Pulheim - Dem Italiener Maurizio Cattelan eilt der Ruf des Provokateurs voraus, der den Kunstbetrieb narrt wie kein Zweiter. Vor allem aber ist er eines: ein großartiger Geschichtenerzähler. Das hat er zuletzt im Kunsthaus Bregenz bewiesen; das zeigt er auch bei seiner neuesten Arbeit für die Synagoge in Stommeln. In dem Vorort von Pulheim lädt man seit 1991 weltberühmte Künstler dazu ein, ein ortsbezogenes Werk zu schaffen.
Als Cattelans Name hier ins Spiel kam, waren die Reaktionen indes gespalten: zu gut erinnerte man sich noch an die skandalträchtige Installation von Santiago Sierra, der 2006 Autoabgase in das einstige jüdische Bethaus geleitet hatte.
Maurizio Cattelan nun ist der erste Künstler, der für Stommeln eine zweiteilige Arbeit entwickelt hat, die durch ihre Tiefgründigkeit, ihre Symbolkraft und ihren Beziehungsreichtum gleichermaßen beeindruckt. Zugleich schafft er durch die Verbindung zweier Orte eine Brücke zwischen Judentum und Christentum.
In der Synagoge stehen zwei ausgetretene Wanderschuhe, aus denen grüne Pflanzen sprießen. Das stille, einprägsame Bild erinnert an Heimatlosigkeit und Aufbruch, an Flucht und Verfolgung, denen das jüdische Volk über Jahrhunderte ausgesetzt war; dennoch hat es nie aufgegeben. Das Motiv des Todes, allgegenwärtig im Schaffen des 48-Jährigen, begegnet einem dann in der Alten Kirche St. Martinus, die auf einer Anhöhe über dem Ort liegt.
An der Außenwand des Gotteshauses hängt eine 300 Kilogramm schwere Transportkiste mit der Darstellung einer ans Kreuz geschlagenen Frau im weißen Büßerhemd. Dem Betrachter wendet sie den Rücken zu. Durch die Hände wurden Nägel getrieben; Arme, Körper und Füße sind mit groben Holzstücken fixiert. Zunächst verstört der Hyperrealismus der Figur, die bereits Bestandteil der Bregenzer Ausstellung war.
Hier hat Cattelan sie gleich mehrfach in die Geschichte des Ortes eingebettet. Sie erinnert an die mittelalterliche Mystikerin Christina, die von der Dorfgemeinschaft ausgestoßen und später als Wunderheilerin verehrt wurde und deren Grab sich in unmittelbarer Nähe der Installation befindet. Der Brückenschlag zwischen den Religionen, den Cattelan vollzieht, wird von der Gemeinde alljährlich in der Osternacht durch einen Gang von der Synagoge zu St. Martinus zelebriert.
Schon deshalb war der Pfarrer gleich bereit, dem Künstler die Kirche zu überlassen; aber auch wegen vielen Bedeutungsebenen, die außerdem angesprochen werden: Opferung und Erlösung - und Schuld, Hoffnung und Versöhnung zwischen den Religionen.
Synagoge Stommeln: Hauptstr. hinter Haus Nr. 85. Bis 10. August. Do-Sa 16-19 Uhr, So 13-19 Uhr