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Auf der letzten RilleKommunen in NRW melden akute Finanznot

Lesezeit 4 Minuten
Fast alle Städte und Gemeinden Nordrhein-Westfalens bewerten ihre Finanzsituation bis 2028 laut einer Umfrage kommunaler Spitzenverbände als eher schlecht bis sehr schlecht.

Fast alle Städte und Gemeinden Nordrhein-Westfalens bewerten ihre Finanzsituation bis 2028 laut einer Umfrage kommunaler Spitzenverbände als eher schlecht bis sehr schlecht.

Eine Umfrage zur Finanznot in den NRW-Städten führt zu einem niederschmetternden Ergebnis. Nur noch 18 Städte und Gemeinden haben einen ausgeglichenen Haushalt.

Seit Jahrzehnten klagen Kommunen in NRW über Finanznöte, aber nun droht die Lage laut einer Umfrage unter allen 396 Städten und Gemeinden vollends aus dem Ruder zu laufen. Der Städtetag NRW sowie der Städte- und Gemeindebund NRW schlugen am Dienstag im Landtag Alarm.

Was kam bei der Umfrage heraus?

Die Rückmeldungen aus 396 Rathäusern sind besorgniserregend. Aktuell meinen nur fünf Kommunen, es gehe ihnen finanziell gut, 348 finden ihre Finanzsituation „eher schlecht“ oder „sehr schlecht“. Keine einzige Stadt geht davon aus, dass sich die Lage in den nächsten fünf Jahren verbessern wird“, sagte Christoph Landscheidt (SPD), Präsident des Städte- und Gemeindebundes NRW und Bürgermeister von Kamp-Lintfort.

Im Jahr 2023 hatten der Umfrage zufolge 73 Städte in NRW einen ausgeglichenen Haushalt, im laufenden Jahr sind es nur noch 18. Insgesamt 332 Städte und Gemeinden erreichen einen ausgeglichenen Haushalt nur, weil sie auf ihre knappen Rücklagen zurückgreifen. „Das kann nur über einen kurzen Zeitraum funktionieren“, sagte Bochums Oberbürgermeister Thomas Eiskirch (SPD), der den Städtetag NRW führt. Fast 50 Kommunen sind in NRW schon in der Haushaltssicherung und können ihre Geschicke aufgrund von Sparzwängen kaum noch selbst bestimmen.

Welche Konsequenzen drohen?

Öffentliche Gebäude wie Ämter, Schulen und Kitas können nicht mehr neu gebaut oder saniert werden. Löchrige Straßen werden bestenfalls geflickt, Wartezeiten in städtischen Büros werden länger, Einrichtungen wie Kitas und der Offene Ganztag können nicht mehr so viele Menschen beschäftigen wie nötig. Geflüchtete müssen in schlechten Unterkünften hausen, Bäder schließen, die Kultur leidet. Geschätzter Investitionsstau: 50 Milliarden Euro in NRW.

Wie konnte es so weit kommen?

„Konnexität“ ist ein Schlüsselwort. Das bedeutet, dass ein Land oder der Bund Aufgaben, die sie den Städten aufbürden, auch finanzieren müssten. Motto: „Wer bestellt, bezahlt.“ Das geschieht aber nach Einschätzung vieler Städte in NRW nicht. Prominentes Beispiel: Der kommende Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder.

„Den Städten sind die Sozialausgaben weggaloppiert. In den letzten 15 Jahren haben sie sich verdoppelt auf 24 Milliarden Euro im Jahr“, sagte Eiskirch. In der Jugendhilfe, also bei den Kitas, im Ganztag und der Jugendsozialarbeit, seien die Kosten „völlig explodiert“. Die Steigerung hier in nur einem Jahr: 22 Prozent. NRW finanziere die Kitas und die Ganztagsbetreuung (OGS) nicht auskömmlich und stehle sich mit dem Verzicht auf ein OGS-Ausführungsgesetz aus der Konnexitäts-Verantwortung.

Zu den Top-Kostenfaktoren zählen die deutlich höheren Tariflöhne, Mehrkosten für die Miete von Sozialhilfeempfängern (Kosten der Unterkunft) sowie die Kosten für Unterbringung und Integration von Geflüchteten.

Daneben ticke eine weitere finanzielle Zeitbombe, warnen die beiden kommunalen Spitzenverbände: Kosten, die den Kommunen wegen der Corona-Pandemie und wegen der Folgen des Ukraine-Krieges entstanden, konnten bisher aus den regulären Haushalten ausgegliedert werden. Ab 2025 müssen die Städte diese Schulden in Höhe von rund 6,5 Milliarden Euro über maximal 50 Jahre mühsam abstottern.

Was kann die NRW-Städte retten?

Zwei Forderungen stehen im Raum. Erstens der Appell an das Land NRW, an die anderen Bundesländer, den Bundestag und die Bundesregierung, sich auf eine Altschuldenlösung zu einigen, von der vor allem die hoch verschuldeten Städte in NRW profitieren würden. Deren Altschulden betragen etwa 18 Milliarden Euro. NRW und der Bund haben diese Altschuldenhilfe in Aussicht gestellt, aber sie ist kompliziert, weil dafür eine Grundgesetzänderung nötig wäre, und die setzt Zwei-Drittel-Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat voraus. Thomas Eiskirch meint dennoch, eine Altschuldenlösung sei „für NRW greifbar nahe“. Im Hintergrund liefen vielversprechende Gespräche. Die Landesregierung betont, dass sie ihren angebotenen Teil zur Altschuldenlösung – 250 Millionen Euro im Jahr über 30 Jahre – schon fest im Haushalt verankert habe.

Die Forderung Nummer zwei richtet sich an das Land NRW: Es möge die sogenannte „Verbundquote“ – das ist das Geld, das die Städte und Gemeinden von den Steuereinnahmen des Landes bekommen – von heute 23 Prozent in einem ersten Schritt auf 25 Prozent anheben. Dies würde jährlich etwa 1,3 Milliarden Euro mehr in die kommunalen Kassen spülen, heißt es. In den 1980-er Jahren habe die Verbundquote sogar bei 28 Prozent gelegen.

Die Landesregierung hält wenig von einer Erhöhung der Verbundquote. Angesichts der Haushaltslage des Landes sei das „nicht vorstellbar“, sagte NRW-Kommunalministerin Ina Scharrenbach der „Neuen Westfälischen“. Die Kommunen redeten sich manchmal selber schlecht. Es werde der Lage nicht gerecht, „den Untergang des kommunalen Abendlandes zu propagieren“, so die Ministerin. In Summe sei die Situation der Kommunen „robust“.

Wie bewerten andere Politiker die Umfrage?

Die Landesvorsitzende der Grünen in NRW, Yazgülü Zeybek, sagte, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) müssten Wort halten und die Kommunen von ihren Altschulden entlasten.

NRW-FDP-Chef Henning Höne forderte vom Land dauerhaft mehr Geld für die Kommunen. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) stehe in der Verantwortung, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion von einer Altschuldenlösung zu überzeigen.

SPD-Landtagsfraktionschef Jochen Ott warnte: „Kommunen sind das Fundament des Staates und unserer Demokratie. Doch das bröckelt in NRW gewaltig.“