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Deponie-Suche für AKW-Abfall hakt

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Biblis – Die vier Kühltürme und die beiden Reaktorblöcke des ehemaligen Atomkraftwerks Biblis in Südhessen sind weithin sichtbar. Auf den ersten Blick deutet nichts darauf hin, dass von hier kein Atomstrom mehr fließt, einzig: Aus den gigantischen Türmen steigt kein Wasserdampf mehr auf. Das Kraftwerk wird seit Jahren rückgebaut. Bei diesem Rückbau hakt es weiter bei der Suche nach einer Deponie für die zu erwartenden Zehntausenden Tonnen Kraftwerksschrott. „Da noch keine Deponie gefunden wurde, lagern Abfälle, die für eine Deponierung vorgesehen sind, zurzeit auf dem KKW-Gelände”, teilte das hessische Umweltministerium auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit.

Es sei ein Antrag auf Duldung einer Mitbenutzung einer Deponie gestellt worden, der derzeit vom Regierungspräsidium Darmstadt geprüft werde, heißt es beim Ministerium. Das Ergebnis ist offen.

Nach Angaben des Regierungspräsidiums dauert die Prüfung. „Ob eine geeignete Deponie im Zuständigkeitsbereich des Regierungspräsidiums vorhanden ist und ob und unter welchen Voraussetzungen eine Anordnung verhältnismäßig wäre, wird aktuell noch von uns geprüft”, teilte die Behörde mit. Selbst wenn es eine Anordnung gibt, könnte das nicht das letzte Wort sein. Das Verwaltungsgericht Karlsruhe urteilte unlängst, dass Abfälle von einem Atomanlagen-Rückbau nicht auf eine Deponie dürfen.

Hessens Umweltministerin Priska Hinz (Grüne) hatte im Januar in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage mitgeteilt, „die gesicherte Entsorgung von Abrissmaterial ist für einen sicheren und zügigen Abbau” wesentlich. Keine von mehr als 200 angefragten Deponien bundesweit habe sich hierzu aber bereit erklärt.

Das Kernkraftwerk mit seinen zwei Blöcken wurde wie andere nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima 2011 stillgelegt und wird seit 2017 rückgebaut. Von den 17 aktiven Atomkraftwerken zur Zeit der Katastrophe in Japan sind heute noch 3 am Netz. Sie sollen Ende des Jahres abgeschaltet werden.

Angesichts steigender Preise und drohender Energieknappheit ist eine Debatte um die weitere Nutzung der verbliebenden deutschen Atomkraftwerke entbrannt. Längere Laufzeiten schloss zuletzt auch der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, nicht aus. Nach Angaben des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (Base) werden heute 11 der damals 17 Kraftwerke rückgebaut.

Ein erster Meilenstein beim Rückbau von Biblis ist dem hessischen Umweltministerium zufolge erreicht. Die Brennelemente seien in Castoren verpackt und damit eine Kernbrennstoff-Freiheit erreicht. „Damit wurde gegenüber dem Leistungsbetrieb 99 Prozent der Aktivität aus den Blöcken entfernt und ein Kernschmelzunfall unmöglich gemacht.” Im Block A habe der Betreiber, der Energieversorger RWE, eine Abbaufabrik in Betrieb genommen. Dort gebe es Dekontaminations-, Trockenstrahl- und Abwasseraufbereitungsanlagen sowie Sägen. So werden die Bestandteile aus dem Inneren der Gebäude behandelt und zerlegt.

Gemäß den Planungsdaten erwarte RWE eine Gesamtmenge von 63.000 Tonnen radioaktiver Reststoffe aus den Kontrollbereichen beider Blöcke, heißt es beim Umweltministerium. 55.000 Tonnen davon sollen direkt oder mit geringem Dekontaminationsaufwand zur Freigabe gelangen und damit irgendwann auf eine Deponie. „Etwa 5800 Tonnen können voraussichtlich nicht freigegeben werden und müssen als radioaktiver Abfall entsorgt werden.”

Auch dieser strahlende Müll ist auf dem Kraftwerksgelände gelagert. Bei all den Zehntausenden Tonnen Abfall ist ein möglicher Gebäudeabriss noch gar nicht mitgerechnet. Erst nach dem bis Ende 2033 geplanten Rückbau werde über einen Abriss oder eine Weiternutzung entschieden.

„Beim Abbau des Kernkraftwerkes Biblis fallen Abfälle an, deren Radioaktivität so gering ist, dass sie entsprechend den Vorgaben der Strahlenschutzverordnung spezifisch freigegeben und nach den Regelungen des Kreislaufwirtschaftsgesetzes wie regulärer Abfall auf einer Deponie entsorgt werden können”, hatte Hinz im Januar in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage gesagt. Für den Naturschutzbund Bund eine Milchmädchenrechnung.

„Das ganze Modell ist nicht belastbar”, sagte Werner Neumann vom Landesvorstand des hessischen Bundes. „Bei dem Thema Grenzwerte kommen Gutachten zu einem anderen Schluss.” Der Verband habe 2017 gegen die Genehmigung einer Freigabe des Mülls Klage beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht. Die liege dort nun seit fünf Jahren. „Wir halten es nicht für ungefährlich.” Es gehe um die Frage, ob die Kriterien für die Grenzwerte überhaupt geprüft worden seien.

Auch der für die Entsorgung eigentlich zuständige Landkreis Bergstraße sei in der Verantwortung. Der habe keine geeignete Deponie, sagte er. „Denen ist aber seit vielen Jahren bekannt, dass dort ein AKW steht.” Eigentlich sollte man es am Ort des Geschehens unter einer Kuppel lagern.

© dpa-infocom, dpa:220818-99-425693/3 (dpa/lhe)