Gesamtmetall-Hauptgeschäftsführer Zander skizziert im Interview mit der Rundschau, was nötig ist, damit Deutschland nicht als DDR 2.0 endet.
IG-Metall-Chef Oliver Zander„Es wird überall investiert, nur nicht hier“
Mitten in der wirtschaftlichen Rezession steuert Deutschland auf eine vorgezogene Bundestagswahl zu. Welche Hoffnungen verbinden Unternehmer mit einem Neustart? Welche Erwartungen gibt es an eine neue Regierung? Thomas Ludwig hat bei Oliver Zander, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, nachgefragt.
Herr Zander, was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie vom Ampel-Aus erfahren haben?
Es war und ist eine folgerichtige Entscheidung, weil die Politikkonzepte der drei Partner nicht mehr zusammengepasst haben. Die FDP hat ja richtigerweise auf eine Wende in der Wirtschaftspolitik bestanden, das war mit Grünen und SPD nicht zu machen. Niemand hätte etwas davon gehabt, wenn das Elend bis September 2025 weitergegangen wäre. Insofern gab es große Erleichterung.
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Also hat uns die Ampel drei verlorene Jahre beschert?
Das würde ich so einseitig nicht sagen. Das Krisenmanagement wegen des Ukraine-Kriegs, Stichwort Gasversorgung, war ja zum Beispiel in Ordnung. Der Fehler bestand darin, dass man einen über 100-seitigen Koalitionsvertrag auf dem Tisch hatte und so getan hat, als wenn man all das, was man verabredet hatte, trotz des schwierigen Hintergrunds eins zu eins weiter umsetzen könne. Die Ampel hat nicht verstanden, dass man nicht einerseits eine Zeitenwende reklamieren kann und dann im alten Trott weitermacht.
CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz hat klargestellt, vor der Wahl werde es keine Wirtschaftswende mehr geben. Größere Gesetzesvorhaben der Regierung will er im Bundestag nicht unterstützen. Geht hier Wahlkampf vor Landeswohl?
Das Wirtschaftsdynamisierungspaket war ja keine Riesenreform. Es wäre allerdings eine Verbesserung mit vielen kleinen Schritten gewesen. Das wird bedauerlicherweise nicht mehr kommen. Allerdings appelliere ich an die Union und auch an die FDP, beim Thema Senkung der Netzentgelte nochmal zu prüfen, ob sie SPD und Grünen nicht doch noch die Hand reichen. Die hohen Netzentgelte belasten die Industrie extrem. Da haben wir nicht noch ein halbes, dreiviertel Jahr Zeit, bis eine neugewählte Regierung die Koalitionsverhandlungen abgeschlossen hat, im Amt ist und den Haushalt auf den Weg bringt. Wir brauchen hier schnellstmöglich Entlastung. Für die mittelständische Industrie wären es immerhin rund 5 Cent pro Kilowattstunde.
Die Entlastung müsste aber aus Steuergeld erfolgen...
Es geht um fünf bis zehn Milliarden Euro, es wäre wirklich gut angelegtes Geld. Und die Schuldenbremse müsste dafür nicht ausgesetzt werden.
Was muss eine neue Bundesregierung im nächsten Jahr schnellstmöglich angehen im Sinne der deutschen Unternehmen?
Die Sozialversicherungskosten, also die Beiträge zur Arbeitslosen-, Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung drohen in den nächsten Jahren völlig aus dem Ruder zu laufen. Derzeit laufen wir auf 42 Prozent vom Bruttoentgelt zu. Wenn nicht endlich gegengesteuert wird, landen wir 2035 bei gut 50 Prozent. Das ist weder für Arbeitnehmer noch für Arbeitgeber zu stemmen. Solche zusätzlichen Belastungen sind Gift für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen. Wir haben in den letzten drei Jahren mehr als 100 Milliarden Euro direkte Investitionen verloren. Es wird überall investiert, nur nicht in Deutschland. Das liegt an den Rahmenbedingungen. Was aber passiert, wenn nicht mehr in die Modernisierung von Produktionsstätten investiert wird, also der Kapitalstock veraltet, hat man in der DDR besichtigen können. Und deshalb müssen wir dringend eine Wirtschaftswende schaffen. Und dazu gehört es, dass die nächste Bundesregierung die ausufernden Sozialversicherungsbeiträge endlich in den Griff bekommt.
Wie hoch sollten sie maximal sein?
Die Sozialversicherungsbeiträge sollten nicht höher liegen als bei 40 Prozent. Aus Erfahrung wissen wir, dass ab dieser Grenze Beschäftigungsverluste drohen. Wenn in lohnintensiven Branchen die Sozialversicherungsbeiträge steigen und steigen, sehen wir vielfach auch ein Abgleiten in die Schwarzarbeit. Das kann man nicht wollen, weil man dann wiederum weniger Beiträge einnimmt und das, was an Geld fehlt, auf die Beitragszahler – Arbeitnehmer und Arbeitgeber – umlegen muss. Wir können auch nicht jeden Tag eine neue Sozialleistung erfinden.
Sie denken an das Bürgergeld?
Der Umstieg von Hartz IV auf das Bürgergeld ist ein totales Desaster und letztlich gescheitert, weil der Eindruck entstanden ist, es handele sich um eine Art bedingungsloses Grundeinkommen. Die Bürgergeldempfänger sind viel stärker zu bewegen, eine Arbeit aufzunehmen. Damit ließe sich sicherlich Geld im Sozialstaat sparen. Und was die Rente betrifft: Wir können außerordentlich dankbar sein, dass die Ampelkoalition gescheitert ist, weil das Rentenpaket II nicht mehr kommt. Das hätte uns noch mal zusätzlich 500 Milliarden Euro gekostet bis 2040. Es geht nicht darum, den Sozialstaat zu schleifen. Aber die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft müssen schon ausbalanciert sein. Und da sehe ich bei der Sozialdemokratie aktuell noch kein Umdenken. Sich im Wahlkampf allein als Partei für soziale Wohltaten und den Spitzenkandidaten als Friedenskanzler zu verkaufen, kann es doch wohl angesichts der dramatischen Wirtschaftslage nicht sein.
Wie ließen sich die Lohnnebenkosten senken?
Eine effizientere Leistungsverwaltung würde zum Beispiel schon einiges bewirken. Beispiel Rente: Da haben wir die Deutsche Rentenversicherung Bund, aber zum Beispiel allein in Bayern gibt es drei Regionalträger. Da ließen sich Strukturen verschlanken, allein schon mithilfe einer konsequenten Digitalisierung und Automatisierung.