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Interview

Ökonom Klaus-Jürgen Gern
„Ein Abrutschen in eine Rezession ist derzeit nicht erkennbar“

Lesezeit 4 Minuten
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In großer Einkaufsstimmung sind die Deutschen zurzeit nicht – trotz steigender Reallöhne.

Warum die Prognosen fast immer falsch sind und welche Folgen sie für das Wirtschaftswachstum haben, erklärt Ökonom Klaus-Jürgen Gern.

Die Regierung braucht Konjunkturprognosen, um den Haushalt zu planen. Unternehmen, um Investitionen abschätzen zu können. Und Verbraucher, um herauszufinden, ob eine größere Anschaffung sinnvoll wäre. Warum die Prognosen fast immer falsch sind und welche Folgen sie für das Wirtschaftswachstum haben, erklärt Ökonom Klaus-Jürgen Gern vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW).

Die Lust der Deutschen am Konsum bleibt eingetrübt. Kein Wunder angesichts der düsteren Konjunkturprognosen. Verschärfen Ihre Annahmen sogar die Konjunkturdelle?

Das Problem ist, dass schon eine geringfügige negative Änderung der Prognose als große schlechte Nachricht verkauft wird. Aber die Zahlen liegen im Unschärfebereich, derzeit gibt es keine nennenswerten Unterschiede zu den Vormonaten. Ob die Wirtschaft voraussichtlich um ein oder 1,5 Prozent wächst, spielt für Verbraucher keine so große Rolle.

Warum ist das so?

Weil die Verbraucher auf einem individuelleren Niveau viel näher an der Wirtschaft dran sind als wir. Sie wissen am besten, wie sich ihr Gehalt entwickelt. Der eigene Job kann sicher sein, auch wenn die Lage insgesamt unsicherer wird. Der Konsument verfügt an der Stelle über mehr Informationen als der Makroökonom. Aber natürlich kann es von Vorteil sein zu wissen, wie sich die Preise entwickeln werden, um sich für oder gegen einen Kauf zu entscheiden.

Dazu müssen die Prognosen aber auch stimmen. Wie fehleranfällig sind Ihre Berechnungen?

Daneben liegt man eigentlich immer. Ein paar Zehntel Abweichung sind dabei aber nicht dramatisch. Problematisch wird es erst, wenn man eine konjunkturelle Trendwende wie eine Rezession nicht erkennt. Ende 2008, während der Finanzkrise, haben einige Institute sehr lange gebraucht, um den Ernst der Lage zu erkennen. Das kann massive Folgen für die Wirtschaft haben, wenn die Politik deswegen zu spät reagiert.

Was ist die größte Fehlerquelle für eine Prognose?

Probleme entstehen immer dann, wenn sich plötzlich etwas ändert, durch Strukturbrüche und Schocks wie den Ukraine-Krieg, die das System destabilisieren.

Wie oft mussten Sie Ihre Prognosen nachträglich bereits korrigieren?

Im vergangenen Jahr haben wir bezüglich der Wachstumsrate wirklich daneben gelegen, zunächst vor allem, weil wir die Energiekrise nicht haben kommen sehen. Anschließend haben wir überreagiert, weil wir von längerfristig höheren Energiepreisen ausgegangen sind, die dann aber rascher als gedacht wieder gesunken sind. Damals mussten wir starke Korrekturen vornehmen. Auch in der gegenwärtigen Situation müssen wir eingestehen, dass die Konjunktur schwächer läuft als erwartet. Wir haben die Kaufzurückhaltung unterschätzt und zu stark auf die Einkommenentwicklung geschaut.

Obwohl die Reallöhne gestiegen sind und die Inflation gesunken ist?

Ja, wir dachten auch, dass die Deutschen einen Teil ihrer Ersparnisse, die sie während der Coronakrise angehäuft haben, jetzt ausgeben würden. Das haben wir aber falsch bewertet. Es kann sein, dass eine Menge der Ersparnisse in Immobilien und andere Vermögenstitel geflossen sind und dadurch die Liquidität der Verbraucher nicht so groß war wie gedacht.

Ärgert Sie es, wenn Sie sich geirrt haben?

In den meisten Fällen kann ich das gut wegstecken. Manches kann man vorher einfach nicht wissen. Wenn ich wirklich etwas übersehen habe, muss ich mich fragen, an welcher Stelle ich etwas ändern muss. Aber schlaflose Nächte wegen einer abweichenden Prognose habe ich selten.

Welche Daten fließen in Ihre Konjunkturberechnungen ein?

Wir sehen uns insbesondere aktuelle Indikatoren für Produktion, Konsumaussichten, Exporte und Investitionen an. Diese Werte kombinieren wir mit Zahlen aus der Vergangenheit und den Trends und Stimmungen aus der Wirtschaft. Die Unsicherheit in den Unternehmen spielt derzeit ebenfalls eine große Rolle. Wir untersuchen auch, ob es besondere Faktoren gibt, die zuvor keine Rolle gespielt haben, aber jetzt wichtig sind, wie beispielsweise Lieferengpässe.

Welche Rolle spielt Künstliche Intelligenz (KI) inzwischen für Ihre Prognosen?

Wir erforschen derzeit, wie wir KI einsetzen können. Bereits seit Längerem versuchen wir, alternative Daten für die Prognose zu nutzen, etwa Suchanfragen bei Google als Indikator für die Entwicklung der Nachfrage oder des Arbeitsmarktes. Aber das hat sich nicht als verlässlich erwiesen.

Wie messen Sie denn die wirtschaftspolitische Unsicherheit für Unternehmen?

Eine Methode ist, die Veröffentlichungen in den Medien nach bestimmten Reizwörtern zu durchsuchen, die mit wirtschaftspolitischen Entscheidungen verbunden sind. Auffällig ist, dass die so gemessene Unsicherheit in den vergangenen zwei Jahren in Deutschland im internationalen Vergleich besonders hoch war.

Sehen Sie aktuell Anzeichen für eine weltweite Rezession?

Man muss erst einmal die Inflation in den Griff kriegen und das geht nicht mit einer boomenden Konjunktur. Insofern ist das moderate Wachstum gesund und gewollt, ein Abrutschen in eine weltweite Rezession ist derzeit nicht erkennbar.