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NRW-InnenministerReul schmiedet Allianz für Vorratsdatenspeicherung

Lesezeit 4 Minuten
Gute Zeit für Allianzen: Herbert Reul (M.) will die Chance nutzen, in Sicherheitsfragen voranzukommen.

Gute Zeit für Allianzen: Herbert Reul (M.) will die Chance nutzen, in Sicherheitsfragen voranzukommen.

Innenminister Herbert Reul drängt trotz Krisenzeiten und Wahlkampf auf parteiübergreifende Reformen für die innere Sicherheit - insbesondere die Vorratsdatenspeicherung.

Herbert Reul verweist gern darauf, dass er „gelernter politischer Streithansel“ sei. Der heute 72-jährige nordrhein-westfälische Innenminister ironisiert damit seine jungen Jahre als rauflustiger Generalsekretär der NRW-CDU. Wer wüsste also besser, dass eine vorzeitig beendete Legislaturperiode und die nahende Bundestagswahl in Krisenzeiten nicht das beste Umfeld für vernünftige, parteiübergreifende Beschlüsse sind.

Dennoch arbeitet Reul weiter daran, dass sich seine Union noch vor der Auflösung des Bundestages mit SPD und Grünen auf zentrale Reformen in der inneren Sicherheit verständigt. „Mit der FDP und ihrem Justizminister Marco Buschmann sind die ideologischen Störenfriede bei diesem Thema in der Bundesregierung weg. Das macht die eigentlich handlungsunfähige Restregierung in diesem Punkt handlungsfähig“, hat er zuletzt unserer Redaktion gesagt.

„Alle Innenminister in Deutschland ziehen jetzt an einem Strang“

Bei der Innenministerkonferenz im brandenburgischen Rheinsberg ist Reul am Freitag nun einen überraschend großen Schritt weitergekommen. Die Ressortchefs von CDU und SPD in den Ländern haben sich als Lehre aus dem islamistischen Anschlag von Solingen auf eine zentrale Verschärfung in den Sicherheitsgesetzen verständigt.

„Wir haben eine große Chance genutzt, unseren Sicherheitsbehörden ein notwendiges Update zu verpassen. Die politische Konstellation ist gut, um jetzt Maßnahmen konkret umzusetzen, über die wir seit Jahren nur gesprochen haben“, sagte Reul unserer Redaktion nach den Beratungen. Alle Innenminister in Deutschland zögen jetzt an einem Strang und wollten die Befugnisse deutlich ausweiten. „Jetzt brauchen wir Tempo“, forderte Reul – und wird auch seine Parteifreunde in Berlin dafür bearbeiten müssen.

Konkret geht es vor allem um die seit Jahren umkämpfte Vorratsdatenspeicherung. Telekommunikationsanbieter sollen verpflichtet werden, Verbindungsdaten für eine bestimmte Dauer zu archivieren. Chats, Telefonkontakte, Internetaktivitäten. Ermittler könnten dann nach Genehmigung eines Richters im Verbrechensfall oder bei Gefahr im Verzug endlich nachvollziehen, wer mit wem was kommuniziert hat.

Reul würde sich eine Speicherfrist von sechs Monaten wünschen, scheint aber froh zu sein, wenn sich vor der Neuwahl am 23. Februar überhaupt noch etwas tut. NRW hofft jetzt, dass Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) den Ball der IMK aufnimmt und noch entsprechende Gesetzesänderung auf den Weg bringt. „Alle Länder und der Bund sind in der Frage jetzt geschlossen“, sagte Reul. „Ich halte das für möglich“, machte Faeser am Freitag Hoffnung.

Die Vorratsdatenspeicherung war für Datenschützer lange Teufelszeug. Reul hingegen kam seit seinem Amtsantritt 2017 immer häufiger an den Punkt, dass Datenschutz auch Täterschutz sein kann. Etwa wenn er verzweifelte Ermittler traf, die brutalste sexuelle Verbrechen an Kindern aufgeklärt hatten, aber der IP-Adresse des Computers keinen Nutzer zuordnen konnten.

Auch etliche Anschläge in NRW wurden von den Sicherheitsbehörden nur deshalb verhindert, weil ausländische Geheimdienste Chatnachrichten abgefangen hatten und der Bundesrepublik einen Warnhinweis gaben. Im vergangenen Jahr vereitelte allein ein glücklicher Ermittlungszufall den Weihnachtsanschlag auf den Kölner Dom. Sich über die Schnüffelei ausländischer Geheimdienste in Chats und sozialen Netzwerken mit stolzgeschwellter Datenschützer-Brust zu erheben, aber im Ernstfall jeden Warnhinweis dankbar anzunehmen, fand einer wie Reul moralisch nie sonderlich überzeugend.

Grüne haben nach Solingen ihre Meinung geändert

Wenn nun der Bundestag handelt, dürfte auch der Bundesrat mitziehen. Oder die Initiative wird in der Länderkammer selbst noch einmal ergriffen. Zuletzt war es Reul gelungen, die Grünen auf seine Seite zu ziehen. Unter dem Eindruck des Solinger Terroranschlags, der auch durch schwere Behördenpannen im Verantwortungsbereich von Flüchtlingsministerin Josefine Paul (Grüne) begünstigt wurde, sperrte sich der kleine Koalitionspartner nicht länger gegen eine Vorratsdatenspeicherung.

NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) sprach nunmehr von einem „minimalinvasiven Eingriff“ und verwies auf eine geänderte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Die NRW-Grünen wollten auch bei ihren Parteifreunden auf Bundesebene dafür werben, eine Gesetzesverschärfung mitzutragen. „Bei schweren Straftaten müssen wir die Anonymität des Internets knacken, um die Netzwerke der Täter offenzulegen“, argumentierte Limbach.

Reul weiß natürlich, dass seine Parteifreunde in Berlin wenig Neigung verspüren könnten, der rot-grünen Minderheitsregierung mit dem Beschluss zur Vorratsdatenspeicherung wenige Wochen vor dem Wahltermin noch zu einem wichtigen Gesetzeserfolg zu verhelfen. Doch noch hofft man in Düsseldorf auf Einsicht, weil die Ermittler erweiterte Befugnisse dringend bräuchten, die Sicherheitslage immer vor gehe – und niemand wisse könne, wann ein solches Fenster der Möglichkeiten in Bundestag und Bundesrat noch mal aufgeht.