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Interview zum Guide MichelinZwei „Sterne“ leuchten über der Stadt Bonn

Lesezeit 7 Minuten

„Wir brauchen eine Perspektive“, sagt der Bonner Spitzenkoch Rainer-Maria Halbedel.

  1. Michael Sachse bilanziert den aktuellen Test des Guide Michelin und spricht mit Rainer-Maria Halbedel über das vergangene Jahr in seinem Haus und der Branche.

Das Coronavirus hat viele Abläufe verändert. Insbesondere in der Gastronomie haben die Pandemie und der einhergehende Lockdown Spuren hinterlassen. Obwohl Restaurants in den vergangenen zwölf Monaten lange geschlossen blieben, sind die Testerinnen und Tester der Gastro-Guides ausgeschwärmt. Nun hat mit dem Guide Michelin auch das Leitmedium der Gilde sein Urteil gefällt. Die Präsentation fand in diesem Jahr nicht wie üblich im Rahmen einer feierlichen Verleihung statt. Die Auszeichnung der Restaurants erfolgte vielmehr als digitales Live-Event.

Bundesweit wurden in diesem Jahr 310 Restaurants mit mindestens einem Stern ausgezeichnet. Weitere 732 Restaurants erhielten zwar keinen Stern, dürfen sich aber über einen Michelin-Teller freuen, was sie als „Küche mit guter Qualität“ auszeichnet, in der „Qualitätsprodukte verwendet und fachkundig zubereitet werden“. Das Abschneiden der hiesigen Spitzenadressen blieb in diesem Jahr unverändert. Zwei Bonner Feinschmeckeradressen haben ihren Stern erfolgreich verteidigt: „halbedel’s Gasthaus“ im Bad Godesberger Villenviertel und das Restaurant „Yunico“ im Kameha Grand Hotel am Oberkasseler Rheinufer. Über einen Michelin-Teller dürfen sich das italienische Restaurant „Oliveto“, das Strandhaus aus der Bonner Altstadt, das Bad Godesberger „Redüttchen“ und der „Kräutergarten“ aus Adendorf freuen.

Rainer-Maria Halbedel, der sein Gasthaus in einer Jugendstilvilla in der Rheinallee führt, hält seinen Michelin-Stern seit 37 Jahren ohne Unterbrechung. Solch eine Konstanz sucht ihresgleichen und ist selbst bundesweit die Ausnahme. Wir haben mit dem Spitzenkoch darüber gesprochen, wie man das hohe Niveau über Jahrzehnte hält und wie er die Zeit der Pandemie verbringt, in der er seiner Leidenschaft nicht nachgehen kann.

Herr Halbedel, vor einigen Tagen haben Sie mit ihrem Restaurant ,halbedel’s Gasthaus’ zum 38. Mal den Stern des Guide Michelin erhalten. Alles wie immer, könnte man meinen.

Es ist alles andere als Routine. Den Stern Jahr für Jahr zu bestätigen, bleibt etwas Besonderes. Aber wir sind selbstbewusst genug und wissen, was wir können. Ich sage ganz bewusst „wir“, denn solch eine konstante Leistung gelingt nur im Team. Als Beispiel möchte ich meinen Souschef und Patissier Silvio Broschas hervorheben, der schon seine Ausbildung bei mir gemacht hat und seit 26 Jahren an meiner Seite steht. Unser Prinzip, das wir über Jahrzehnte verfolgen, lautet: Wir erfinden uns immer wieder neu. Außerdem sind wir absolute Genussmenschen. Wenn Sie unseren Stil mit wenigen Worten skizzieren wollen, würde ich sagen, wir vertreten eine gesunde, kreative Küche mit erstklassigen Produkten, die am besten aus unserem Garten kommen. Außerdem machen wir vieles selbst. Wir backen zum Beispiel unser eigenes Brot.

Das ist aber nicht Ihr ganzes Erfolgsgeheimnis, um immer wieder erstklassig zu sein?

Wir versuchen, klassische Elemente mit neuen Einflüssen zu kombinieren. Ich hole mir Anregungen bei Kolleginnen und Kollegen im In- und Ausland. Wir tauschen uns beständig aus. Einmal im Jahr fahre ich mit meiner Frau nach Paris. Auch das gehört zur Inspiration. Ich kenne sämtliche 3-Sterne-Häuser der Stadt. Besonders begeistert mich das Restaurant „Kei“. Wir haben es im vergangenen Jahr während des Karnevals besucht. Das Lokal hatte kurz zuvor seinen dritten Stern erhalten und gilt mittlerweile als Nummer eins der Stadt. Der Küchenchef stammt aus Japan und bevorzugt eine raffinierte, kreative französische Küche, die mich begeistert.

Wie hat sich die Sterne-Gastronomie in den vergangenen Jahrzehnten gewandelt?

Als ich 1984 zum ersten Mal einen Stern erhalten habe – damals noch in der Lannesdorfer ,Korkeiche’ – existierten bundesweit 120 Sterne-Lokale. Inzwischen haben 310 Restaurants in Deutschland einen Stern. Doch das ist längst nicht alles. Die Art der Zubereitung hat sich verändert. Die spanischen Einflüsse haben sich in der Feinschmeckerküche bemerkbar gemacht. Man kann sich überall Anregungen holen, letztlich aber muss man seinen eigenen Weg finden, um kreativ zu sein.

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Seit Jahren ist der Begriff Regionalität in aller Munde. Lebensmittel, die in der Küche verwendet werden, sollen möglichst aus der Umgebung kommen.

Wir haben in der Eifel, wo ich mit meiner Frau lebe, einen ein Hektar großen Gemüsegarten. Es freut mich, zu sehen, wie alles wächst und damit anschließend zu kochen. Insofern ist Regionalität der kürzeste Weg zur Küche. Allerdings können wir nicht auf Produkte wie Olivenöl verzichten. Trotz des Klimawandels werden bald weder in Skandinavien noch in Mitteleuropa Olivenbäume wachsen. Sonnenverwöhnte, aromatische Tomaten wird man bei uns auch nur in den Sommermonaten ernten. Deshalb können wir nicht komplett auf importierte Ware verzichten.

Wie groß ist Ihr Team und wie halten Sie Kontakt in dieser besonders belastenden Zeit?

Gegenwärtig beschäftige ich fünf Angestellte. Das wird auch nach dem Ende der Pandemie so sein. Mein Team bleibt zusammen. Wir tauschen uns regelmäßig aus. Das ist vor allem für unsere Auszubildenden wichtig. Sie haben zwar digitalen Unterricht, wollen aber auch praktisch beschäftigt werden. Wir geben ihnen immer wieder etwas an die Hand und stellen Ihnen Aufgaben, die Sie zu Hause in der eigenen Küche erledigen können. Sie müssen sich weiter entwickeln und auf Prüfungen vorbereiten, auch in dieser Zeit.

Hat die Ausbildung für Sie einen besonderen Stellenwert?

Absolut! Ich habe bis heute immer wieder gute Auszubildende weiterbeschäftigt und sie sind lange geblieben. In unserer Küche lernen Sie weit mehr als das, was sie für die Prüfungen beherrschen müssen. Sie wissen nicht nur, wie man ein Wiener Schnitzel oder Königsberger Klopse zubereitet, sondern auch, wie man Brot selbst backt oder Pralinen in Handarbeit herstellt.

Und wie überstehen Sie persönlich die erzwungene Auszeit?

Wir haben genug zu tun auf unserem Hof in Thür. Die Tiere müssen versorgt werden, es wird gepflanzt und gesät. Langeweile ist für mich ein Fremdwort. Was mich allerdings umtreibt, ist die fehlende Perspektive. Im November hieß es, das Weihnachtsgeschäft könne stattfinden. Jetzt stellt man das Ostergeschäft in Aussicht, aber auch das ist vage. Wer glaubt, mit der Hoffnung auf Außengastronomie sei uns geholfen, täuscht sich. Viele Betriebe verfügen nicht einmal über eine Terrasse und welcher Gast möchte sich im April schon abends draußen hinsetzen. Ich habe das Gefühl, unsere Entscheidungsträger wissen nicht immer, worüber Sie entscheiden. Sie kennen sich mit der Materie kaum aus und können nicht differenzieren. Der Lockdown betrifft alle Gastronomiebetriebe gleich, dabei sind die Voraussetzungen, um etwa Abstände einzuhalten, für eine Kneipe oder Bar völlig andere als für ein Restaurant. Wir haben investiert, um schnell sämtliche Voraussetzungen zu erfüllen, als es darum ging, die Hygieneregeln einzuhalten. Bei uns sind die Abstände ehedem groß, sodass wir im Sommer nur zwei Tische weniger besetzen konnten als üblich.

Wie viel Vorlauf benötigen Sie, um ihr Restaurant wieder zu öffnen?

Das geht nicht über Nacht, wir brauchen mindestens eine Woche, um den Betrieb wieder hochzufahren. Das dauert schon alleine wegen der Lieferketten, die wieder aufgebaut werden müssen. Wer branchenfremd ist, kann sich kaum vorstellen, wie die Abläufe zusammenhängen und was alles vorbereitet werden muss, um ein Restaurant, das Monate geschlossen war, wieder hochzufahren. Nach dem ersten Lockdown kam der Beschluss zur Wiedereröffnung viel zu abrupt. Das darf sich nicht wiederholen.

Glauben Sie, dass sich die gastronomische Landschaft durch die Pandemie und den Lockdown grundlegend verändern wird?

Wenn wir das Virus und seine Folgen hoffentlich irgendwann einmal überstanden haben, könnten viele Betriebe verschwunden sein. Wer etabliert ist und gut vorgesorgt hat, wird die Krise überstehen. Aber der Fortbestand vieler Restaurants, die noch nicht sehr lange existieren, ist aus meiner Sicht stark gefährdet.

Sie haben im vergangenen Dezember Ihren 72. Geburtstag gefeiert und stehen seit 1966 in der Küche. Beschäftigen Sie sich mit dem Ruhestand und wie es sein wird, die Kochmütze abzunehmen?

Nein, überhaupt nicht. Ich bin nach wie vor voll motiviert. Die Arbeit hält mich fit. Außerdem bin ich mit guten Genen gesegnet. Krankheiten sind mir fremd. Und von einem Virus lasse ich mir erst recht nicht vorschreiben, wann ich aufhöre.