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Die große AbrechnungSieben Vorschläge, um unsere Rente zu retten

Lesezeit 8 Minuten
«Die Herausforderung ist kleiner als früher prognostiziert», sag die Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung über die Sicherheit der Rente.

Die Rente ist in Gefahr.

Das Rentensystem wankt aufgrund des demografischen Wandels: Wie lässt sich die gesetzliche Rente retten und wer muss dafür zahlen?

Wenn jemand weiß, wie es mit der Rente weitergeht, dann sie. In der Kaffeepause eines Seminars der Deutschen Rentenversicherung steht Brigitte Loose vor einem Bürogebäude der Rentenversicherung und dreht sich eine Zigarette. Die Soziologin leitet das Forschungsnetzwerk Alterssicherung der Deutschen Rentenversicherung. Sie borgt sich ein Feuerzeug und zieht tief an der Zigarette: „Wir müssen uns auch Gedanken um Akzeptanz machen“, gibt sie zu bedenken.

Wenn die Beiträge weiter steigen und die Renten sinken, würde das Vertrauen in die Rentenversicherung sinken und die nicht ganz billigen Pflichtbeiträge für weite Teile der Bevölkerung zum Politikum werden. „Um das zu verhindern, müssen wir den Leuten einen überzeugenden Deal präsentieren“, sagt sie. Während die Zigarette kürzer wird, geht sie eine ganze Reihe von viel diskutierten Lösungsvorschlägen für das Dilemma durch.

Eines ist klar: Für eine anständige Rente zu bezahlen, wird in Zukunft nicht leichter. Der Anteil von Rentenempfängern an der Bevölkerung steigt und immer mehr Rentner müssen von immer weniger Beitragszahlern finanziert werden. Man muss kein Experte sein, um zu erkennen, dass es nicht lange gut geht, wenn sich nichts verändert. Die Frage ist nur, was sich ändern soll. Und wer die Kosten trägt.

Vorschlag 1 – Rentenniveau und Ausgaben senken

Das Rentenniveau in Deutschland liegt bei etwa 48 Prozent. Angesichts der dramatisch vielen Rentner (Boomer-Jahrgänge) und der höheren Lebenserwartung müsste das Rentenniveau normalerweise sinken, weil es zu wenige Beitragszahler gibt. Doch auch anderswo ließe sich sparen, denn die Rentenversicherung gab 2023 nicht ihre gesamten 374 Milliarden Euro für die Rentner selbst aus. Ein großer Teil wird für versicherungsfremden Leistungen, wie die „Mütterrente“ oder Reha-Leistungen ausgegeben. Dort sehen manche Sparpotenzial.

Wo ist der Haken?

Die Bundesregierung hat sich gerade erst auf eine Sicherung des Rentenniveaus bis 2039 geeinigt. Und Rentner sind eine große Wählergruppe. Wer will schon einer solchen Macht das Einkommen kürzen? Die Reha-Maßnahmen gelten zwar als versicherungsfremd, aber sinnlos sind sie deswegen nicht. Und wenn die Rentenversicherung sie nicht bezahlt, sondern etwa die Krankenkassen, ist das Problem nur verschoben. Und für eine wirksame Bekämpfung der Altersarmut müsste das Rentenniveau sogar noch sehr viel höher sein.

Wer zahlt drauf?

Gewissermaßen die Rentner von heute und von morgen. Ist das Rentenniveau erst einmal abgesenkt, bleibt es wegen der demografischen Probleme erstmal unten. Und am meisten werden diejenigen Rentner leiden, die ohnehin mit wenig auskommen müssen und sich zu Erwerbszeiten nicht mit einer privaten Altersvorsorge absichern konnten.

Vorschlag 2 – Beiträge und damit Einnahmen erhöhen

Wenn zu wenig Geld da ist und man seine Ausgaben nicht senken möchte, bleibt am Ende nur, die Einnahmen zu erhöhen. Am einfachsten würde das in unserem Fall durch eine Anhöhung der Rentenbeiträge gehen. 9,3 Prozent des Bruttolohns zahlen Arbeitgeber und Arbeitnehmer jeweils. Bei einem Bruttolohn von 62100 Euro ist der Maximalbeitrag erreicht. Auch wer mehr verdient, zahlt nicht mehr Beiträge. Würde man diese Beitragsbemessungsgrenze erhöhen, müssten nur Besserverdiener höhere Beiträge zahlen.

Wo ist der Haken?

Einer der Grundsätze des deutschen Sozialwesens lautet: „Wer mehr einzahlt, muss auch mehr herausbekommen“. Durch höhere Beiträge steigen also die künftigen Rentenansprüche. Höhere Beiträge für Arbeitnehmer bedeuten zudem weniger Netto vom Brutto. Höhere Beiträge für Arbeitgeber haben höhere Lohnnebenkosten zur Folge. Eine höhere Beitragsbemessungsgrenze würde eine noch üppigere Rente für diejenigen heißen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit ohnehin genug Geld fürs Alter haben.

Wer zahlt drauf?

Das kommt darauf an, welche Variante gewählt wird. Bei höheren Beiträgen für Arbeitnehmer, hätten diese weniger Netto. Arbeitgeberbeiträge würden höhere Kosten für Unternehmen bedeuten. Eine höhere Beitragsbemessungsgrenze würden vor allem überdurchschnittlich verdienende Angestellte und ihre Arbeitgeber zu spüren bekommen.

Vorschlag 3 – Zahl der Beitragszahler erhöhen

Knapp 40 Millionen Menschen zahlen derzeit in die gesetzliche Rentenversicherung ein. Da kommen schon einige Milliarden zusammen. Doch 13 Prozent von hundert erwerbstätigen Menschen in Deutschland zahlen nicht in die Deutsche Rentenversicherung ein. Dabei handelt es sich vor allem um Beamte und Selbstständige. Aber auch viele der Millionen Minijobber sowie Zehntausende Strafgefangene zahlen trotz Arbeit nicht ins System.

Wo ist der Haken?

Würden diese Gruppen in die Rentenkasse einzahlen, wollten sie am Ende natürlich auch eine Rente herausbekommen. Das Finanzierungsproblem wäre nur verschoben. Und rein statistisch könnte es für die Rentenversicherung sogar auf lange Sicht ein Minusgeschäft sein, etwa Beamte mit ins System zu holen.

Denn die haben statistisch eine höhere Lebenserwartung, würden also länger Rente beziehen. Für den Staat ist die Pension zudem immer noch ein wertvolles Lockmittel bei der Fachkräftesicherung und die Integration der Beamten würde wohl gut 40 Jahre dauern. Bei Selbstständigen wiederum könnten zusätzliche Abgaben die Selbstständigkeit unattraktiv machen.

Wer zahlt drauf?

Vor allem Beamte oder deren Arbeitgeber, der Staat. Außerdem Selbstständige und Abgeordnete, aber auch Minijobber und deren Arbeitgeber sowie bei Strafgefangenen womöglich die dafür zuständigen Bundesländer.

Vorschlag 4 – Mehr und länger arbeiten

Ein höheres Renteneintrittsalter ist aus finanzieller Sicht doppelt vorteilhaft. Die Menschen zahlen länger ein und beziehen weniger lang Rente. Einnahmen erhöht, Ausgaben verringert. Wenngleich Letzteres dadurch aufgefangen wird, dass die Rentenansprüche steigen würden. Zudem wollen viele Menschen auch im Alter noch arbeiten.

Neben der Idee, länger zu arbeiten, ist jedoch auch Mehrarbeit ein möglicher Lösungsansatz. Denn vor allem erwerbstätige Frauen arbeiten zu mehr als 40 Prozent noch immer in Teilzeit und zahlen damit weniger in die Rente ein.

Wo ist der Haken?

Das Rentenalter hochzusetzen, ist nicht nur unpopulär, sondern auch langwierig. Die Erhöhung der Altersgrenze von 65 auf 67 Jahre wird erst 2031, 24 Jahre nach dem Bundestagsbeschluss abgeschlossen. Zudem benachteiligt ein höheres Rentenalter Menschen, die körperlich an ihre Grenzen stoßen.

Die hohe Teilzeitquote bei Frauen hat Gründe. Viele kümmern sich zusätzlich um die Kinder oder pflegen Angehörige. Soll sich die Vollzeitquote steigern, müssen andere soziale Bereiche gestärkt werden. Etwa durch kostenlose Ganztagskitas und weit mehr Angebote von professioneller Pflege.

Wer zahlt drauf?

Eine höhere Rentenaltersgrenze ist zunächst eine Rentenkürzung. Also für die künftigen Rentner. Im besonderen dann für einkommensschwache Menschen. Auch für Menschen, die einer körperlichen Arbeit nachgehen, können das nicht beliebig lange tun. Am Ende würde ihre Rente massiv gekürzt.

Vorschlag 5 – Mehr private Vorsorge

Man lässt die Renten einfach sinken. Das niedrigere Rentenniveau muss dann jeder selbst ausgleichen, indem er eigenhändig fürs Alter spart und das Ersparte gewinnbringend investiert. Auch die Rentenversicherung kann dabei helfen, denn es gibt für manche Menschen die Möglichkeit Rentenpunkte zu kaufen.

Wo ist der Haken?

Wer jetzt schon wenig Geld hat, kriegt meist auch eine niedrige Rente. Wer also am dringendsten vorsorgen müsste, hat dazu am wenigsten Möglichkeiten. Zudem kann man beim Investieren des Ersparten eine Menge falsch machen.

Wer zahlt drauf?

Wer mehr spart, hat heute weniger Geld, mit dem er konsumieren kann. Wenn alles andere gleich bleibt, führt das zu einem geringeren Lebensstandard. Das dürften gerade Branchen zu spüren bekommen, die nicht überlebenswichtige Dinge verkaufen. Zum Beispiel Tourismus und Gastronomie.

Vorschlag 6 – Allgemeine Lohnerhöhungen

Höhere Löhne bedeuten, dass mehr Geld in die Rentenversicherung fließt. Am Ende haben dann sowohl Angestellte als auch die Rentenkasse mehr Geld in der Tasche. Erreichen könnte man das zum Beispiel über eine Anhebung des Mindestlohns.

Wo ist der Haken?

Arbeit wird teurer. Das könnte entweder dazu führen, dass die so entstehenden Kosten über höhere Verbraucherpreise weitergegeben werden oder dass bestimmte Geschäftsmodelle nicht mehr funktionieren. Und wenn die Löhne steigen, steigen auch die Renten.

Wer zahlt drauf?

Alle, die Angestellte haben. Sprich: Unternehmen, Selbstständige und Menschen, die Hilfe im Haushalt in Anspruch nehmen.

Vorschlag 7 – Mehr staatliche Zuschüsse

Ungefähr ein Drittel der Kosten für die Rente kommen schon jetzt aus dem Bundeshaushalt. Um Lücken in der Rentenversicherung zu schließen, könnte man diesen Betrag erhöhen. Auch die Aktienrente ist im Endeffekt ein üppiger Zuschuss aus dem Staatshaushalt, auch wenn sie über die Rendite der geplanten Aktien refinanziert werden soll. Das nötige Startkapital stammt trotzdem aus dem Bundeshaushalt. Immerhin könnte man die Belastung zielgenau verteilen, zum Beispiel, indem man zusätzliche Steuern beschließt, die vor allem Reiche tragen. Die Rentenansprüche würden dadurch nicht steigen.

Wo ist der Haken?

Durch die Schuldenbremse ist der finanzielle Spielraum der staatlichen Haushalte begrenzt. Höhere Ausgaben müssen irgendwie refinanziert werden. Entweder über schuldenfinanzierte Sondervermögen oder über höhere Steuern, für wen auch immer.

Wer zahlt drauf?

Der Steuerzahler. Wenn mehr Schulden gemacht werden, sinkt der finanzielle Spielraum des Staates. Das lässt sich verhindern, indem die Steuern erhöht werden. Das dürfte bei denen, die sie zahlen müssen, jedoch alles andere als populär sein.

Fazit

Die Rente birgt viele Konflikte. Jung gegen Alt, Beamte gegen Angestellte, Risiko gegen Sicherheit, Lebensstandard gegen Bezahlbarkeit. Eine Rentenpolitik muss einen Mittelweg finden. Das macht die eine perfekte Lösung nahezu unmöglich. Irgendjemand wird sich am Ende immer übervorteilt fühlen.

Die größte Schwierigkeit bleibt jedoch die Langfristigkeit von Rentenplanungen. Was heute ein Gewinn ist, kann morgen schon wieder teuer werden. Zudem planen die meisten Menschen ihre gesamte Biografie um die Leitplanken des Rentensystems. Wer daran herumschraubt, kommt deshalb nicht umhin, in diese Planung einzugreifen.

Brigitte Loose vom Forschungsnetzwerk Alterssicherung kennt alle Ideen für eine zukunftsfähige Rente. Richtig überzeugt ist sie von keiner. Als sie ihre zweite Kippe in einem roten Plastikmülleimer ausdrückt, kommt sie zu dem Schluss: „Es ist sehr kompliziert.“