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Gesamtmetall-Chef im Interview„Deutschland ist kein modernes Land mehr“

Lesezeit 3 Minuten
Oliver Zander, Hauptgeschäftsführer Gesamtmetall

Sieht für die Wirtschaft schwarz, wenn die Ampel nicht bald ihr Modernisierungsversprechen einlöst: Oliver Zander.

Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall fordert die Ampel auf, ihr Modernisierungsversprechen schnell einzulösen.

Wenn es darum geht, Deutschland aus der Krise zu bringen, hat Oliver Zander eine klare Vorstellung: Der Hauptgeschäfstführer Gesamtmetall sieht die Bundesregierung in der Pflicht. Ein Gespräch über die Herausforderungen.

Herr Zander, Ukraine-Krieg, explodierende Energiepreise, Lieferengpässe sowie akuter Rohstoff-, Material- und Arbeitskräftemangel – haben Sie angesichts der vielen politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen manchmal Mitleid mit der Bundesregierung?

Leider ist Mitleid keine Kategorie in der Politik. Die Bundesregierung hat unserem Land nach den Versäumnissen der Merkel-Zeit einen Modernisierungskurs versprochen, und den muss sie liefern. Die Lage ist sehr ernst. Leider muss man sagen: Deutschland ist kein modernes Land mehr. Infrastruktur, Bildung, Digitalisierung, hohe Steuern, hohe Sozialabgaben, hohe Energiekosten – Deutschland fällt in vielen Bereichen zurück und ist nicht mehr wettbewerbsfähig. Die Rahmenbedingungen passen nicht mehr. Investitionen finden woanders statt. Die Aufgabe der Modernisierung ist gewaltig, aber es ist nun mal das Versprechen und die Aufgabe einer Bundesregierung, das hinzubekommen.

Mit dem Wachstumschancengesetz und dem Einstieg in den Bürokratieabbau will die Ampel die Wirtschaft wieder auf Kurs bringen. Reichen die Maßnahmen aus, um das Land aus der Rezession zu bringen?

Nein, das wird nicht reichen. Beides geht eindeutig in die richtige Richtung, um die Wirtschaft zu entlasten, dabei darf man aber nicht stehen bleiben. Es geht ja nicht um ein kurzfristiges Konjunkturprogramm. Wir benötigen jetzt eine Angebotspolitik, damit die Inflation bekämpft wird und wieder Wachstum entsteht. Außerdem müssen Steuern und Abgaben sinken, damit die Menschen Leistungswillen haben.

Den Bürokratieabbau müsste die Ampel sehr viel ambitionierter angehen. Bundesjustizminister Buschmann macht einen guten Job, aber manche Ministerien, zum Beispiel Umwelt oder Arbeit und Soziales, haben kaum engagierte Vorschläge gemacht, da kommt viel zu wenig. Außerdem geht es ja nicht nur um den Abbau von Bürokratie, sondern es muss vor allem um künftige Bürokratieverhütung gehen. Es ist wenig gewonnen, wenn wir einzelne Regelungen abschaffen, um dann an anderer Stelle wieder neue Regulierung zu bekommen.

Einerseits kritisieren Unternehmer zu viel staatliche Regulierung, andererseits rufen sie nach Unterstützung, wenn das wirtschaftliche Umfeld schwierig ist. Wie passt das zusammen?

Ich nenne ein Beispiel: Bei der Forderung nach einem Kurzarbeitergeld ging es um die Erstattung des Sozialaufwands, um die Beschäftigten zu halten. Das hat in der Finanzkrise und in der Corona-Pandemie gut geklappt. Unsere Branche hat 2019 bis 2021 etwa 200 000 Leute verloren, bis dato aber schon wieder rund 120 000 Stellen aufgebaut. Es macht also Sinn, wenn der Staat in solchen Momenten eingreift.

Nun fordern Gesamtmetall und andere Verbände vergünstigten Strom für energieintensive Unternehmen ...

Dass der Strom so teuer geworden ist, ist ja auch eine Folge der politischen Entscheidung, vorhandene Stromquellen stillzulegen. 25 Cent pro Kilowattstunde sind im Vergleich zu drei bis sechs Cent wie in China, Frankreich oder den USA nicht wettbewerbsfähig. Wenn aber Grundstoffindustrien wie Stahl, Chemie, Papier oder Keramik ins Ausland abwandern, besteht die Gefahr, dass auch Veredelungs- und Verarbeitungsschritte der Produkte und die entsprechende Forschung nicht mehr hierzulande stattfinden. Das kann gesamtwirtschaftlich nicht gewollt sein. Wir dürfen keine Industriesubstanz verlieren.

Ein Brückenstrompreis, der zeitlich begrenzt sein würde, könnte hier für Entlastung sorgen, bis die Verknappung des Energie- und Stromangebots durch das Hochfahren grüner Technologien, sprich der Erneuerbaren, ein Ende hat. Profitieren sollten davon aber nicht nur die besonders energieintensive Industrie, sondern auch Betriebe, die sich den teuren Strom nicht mehr leisten können.

Und wer finanziert das?

Ich möchte an dieser Stelle nicht den Bundeshaushalt durchflöhen, bin mir aber sicher, dass es noch Töpfe gibt, die man nutzen kann...

Woran denken Sie?

Der Energie- und Klimafonds beispielsweise ist noch gut beschickt. Es wäre zu überlegen, ihn zur Finanzierung des Brückenstroms anzuzapfen.