Euskirchen – Als die ersten Sturmausläufer am Mittwoch heraufziehen, zeigen sich ein paar Sorgenfalten auf Markus Knochs Gesicht. Was, wenn die Böen tatsächlich Orkanstärke entwickeln? Wird die Plane des Zeltes halten? Werden die 160 Zentimeter tief in der Erde sitzenden Eisenanker, die das Zirkuszelt der Familie abspannen, ausreichend Halt bieten? „Geht das jetzt auch noch schief, dann war’s das, das Zelt ist unsere Existenz“, sagt der 46-Jährige, während er alles verstaut und sichert, was ansonsten noch zu Schaden kommen könnte.
Seit März 2021 hat der Familienzirkus Meik sein Quartier auf einem privaten Grundstück an der Otto-Lilienthal-Straße aufgeschlagen. Zum Unmut der Stadt Euskirchen, die in der Bebauungsplanfestsetzung für das Gebiet eigentlich keinen Zirkus duldet.
Der Inhaber des Grundstückes am Stadtrand, die Halbekann GmbH, hatte nur helfen wollen, als die Familie im Frühjahr 2021 den vorherigen Standplatz in Eicherscheid verlassen musste. Dort hatte der Zirkus Meik über Monate festgesessen – wegen der Pandemie waren plötzlich keine Vorstellungen in der Manege mehr erlaubt gewesen.
Vorläufiges Aus für den Familienzirkus durch Corona
„Wir haben schon häufig schwierige Zeiten überstanden“, sagt Vanessa Lauenburger, die mit ihrem Mann und vier der fünf Kinder normalerweise durchs Land, aber am allerliebsten durch die Eifel und das Rheinland tourt. „Aber als Corona kam, haben wir tatsächlich überlegt, alles aufzugeben, Schluss zu machen mit dem Zirkus.“
Doch dann hätten sie eine überwältigende Unterstützung aus der Bevölkerung und von der Hilfsgruppe „Eifel für Eifel“ erfahren, jede Menge Futter-, Sach- und auch Geldspenden erhalten, so dass sie sich über Wasser halten konnten.
Die starken Windböen lassen den Wohnwagen der Familie mittlerweile schwanken wie ein Schiff auf hoher See. Laura kommt herein, setzt sich auf das Sofa im Wohnzimmerbereich des Wagens. Direkt unter das Porträt ihres Großvaters, des Gründers des Zirkus Meik, der vor 22 Jahren gestorben ist.
„Er hat das alles hier aufgebaut und seinen Kindern beigebracht, dass man immer aus eigener Kraft versuchen muss, aus dem Schlamassel zu kommen“, erzählt Vanessa Lauenburger über ihren Vater. Sozialleistungen beantragen? „Nein, das kommt nicht infrage. Ich bekomme ja schon Kindergeld“, sagt die 42-Jährige.
Unterricht durch die „Schule für Circuskinder in NRW“
Sie und ihre Geschwister hätten als Zirkuskinder leider keine gute Schulausbildung erhalten. „Damals war es noch so, dass man immer in die Schule am jeweiligen Ort musste, an dem wir gastierten, und dort hat man sich nicht groß um uns gekümmert.“
Das habe sie bei ihren Kindern anders machen wollen. Die älteste Tochter, Madeleine, hat den Hauptschulabschluss gemacht. Vor Kurzem bestand die 18-jährige Laura ihre Mittlere Reife. „Ich bin ganz schön stolz“, so die Mutter. „Und es beruhigt mich, denn falls es hier irgendwann doch nicht weitergeht, dann können sich die Kinder eine andere Arbeit suchen.“
Ihren Teil zu diesem Erfolg beigetragen hat Katja Düsener, Lehrerin an der „Schule für Circuskinder in NRW“, einer staatlich anerkannten Ersatzschule der evangelischen Kirche im Rheinland. Zweimal in der Woche fährt sie in ihrem rollenden Klassenzimmer vor.
Gerade sitzen die jüngsten Kinder der Familie Lauenburger darin: Loren (12) löst eine Deutschaufgabe, Joana (9) büffelt Englisch und Samanta (7) übt lesen. Multitasking ist Voraussetzung für diese Art Lehrerjob, den Katja Düsener in der – wie sie sagt – „tollsten Schule der Welt“ machen darf. „Hier kann ich den Lehrstoff auf die Kinder zuschneiden, differenzierter kann Unterricht nicht sein“, sagt sie. Außerdem entstehe eine echte Bindung, wenn man in einer so kleinen Gruppe unterrichte, „das ist in Klassen mit bis zu 30 Kindern gar nicht möglich“.
Lamas, Ponys, ein Zebu und das Watussi-Rind Ali
Vanessa Lauenburger schaut nach den Tieren im Stallzelt, an dessen Plane der Wind ebenfalls heftig zerrt. Die Lamas, Ponys, das Zebu und das Watussi-Rind Ali wirken trotzdem entspannt. Sie drängeln sich am Gatter, um auch einen der Gemüse-Leckerbissen abzubekommen, die die 42-Jährige verteilt.
Bis vor sechs Jahren habe sie selber auf dem Seil gestanden und Luftakrobatik gemacht, sagt Lauenburger. Verlernen tue man das nicht, „das ist wie Fahrradfahren“. Trotzdem überlässt sie diesen Part in der Manege inzwischen ihren älteren Töchtern. „Ich mache jetzt lieber die Ansagen, bin die Zirkusdirektorin“, sagt sie lachend. Ihr Mann Markus schlüpft während der Vorstellungen abwechselnd in die Rolle des Clowns, des Feuerspuckers, des Jongleurs und Tierdompteurs. Ob sie sich ein anderes Leben wünsche? „Das Zirkusleben mag hart sein, aber es macht auch sehr glücklich“, sagt die 42-Jährige überzeugt.
Das sagt die Stadt Euskirchen
Zirkusquartier bisher unter sozialen Aspekten geduldet
Die Stadt Euskirchen erklärt auf Anfrage, dass die Genehmigung einer Zirkusveranstaltung oder eines Winterquartiers im Gewerbegebiet Otto-Lilienthal-Straße laut den Festsetzungen des Bebauungsplans nicht möglich sei. Neben dem Immissionsschutzrecht hat vor allem das Planungsrecht die Aufgabe, durch den Ausschluss von Freizeitanlagen – wie einem Zirkus – in bestimmten Gebieten Konflikte mit der Nachbarschaft, die durch Emissionen entstehen können, zu vermeiden und langfristig auf die städtebaulichen Ziele hinzuwirken.
Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie und unter sozialen Aspekten habe die Stadt in Abstimmung mit dem Grundstückseigentümer die Überwinterung des Zirkus Meik nicht unterbunden. „Aufgrund der künftigen Lockerungen der Corona-Regelungen und der damit verbundenen verbesserten Auftrittsmöglichkeiten wird der Zirkus in absehbarer Zeit weiterziehen“, so die Stadt Euskirchen auf Anfrage. Im Stadtgebiet stehe für Zirkusveranstaltungen der Charleviller Platz zur Verfügung. Ein Gastieren im Winter ist dort jedoch nicht möglich. (hn)
Doch was macht eigentlich eine Zirkusfamilie, die in zehnter Generation in der Manege steht und nicht auftreten darf, weil es eine Pandemie seit zwei Jahren nicht zulässt? „Wir machen uns nützlich, helfen, wo wir können“, erklärt die fünffache Mutter. Als im Sommer des vorigen Jahres die Flutkatastrophe über die Region hereinbrach, stand für das Ehepaar sofort fest: „Uns wurde geholfen, jetzt helfen wir!“
THW-Feldbetten in der Manege
Das große Zirkuszelt, in das rund 400 Zuschauer passen, wurde kurzerhand zum Unterschlupf für Fluthelfer. Auf Facebook posteten sie die Offerte, die vielfach geteilt wurde. Zeitweise schlugen THW-Helfertrupps aus Stadthagen und Springe ihre Feldbetten darin auf, „sicherlich 60 Leute, für die ich dann auch gekocht habe“, sagt Vanessa Lauenburger.
Später wurde in dem blau-roten Riesenzelt ein Spendenlager eingerichtet. Lebensmittel, Kleidung, Möbel und anfänglich auch Trinkwasser wurden hier ausgegeben. „Eigentlich von 10 bis 18 Uhr, aber die Menschen haben manchmal schon morgens um 7 Uhr an den Wohnwagen geklopft.“
Seitdem seien sie eingebunden in verschiedene Hilfstätigkeiten. „Markus fährt Spenden mit dem Lkw aus, jetzt gerade steht eine Futterlieferung für Landwirte im Ahrtal an.“ Manchmal werde er auch gebraucht, weil er einen Gabelstaplerführerschein hat. „Es sind tolle Freundschaften entstanden, wir haben Kontakte zu Menschen gewonnen, die wir nicht mehr verlieren wollen. Insgesamt eine tolle Erfahrung, wenn der Anlass nicht so schrecklich gewesen wäre.“
Den Sturm übersteht der kleine Familienzirkus dann einigermaßen unbeschadet – nur das Tierzelt hat gelitten. Es musste notdürftig geflickt werden. Mitte März wollen sie endlich wieder Manegenluft schnuppern. Wo genau, das wird sich noch zeigen müssen.