Nach jahrelanger Bauzeit geht die neue Einheitliche Leitstelle des Kreises Euskirchen in Betrieb. Laut Landrat Markus Ramers dürfte sie eine der modernsten in Deutschland sein.
Modernste TechnikDie neue Rettungsleitstelle des Kreises Euskirchen geht in Betrieb

In der neuen Leitstelle gibt es acht Disponenten-Plätze für den Regeldienst. Wenn nötig, können drei weitere Plätze zugeschaltet werden. Große Bildschirme an der Wand informieren über Einsatzlagen.
Copyright: Tom Steinicke
Der Countdown läuft. Auf den immens langen und verwinkelten Fluren erledigen Techniker und Handwerker finale Arbeiten und ärgern sich, dass der Aufzug gerade defekt ist. Ansonsten herrscht Stille. Das wird sich am Montag ändern. Dann ziehen die Einheitliche Leitstelle des Kreises Euskirchen und die Abteilung Gefahrenabwehr um in die für sie reservierte Etage im Kreishausanbau. Und ein Projekt findet seinen Abschluss, das 2018 mit der Grundsatzentscheidung zum Neubau begonnen hat.
Denn die gestiegenen Anforderungen an eine moderne Rettungsleitstelle und eine damit einhergehende Raumnot waren maßgebliche Gründe für den Neubau, der mit Kosten in Höhe von rund 45 Millionen Euro deutlich teurer als die ursprünglich veranschlagten 33 Millionen Euro geworden ist.
Während des Umzugs werden zur Sicherheit beide Leitstellen in Betrieb sein
Mit einem großen roten Button an einem Stehtisch im futuristisch anmutenden Zentrum der hoch technisierten Leitstelle geben Landrat Markus Ramers, Geschäftsbereichsleiterin Julia Baron, Martin Fehrmann als Leiter der Abteilung Gefahrenabwehr und Markus Neuburg, Chef der Leitstelle, vor Pressevertretern vorab den symbolischen Startschuss.
Am Montag, wenn die erste Schicht Disponenten die Arbeit an den insgesamt elf Leitstellenpulten aufnimmt, wäre dazu keine Gelegenheit. Ein Parallelbetrieb wird dafür sorgen, dass in der Umzugs- und Anfangsphase der geregelte Betrieb weiter- und kein Notruf ins Leere läuft, wenn es wider Erwarten doch bei der komplizierten Technik haken sollte.

Die neue Leitstelle im Anbau des Kreishauses ist fertig. Am Montag (10. März) erfolgt der Umzug. Den symbolischen Startknopf drückten vorab Martin Fehrmann (v.l.), Chef der Gefahrenabwehr im Kreis Euskirchen, Landrat Markus Ramers, Leitstellen-Chef Markus Neuburg und Fachbereichsleiterin Julia Baron, die den Krisenstab leitet.
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Ramers ist der Stolz auf das neue „Herz des Katastrophenschutzes“, die Steuerungszentrale der Leitstelle, anzusehen. „Das ist kein Protzprojekt, aber ein Meilenstein für den Bevölkerungsschutz im Kreis Euskirchen“, sagt er und verweist er darauf, dass die Vorgaben und Anforderungen an eine Rettungsleitstelle heute kaum noch zu vergleichen sind mit denen vor Jahrzehnten. Und dass auch leidvolle Erfahrungen der Flutkatastrophe 2021 in die Konzeption und den Bau eingeflossen seien.
„Damit haben wir aber jetzt sicherlich eine der modernsten Leitstellen in Deutschland“, so Ramers, um an deren Bedeutung zu erinnern: „Das ist notwendig. Hier werden täglich Menschenleben gerettet.“
Ein Blaupause für die neue Leitstelle im Kreis Euskirchen gab es nicht
Die Erleichterung darüber, dass nach dem Spatenstich für den Kreishausanbau im Dezember 2019 nun endlich der immer wieder nach hinten geschobene Umzug stattfindet, ist ihm anzusehen. Das gilt bei aller Anspannung, die Umzug und Inbetriebnahme mit sich bringen, auch für Abteilungsleiter Martin Fehrmann und Leitstellenchef Markus Neuburg.
Eine Blaupause für die Konzeption und den Bau habe es nicht gegeben. In vielen Bereichen habe man zusammen mit den Planern Neuland betreten. Daran, dass die Euskirchener Leitstelle nun ein Musterbeispiel für andere Kreise sein könnte, mag Fehrmann jetzt nicht denken: „Lassen wir uns erst mal in Betrieb gehen.“
Damit haben wir aber jetzt sicherlich eine der modernsten Leitstellen in Deutschland. Das ist notwendig. Hier werden täglich Menschenleben gerettet.
Der Blick auf den „Roten Bereich“, das lichtdurchflutete Zentrum der nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr mit den langten Bildschirmreihen der Disponentenarbeitsplätze, den riesigen Bildschirmen an den Wänden und der Kommunikationstechnik erinnert an ein kleines Raketenkontrollzentrum der NASA.
Die Räume sind so konzipiert, dass es hier auch im Betrieb still zugeht. Und trotzdem alle wissen, was wer gerade tut. Etwa der Disponent, der per Telefon einem aufgeregten Anrufer Schritt für Schritt erklärt, wie er dem vor ihm liegenden Menschen durch eine Reanimation das Leben rettet. Und dafür den Kopf frei hat, indem er per Lichtsignal am Pult den Kollegen signalisiert, dass sie parallel dazu für ihn die Koordination des Einsatzes übernehmen müssen.
Die Leitstelle ist vor physischen und digitalen Angriffen geschützt
Sicherer als in der Leitstelle, die ja auch selbst Ziel eines Angriffs werden, von einem Brand oder einer Katastrophe betroffen sein könnte, geht es vermutlich nur in einem Bunker zu. Alles ist so konzipiert, dass egal, was geschieht, der Betrieb weitergeht und es in der Rettungskette nicht zu einer Unterbrechung kommt, die Menschenleben kosten kann. Denn was eine solche Unterbrechung verursachen kann, das hat die Flutkatastrophe im Kreis Euskirchen in schrecklicher Weise vor Augen geführt.
Daher ist alles mehrfach ausgelegt. Im Jargon der Gefahrenabwehr heißt das: redundant. Fällt der Strom aus, liefern starke Akkus unterbrechungsfrei weiter Energie, bis ein Notstromaggregat angelaufen ist. Fällt das aus, schaltet sich ein anderes ein. Ist das Telefon- und Handynetz gestört, wird auf anderen Wegen, etwa per Satellit, kommuniziert.

Für die Disponenten, die im 24-Stunden-Dienst arbeiten, stehen Ruheräume zur Verfügung.
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Und bei all der Technik ist auch an das Wichtigste gedacht, den Menschen. Und das nicht nur bei den Ruheräumen, die für einen 24 Stunden-Dienst unabdingbar sind.
Tag und Nacht in hermetisch abgeriegelten Räumen und im Stress der Einsatzkoordination, aber auch der Notfälle und belastenden Situationen, mit denen sie konfrontiert werden, ist es nötig, mal kurz auf einen Balkon gehen zu können, um mittels Frischluft – oder auch einer Zigarette – den Kopf freizubekommen. Oder an einem der Trainingsgeräte im Fitnessraum die Nackenschmerzen loszuwerden, die langes und konzentriertes Arbeiten auch auf einem ergonomischen Schreibtischstuhl mit sich bringen kann.
Jährlich gehen 53.000 Notrufe in der Euskirchener Leitstelle ein
Das Pensum, das die Leitstelle im Kreis Euskirchen zu bewältigen hat, hat sich in den Jahrzehnten mehr als verzehnfacht. Waren es vor 50 Jahren jährlich 4000 Einsätze, so liegt die Zahl heute bei 42.000 Einsätzen und die der eingehenden Notrufe aktuell bei 53.000 pro Jahr.
Um ein solches Pensum bewältigen zu können, gehören 38 Mitarbeiter der Leitstelle an. Im 24-Stunden-Dienst sind fünf Mitarbeiter sowie ein zusätzlicher im 12-Stunden-Dienst vor Ort, da tagsüber das Gros der Rettungsdiensteinsätze stattfindet.
Den Disponenten stehen im Großraum acht Leitstellenpulte sowie bei Bedarf drei weitere in einem gesonderten Raum zur Verfügung. Die könnten auch von Disponenten der Kreise Heinsberg und Düren besetzt werden, wenn es dort etwa zum Ausfall einer Rettungsleitstelle käme.
Da Katastrophen und Großeinsatzlagen oft mit sehr vielen Notrufen einhergehen, sind in einem weiteren Raum ähnlich wie in einem Callcenter sechs Notrufabfrageplätze eingerichtet, die von Mitarbeitern der Leitstelle besetzt werden, die bei Bedarf aus der Freizeit geholt werden können.
Auch geschützt gegen Sprengstoffexplosion, Brände und Katstrophen
Der 1500 Quadratmeter große Bereich der Abteilung Gefahrenabwehr im Kreishausanbau, zu dem die Leitstelle gehört, ist vom Jobcenter, der Jugendberufsagentur und den anderen Abteilungen der Kreisverwaltung, die im Neubau untergebracht sind, abgeriegelt. Er kann durch die schussfesten Türen nur von autorisierten Mitarbeitern betreten werden. Und er ist speziell gegen Anschläge, Brände oder Naturkatastrophen geschützt. Selbst ein Sprengkörper, der in einer der unteren Etagen gezündet würde, soll den Leitstellenbetrieb nicht unterbrechen.
Um immer einen Plan B zu haben, gibt es zwei redundante Technikzentralen, zwei unabhängige Notstromversorgungen und einen Grauwassertank auf dem Dach. Gesichert ist die Leitstelle auch digital, etwa gegen Cyberangriffe. Das alles hat seinen Preis: Allein die Leitstellentechnik schlug bei den Baukosten mit 4,5 Millionen Euro zu Buche.
Eigene Bereiche für Führungs- und Krisenstab bei Katastrophen
Als Herz des Katastrophenschutzes bezeichnet Landrat Markus Ramers die Einheitliche Rettungsleitstelle des Kreises. Einheitlich deshalb, weil von hier aus Brandschutz, Hilfeleistung (bei Unglücksfällen und Unfällen), Katastrophenschutz und Rettungsdienst koordiniert werden.
In Fall von Großeinsatz- und Katastrophenlagen können Einsätze aus dem Kreishaus geleitet werden. Für letzteren Fall gibt es spezielle Bereiche für die beim Kreis angesiedelten Stäbe, derer sich der dann verantwortliche und den Stäben übergeordnete Landrat bedient.

Der neue Raum für den Krisenstab ist deutlich größer als der bisherige und kann erweitert werden.
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Operativ, also zur direkten Unterstützung der Einsatzleitung, arbeitet der Führungsstab. Der ist bei Einsätzen rund um die Uhr durch Führungskräfte besetzt und wird über die Leitstelle permanent mit Informationen und Lagebildern versorgt.
Daneben gibt es den Krisenstab, der jeweils bei Bedarf zusammenkommt und administrativ arbeitet. Mitglieder sind etwa die Fachbereichsleiter der Kreisverwaltung. Je nach Einsatzlage kann der Krisenstab durch spezielle interne und externe Mitglieder erweitert werden. Da er nicht rund um die Uhr zusammensitzt, wird seine Arbeit durch die kleinere Koordinierungsgruppe Krisenstab (KGS) vorbereitet, die im Einsatzfall wie der Führungsstab permanent besetzt ist.
Krisenstab kann sich notfalls ins Programm von Radio Euskirchen schalten
Beide Stäbe sind in der neuen Leitstelle in eigenen Bereichen angesiedelt und erhalten durch moderne Kommunikationsmittel und Großbildschirme ein ständiges Lagebild, etwa auch durch die Drohneneinheit des Kreises.
Enorm wichtig ist auch die Arbeit des Stabsbereichs BuMA (Bevölkerungsinformation und Medienarbeit), der dem Krisenstab angegliedert ist. Wichtige oder gar lebenswichtige Informationen müssen die Menschen schnellstmöglich erreichen können.
Im Kreis Euskirchen kann sich der BuMA über Medien und soziale Netzwerke direkt an die Bürger wenden. Eine besondere Bedeutung kommt da dem Rundfunk zu. Drängt die Zeit, etwa für Warnungen, kann der BuMA sich seit kurzem sogar aus dem Stab heraus ins Programm von Radio Euskirchen schalten.
Kreis Euskirchen plant Tag der offenen Tür im Neubau
Für Sonntag, 30. März, plant die Kreisverwaltung von 12 bis 15 Uhr einen Tag der offenen Tür im Kreishausanbau (nach Voranmeldung). Die Modalitäten werden noch bekanntgegeben.