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ErfindungVon der Glaswatte zum Wahrzeichen

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In den 50er Jahren lag das Gelände von „Grünzweig + Hartmann“ noch am Stadtrand. Im Hintergrund: Stadion und Reuterstraße. (Bild: Saint-Gobain Isover G+H AG)

Bergisch Gladbach – Die Kirmes hat in Gladbach schon einiges im Stadtleben bewegt. Sogar zu einer Erfindung inspiriert, die heute weltweit angewendet wird. Als nämlich Friedrich Rosengarth Anfang der 1930er Jahre bei einem Kirmesbesuch sah, wie dort Zuckerwatte hergestellt wurde, kam ihm die Idee, ein ähnliches Verfahren zu nutzen, um aus Glas Glaswatte herzustellen. Das war die Geburtsstunde eines Dämmstoffs, der die Welt erobern sollte. Denn die Glaswatte erwies sich durch die zwischen den Glasfäden eingeschlossene Luft als exzellentes Isolationsmaterial.

1931 nahm die Glaswatte GmbH in Gladbach die Produktion auf. Schon 1935 stieg der französische Konzern Saint-Gobain mit einer 50-Prozent-Beteiligung ins Unternehmen ein und kann heute das 80-jährige Bestehen seines Gladbacher Werkes feiern.

Rasch machte der Dämmstoff aus Glaswatte traditionellen Produkten wie denen aus Kork des Herstellers „Grünzweig + Hartmann“ Konkurrenz. 1972 fusionierten „die Glaswatte“ und „Grünzweig + Hartmann“ zu „Grünzweig + Hartmann und Glasfaser AG“. Ob bei der Isolation in Hausdächern, im Inneren von Elektroherden oder bei der Isolierung von Rohrleitungen – Dämmstoffe aus dem Gladbacher Werk des Unternehmens, das mittlerweile unter dem Namen „Saint-Gobain Isover G+H AG“ firmiert, werden heute an vielen Orten eingesetzt.

Dabei ist der 1983 errichtete, 120 Meter hohe Sammelkamin längst auch optisch ein Wahrzeichen der Strundestadt geworden. Das Werksgelände lag freilich nicht von Anfang an inmitten der Stadt, vielmehr ist letztere in acht Jahrzehnten um das einst am Rande ausladender Grünflächen liegende Firmengelände gewachsen. Das zeigen alte Luftaufnahmen des Unternehmens, das bereits 1936 mit 273 Mitarbeitern etwa so viele Beschäftigte hatte wie heute (261) – die Produktionsleistung freilich hat sich in den vergangenen Jahrzehnten vervielfacht.

Auf einem Gelände von rund 100 000 Quadratmetern werden an der Jakobstraße heute neben Glaswolle-Dämmstoffen für den Hochbau auch Nadelfilze aus Glaswolle für den Einbau in Herden sowie Ultimate-Rohrschalen zur Isolierung von Rohleitungen bis 1000 Grad in der Industrie, beispielsweise Dampfleitungen in Kraftwerken, hergestellt. Den Löwenanteil der Produktion machen die Dämmstoffe für den Hochbau aus. Etwa 50 Prozent werden in Neubauten verwendet, die anderen 50 Prozent im Rahmen der Modernisierung und Wärmedämmung von Altbauten eingesetzt. „Aktiver Klimaschutz ist die Zukunft auch des Werkes in Bergisch Gladbach, denn der funktioniert nur mit Dämmung“, sagt Nikolaus Wesely, der seit 2010 Werkleiter an der Jakobstraße 10 ist.

Der Gladbacher Standort ist eines von insgesamt vier deutschen Werken des Konzerns Saint-Gobain, der weltweit übrigens 190 000 Mitarbeiter beschäftigt. Dessen Dämmstoff-Sparte rangiert übrigens heute unter dem Namen Isover, der Kurzform des französischen „isolation en verre“ (Isolation aus Glas). Die Lage des Gladbacher Werks sei gut, sagt Wesely, schließlich liege die Stadt „mitten in Deutschland“ und zudem im bevölkerungsreichsten Bundesland. Entsprechend groß ist in der Region der Bedarf an Dämmmaterial für Gebäude.

Vom eigenen Gleisanschluss hat sich das Werk schon vor einigen Jahren verabschiedet. In Zeiten, da der Dämmstoff innerhalb von 24 bis 48 Stunden nach der Bestellung auf der Baustelle sein muss, wird ausschließlich noch per Lastwagen ausgeliefert. Neben dem Fachhandel beliefert Saint-Gobain Isover G+H große Bauprojekte auch direkt ab Werk.

Ausbildungskooperation mit M-real Zanders

Neben einem engen Kontakt zu den Nachbarn der im Laufe der Jahrzehnte um das Werk gewachsenen Bebauung pflegt der Dämmstoff-Hersteller auch Kooperationsprojekte mit Schulen. Bei der Ausbildung kooperiert das Unternehmen mit einem weiteren Markenzeichen-Träger von Bergisch Gladbach: dem Papierhersteller M-real Zanders. Während allerdings der Gladbacher Beiname „Papierstadt“ heute weithin zum Selbstverständnis der Strundestadt gehört, ist die Glaswatte-Geburt vor 80 Jahren weit weniger bekannt. Immerhin: Eine Straße im Stadtteil Moitzfeld ist zwischenzeitlich nach Friedrich Rosengarth benannt worden, der nach einem Besuch auf der Gladbacher Kirmes vor 80 Jahren die Dämmstoff-Welt revolutionierte.