Spielmannszuges Marmagen verzichten? Das kommt für ihn nicht infrage.
Oft Pastor, Kapitän oder Polizist
Der Laiendarstellerjubilar sitzt im Sessel im Wohnzimmer seines Elternhauses in Marmagen. Dorthin zieht es ihn und seine Lebenspartnerin aus Kornelimünster immer mal wieder. Beide sind verwitwet und haben ihre neue Liebe gefunden. Den Wohnsitz hat Rudi Poensgen so zwar geteilt – doch die Begeisterung fürs Theaterspielen natürlich nicht. Stapelweise liegen die Bühnentexte im Zimmer. Alle beinhalten Rollen, die „Traute Rütsche“, wie er im Marmagener Dialekt nach dem Vornamen seiner Mutter Gertrud genannt wird, in den vergangenen 70 Jahren gespielt hat.
„Er war oft der Pastor, der Kapitän, der Polizist, auch mal ein Miederwarenvertreter und Vollstreckungsbeamter des Finanzamtes“, berichtet Willibert Schmitz, Vorsitzender des Spielmannszuges Marmagen. Dort ist die Theatergruppe seit 1992 angesiedelt, davor waren die Schauspieler im jahrzehntelang bestehenden christlichen Josefsverein beheimatet.
Alljährliches Theaterstück ohne Poensgen unvorstellbar
Das alljährliche Theaterstück ohne eine Rolle für Rudi Poensgen? Das scheint in Marmagen unvorstellbar. Dabei hatte das ganze Drama mit den Dramen eher belanglos angefangen, jedenfalls stellt es der Hobbyakteur im Rückblick so dar. „Der damalige Vorsitzende des Josefsvereins sprach mich 1949 einfach an“, so Rudi Poensgen. Er und ein paar Kumpels sagten zu. „Weil mir das Spaß gemacht hat zu spielen. Von Anfang an. Das ist bis heute so geblieben“, so Poensgen. Offenbar ist er ein Naturtalent, denn „Traute Rütsche“ auf der Bühne ist beim Publikum immer ein Garant für Stegreifwitze, er hat ein natürliches Gefühl für Situationskomik und Mutterwitz.
Man habe zunächst bis Anfang der 1950er-Jahre im Saal der Gaststätte Kranz (heute der Eifeler Hof, der leider geschlossen ist) gespielt, später auch in der Gaststätte von Gustav Schmidt, seinem Kumpel, erinnert sich Poensgen. Doch dann wurden die Aktivitäten immer weniger, bis Mitte der 1950er-Jahre der damalige neue Pfarrer von Marmagen, Erich Froitzheim, die Geschicke der Bühne für kurze Zeit leitete.
Immer dabei und auf der Bühne
Danach gab es erneut eine – dieses Mal jedoch lange – Spielpause, die von Mitte der 1970er-Jahre bis 1992 dauerte. In dem Jahr übernahm der Spielmannszug anlässlich eines Vereinsjubiläums mit einer Theateraufführung beim traditionellen Pfarrfest („Dicke-Bohnen-Fest“) die Laienspielerschar und führt sie bis heute als Theatergruppe weiter.
Rudi Poensgen, der gelernte Waldarbeiter, der auch im Blasorchester Marmagen, im Schützen- und im Karnevalsverein viele Jahre aktiv war, in der Löschgruppe der Feuerwehr ohnehin, blieb immer dabei und auf der Bühne. „Die Talmühle“ oder „Wenn der Hahn kräht“ hießen die frühen Stücke. Bis heute sind es Komödien oder Dramen mit wenig Tiefgang, aber hohem Unterhaltungswert, die seit 2002 im Marmagener Dialekt gespielt werden.
Schnäpse sind Tradition
Noch etwas hat sich in all den Jahren nicht geändert. Rudi Poensgen bekommt, wenn er auf die Bühne kommt, erstmal einen Schnaps, den er mit einem Witz gerne verdoppelt: „Auf einem Bein kann man nicht stehen!“ Diese Spirituosengabe hat mittlerweile Tradition, und Rudi Poensgen ist in diesen Momenten durchaus Publikumsliebling wie einst Willy Millowitsch in Köln.
Sein komisches Talent hat Poensgen nicht nur dem Theaterverein vorbehalten. Über 44 Jahre, wie er meint, war er mit Gustav Schmidt als „Die Bibbies“ eine feste Größe im Karneval seines Heimatortes. Poensgen spielte den Dorfpolizisten, der das zurückliegende Jahr in Marmagen bissig und witzig kommentierte.
„Wenn die Pointe zündet – das ist doch das Größte.“
So bestimmten die Bühnen über viele Jahre seinen Jahresverlauf: Start der Theaterproben im Spätsommer, Premiere im November und dann bis Aschermittwoch närrisches Zwiegespräch im Karneval.
Mit 90 geht Poensgen es zwar etwas ruhiger an. Doch der letzte Vorhang ist, wenn es nach ihm geht, noch lange nicht gefallen. Und dann sind ja noch seine beiden Töchter da, die das Theatergen vom Vater geerbt haben. Auch sie gehören zur Marmagener Theatergruppe.
Hat er in den Jahrzehnten eine Lieblingsrolle gehabt? Poensgen überlegt. Und überlegt. Eine konkrete Rolle ist es wohl eher nicht. Dann fällt ihm etwas anderes ein: „Es ist doch so: Wenn du da auf der Bühne stehst, die Leute warten auf die Pointe, und die Pointe zündet – das ist doch das Größte.“