Kassel/Wiesbaden – Die Energiewende voranzutreiben ist eine der drängendsten Aufgaben, um dem Klimawandel entgegenzuwirken und unabhängiger von fossiler Energie zu werden. Eine zentrale Rolle dabei spielt Solarenergie. Der hessische Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND Hessen) fordert daher eine gesetzlich verankerte Solarpflicht für alle Neubauten und Bestandsbauten bei Dachsanierungen in Hessen. „Baden-Württemberg hat eine Solarpflicht bereits beschlossen”, sagte dazu Vorstandsmitglied Werner Neumann. Hessen sei beim Photovoltaik-Ausbau (PV) leider nicht vorne dabei.
Dem hessischen Wirtschaftsministerium zufolge gab es im ersten Quartal 2022 in Hessen 152 799 PV-Anlagen mit einer installierten Leistung von 2761,8 Megawatt. Von den bundesweit erzeugten 55.000 Megawatt seien das gerade einmal fünf Prozent, monierte Neumann. Er fordert neben der Einführung einer Solarpflicht mehr Aufklärungsarbeit und Informationsangebote. So seien etwa die Regelungen beim Mieterstrom sehr kompliziert, es gebe bürokratische Hemmnisse.
Diese Hürden sind auch auf kommunaler Ebene bekannt. Um ihr Potenzial an Sonnenenergie besser auszuschöpfen, setzen Hessens Städte daher finanzielle Anreize und bieten Beratung an. Die Stadt Darmstadt etwa unterstützt unter anderem die Anschaffung von Photovoltaikanlagen. Eine Besonderheit sei, dass auch sogenannte Balkonmodule oder Mini-PV-Anlagen gefördert würden, erklärte ein Sprecher. Mit Erfolg: „Das Interesse am Förderprogramm ist stark und steigend.”
Im Stadtgebiet habe zuletzt 1405 PV-Anlagen gegeben, darunter 1168 Aufdach- und 237 Mini-PV-Anlagen. „Das ist gegenüber Herbst 2021 zum Start des PV-Förderprogramms bereits ein Plus von 386 Anlagen beziehungsweise um 38 Prozent.” 1173 der Anlagen würden von Privathaushalten betrieben, 232 Anlagen seien in Gewerbe, Vereinen, Stadt- und Landesbehörden in Betrieb. Wegen des großen Interesses habe die Stadt vor kurzem eine Ausweitung des Programms mit höheren Fördersätzen beschlossen.
Potenzial sieht man in Darmstadt beispielsweise in der Überdachung von dauerhaft notwendigen Parkplätzen, Quartiersgaragen, Radschnellwegen, an Brücken oder aber auch in der sogenannten Agri-PV, einer Kombination von Landwirtschaft und Photovoltaik. „Über schattentolerante Kulturen hinaus können vor allem Sonderkulturen wie Beeren, Spargel, Gemüse, Obst von den PV-Anlagen profitieren, da diese Schutz vor Frost, Hagel oder zu intensiver Sonneneinstrahlung bieten”, erläuterte der Sprecher.
In Wiesbaden werden einer Sprecherin zufolge auf den eigenen Liegenschaften alle Neubauten der Stadt grundsätzlich mit PV-Anlagen ausgestattet. Auch biete die Stadt bereits seit 2017 ein eigenes Förderprogramm für den Bau von PV-Anlagen für Wiesbadener Haushalte und Unternehmen, das intensiv angenommen und auch durch zahlreiche Kampagnen beworben werde. „Die Klimaschutzagentur Wiesbaden e.V., die von der Stadt mit gegründet und bis heute finanziell unterstützt wird, berät alle Wiesbadener Bürgerinnen und Bürger hinsichtlich PV-Nutzung und wickelt das städtische Förderprogramm fachlich ab”, erläuterte die Sprecherin.
Auch Frankfurt bietet Fördermöglichkeiten an. Im „Frankfurter Programm zur Modernisierung des Wohnungsbestandes” ist einer Sprecherin zufolge eine Reihe von Maßnahmen förderfähig, „beispielsweise zur energetischen Modernisierung oder zur Ergänzung des Wohnungsbestandes durch Um- und Ausbau oder Umwandlungen von Gewerbe zu Wohnen”.
In Kassel soll Solarenergie laut Umweltdezernent Christof Nolda (Grüne) bis 2030 einen maßgeblichen Anteil des Stromverbrauchs decken. „Daneben zahlt sich Sonnenstrom auch in anderer Hinsicht aus: Er macht uns unabhängig von fossilen Energieträgern und trägt damit zur Versorgungssicherheit bei”, erläuterte er.
Um den Ausbau zu fördern, überlasse die Stadt seit 2006 ihre Dächer Investoren zur Errichtung von PV-Anlagen und errichte in jüngster Zeit auch selbst PV-Anlagen. Insgesamt seien auf städtischen Dächern 43 Anlagen in Betrieb. Zudem habe sich sie Stadt selbstverpflichtet, bei Neubau und Sanierung grundsätzlich PV-Anlagen mit zu errichten, sofern die Einstrahlungsbedingungen dies sinnvoll zuließen. Auch bei eingetragenen Denkmälern werde eine denkmalgerechte Integration geprüft.
Zudem hat die Stadt eine neue Kampagne gestartet. Im Rahmen der Initiative „Kassel macht Watt!” werden Hauseigentümer in ausgewählten Quartieren angesprochen, deren Immobilie sich laut dem „Solardachfinder” der Stadt - einem Online-Angebot zur Eignungsbewertung Kasseler Dächer bezüglich Solarenergie - besonders für die Nutzung von Photovoltaik eignen. Neben Türanhängern, Postern und Anzeigen informiert die Stadt nach eigenen Angaben auch im Rahmen von Veranstaltungen und in den soziale Medien. „Wir wollen Hemmnisse abbauen und ermutigen, gemeinsam aktiv zu werden”, erklärte Nolda.
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