Ein angespannter Wohnungsmarkt steht in vielen Kommunen leerstehenden Gewerbeobjekten gegenüber. Darüber, was nötig wäre, um in alten Büros neuen Wohnraum zu schaffen, sprach Immobilienexperte Benjamin Biehl mit Rundschau-Redakteurin Johanna Tüntsch.
Interview zur Wohnungsnot„Wir laufen in eine komplette Katastrophe“
Herr Biehl, viele Stadtzentren stecken in einem Strukturwandel. Zahlreiche Gewerbeimmobilien stehen leer, während Wohnraum händeringend gesucht wird. Wäre es nicht möglich, Büros und andere Gewerbeobjekte in Wohnungen umzuwandeln?
Rein technisch: Ja. Die Frage ist: Ist es bezahlbar und genehmigungsfähig? In Berlin-Kreuzberg und -Friedrichshain stehen Backsteingebäude, teilweise 150 Jahre alt, die haben gedient als Wohnraum, als Schneidereien, Webereien, Brauereien, als normale Bürogebäude und heute zum Beispiel als Outlet für Einzelhändler. Das ist die wahre Nachhaltigkeit, ein Gebäude, das so gebaut ist, dass es 150 Jahre steht und durch viele verschiedene Nutzungsarten durchwabern kann. Das ist in den 1960er Jahren, noch mehr in den 70er und 80er Jahren leider versäumt worden, da wollte man mit Bürobauten vor allem möglichst günstig Arbeitsfläche schaffen.
Verhindert also die Qualität der Bauten aus dieser Zeit, dass solche Gebäude in Wohnraum umgewandelt werden?
Das nicht, aber aktuell steckt die Branche in einer Art Schockstarre. Aufgrund der so schnell gestiegenen Zinsen und weiterhin relativ hohen Baukosten werden sehr wenig neue Wohnprojekte angefasst, insbesondere im sozial geförderten, mietpreisgebremsten Bereich, denn je weniger Miete man bekommt, desto günstiger muss man bauen. Das ist beim jetzigen Zinsumfeld und den jetzigen Baukosten schwierig.
Hinzu kommt eine Situation, die sich aufbauend auf den Pandemiemaßnahmen über das letzte Jahr immer stärker manifestiert hat: Bürogebäude in mittlerer bis schlechter Lage und Anbindung mit Ausstattung, die keinerlei Nachhaltigkeitskriterien mehr genügt, werden nicht mehr nachgefragt, sondern weisen hohe Leerstände auf, die als strukturell – also dauerhaft – zu bezeichnen sind. Diese beiden Themen übereinander zu bringen, ist jetzt die große Aufgabe, mit der wir uns befassen.
Einem Bericht im Spiegel zufolge veranschlagt die Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen e.V. (Arge) einen Quadratmeterpreis von 1300 Euro für die Umwandlung von Gewerbeimmobilien in Wohnraum, während der Neubau 3600 Euro kosten soll. Teilen Sie diese Einschätzung?
Das halte ich so pauschal für falsch. Um in einem Rohbau simple Büros umzusetzen, für die kein struktureller Eingriff ins Haus nötig ist, liegt man heute schon bei mindestens 1000 Euro pro Quadratmeter. Ein Riesenproblem ist: Wir haben 16 verschiedene Bauordnungen in Deutschland. Wir sind als Unternehmen deutschlandweit tätig, können aber gar nicht sagen: „Wir legen eine Blaupause drüber und machen das Gleiche in verschiedenen Städten“, weil überall verschiedene Vorgaben und Regularien herrschen. Das betrifft verschiedenste Themen, von Abstandflächen bis zum immer extrem komplexen und kostspieligen Thema Brandschutz, gleichzeitig natürlich ein extrem wichtiges regulatorisches Element.
Der Brandschutz treibt also die Kosten in die Höhe?
Für Wohngebäude sind richtigerweise beispielsweise kürzere Fluchtwege vorgeschrieben als in Bürogebäuden. Dies kann dazu führen, dass ein zweiter Fluchtweg realisiert werden muss. Aufwenig und kostspielig, und es wirkt sich negativ auf die vermiet- oder verkaufbare Fläche aus. Das macht ein Projekt natürlich weniger wirtschaftlich. Niemand möchte erleben, dass jemand in seinem Haus verbrennt, weil er nicht fähig war, die Brandschutzvorgaben zu erfüllen. Aber man muss realistisch sein: Diese und andere Kosten müssten in irgendeiner Art gefördert werden, wenn ein Projekt sonst nicht angegangen werden kann.
Zum Beispiel durch Steueranreize wie die Absetzung durch Abnutzung (AFA), die Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) vorschlägt?
Steueranreize sind grundsätzlich in Ordnung. Sonder-AFAs laufen aber teilweise ins Leere. Sehr große Player am Immobilienmarkt sind zum Beispiel inländische und ausländische Versorgungswerke – die sind per se steuerbefreit. Nötig ist eine direkte Förderung, wie es sie für energetische Sanierung gibt oder für die Realisierung von sozialem Wohnungsraum. Die konkrete Umwandlung von Gewerbe- zu Wohnraum wird aber bei der Förderung noch nicht betrachtet.
Würden denn Fördermaßnahmen ausreichen, um anzustoßen, dass in großem Stil neuer Wohnraum in alten Büros entsteht?
Wir brauchen Förderung, Zuschüsse sowie eine schnellere und vor allem einfachere Regulatorik. Das ist der einzige Weg, den es gibt. Ob zum Beispiel Umnutzungsanfragen einen tatsächlichen gesellschaftlichen Nutzen haben, weil sie etwa neue Wohnflächen schaffen, lässt sich sehr schnell erkennen. Solche Anfragen sollten nicht monatelang liegen, sondern beispielsweise von einer Task Force bearbeitet werden. Eine Gruppe innerhalb der Verwaltung, die separiert eine klar definierte Aufgabe hat. Anders wird man die benötigte Geschwindigkeit beim Thema Wohnen nicht hinbekommen. Aktuell laufen wir sehenden Auges in eine komplette Katastrophe hinein.
Welche regulatorischen Hürden gibt es über den Brandschutz hinaus?
Zum Beispiel wird dem Wunsch nach Aufstocken wegen der Abstände zum Nachbargrundstück oft nicht entsprochen. Aufzustocken wäre aber eine wirtschaftliche Entlastung. Balkone sind ein weiteres Thema: Ein normales, altes Bürohaus hat meist keine Balkone oder Loggien, aber für Wohnraum gibt es diesbezüglich Vorgaben und die Vermarktbarkeit und Wohnqualität wird durch Balkone deutlich verbessert. Auch hier entstehen oftmals Probleme mit Abstandsflächen zum Nachbargrundstück. Deswegen ist es zwingend notwendig, dass sich die Kommunen, die Städte und die Länder drüber klar werden: Das Problem ist da und sie müssen die Regulatorik flexibilisieren, wenn es um ein Projekt geht, wo jemand nicht rein profitgetrieben agiert, sondern bezahlbaren Wohnraum schafft, also gesellschaftlich etwas Gutes tut. Denn darum geht es: Wir brauchen nicht (nur) das Einfamilienhaus in Marienburg, wir brauchen vor allem bezahlbaren Wohnraum.
Birgt eine solche Umwandlung auch Risiken für die Städte?
Wenn Büromieter nicht mehr so viel Fläche brauchen, etwa durch Homeoffice, zieht es sie oft von schwächeren Standorten außerhalb der Innenstadt ins Zentrum, wo die Lage- und Gebäudequalität besser ist. Dort verkleinern sie teilweise signifikant ihre Fläche und sind dafür fähig, höhere Quadratmetermieten zu zahlen. Das führt zu einer Konzentration von Büros in der Innenstadt und neuen Wohngebieten dort, wo vorher die Back-Offices standen. Beispiel Köln: Wenn jemand vom Maarweg an den Rudolfplatz zieht, dann steht das Gebäude am Maarweg leer. Wer dort günstigen Wohnraum schaffen will, muss günstig bauen. Darunter leidet die Bauqualität. Das Risiko ist, dass einkommensschwache Gruppen in eine solche Gegend gedrängt werden und eine Art von Ghettoisierung entsteht, wenn man da nicht durch gezielte Maßnahmen im Umfeld gegensteuert, um eine gesunde Durchmischung zu gewährleisten.
Wie viel Zeit bleibt noch, bevor die Lage am Wohnungsmarkt eskaliert?
Wie? Das ist doch schon passiert! Mieten jenseits der 20 Euro sind doch für viele Haushalte nicht mehr zahlbar! Für meine erste Wohnung in Berlin, 2007, habe ich acht Euro pro Quadratmeter kalt bezahlt. Heute sind es in der Lage mindestens 25 Euro. Und es explodiert immer weiter.
NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU) hat mehr Baugrundstücke gefordert. Liegt sie da richtig?
Das ist ein sehr pauschaler Ansatz, der vermutlich daher kommt, dass auf der grünen Wiese besser und schneller gebaut werden kann. Aber ist es wünschenswert, noch mehr Flächen zu versiegeln? Und was passiert mit dem Gebäudebestand, der in seiner heutigen Nutzung obsolet wird oder geworden ist? Wenn ein Gebäude leer steht, hat irgendjemand damit zu einem gewissen Zeitpunkt einen sehr großen Verlust erlitten. Den Bestand nicht zu nutzen, ist volkswirtschaftlich nicht sinnvoll. Das Ziel sollte sein, Werte von Gebäuden, die ihre Lebensdauer in einer Nutzungsart hinter sich haben, zu reaktivieren. Wenn man immer nur alles abreißt und neu baut, kann man die zurecht viel besprochene CO2-Bilanz unserer Branche nicht verbessern.
Zur Person
Benjamin Biehl schloss mit einem Master of Business Administration sein Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität in München ab und und machte anschließend einen Master of Scines im Fach Real Estate Investment an der Cass Business School in London. Biehl hält eine Vorlesung zu Immobilienentwicklung an der Uni Münster. Er ist Managing Director der Hines Immobilien GmbH, fürdie der seit 2007 tätig ist. Hines ist ein privater Immobilieninvestor, 1957 gegründet, mit Hauptquartier in Houston, Texas. Das Unternehmen ist spezialisiert auf die Entwicklung von Büro- und Geschäftsgebäuden sowie Wohnquartieren und Logistikgebäuden. Beispiele dafür in unserer Region sind das Generali-Gelände in Köln am Sachsenring und das „Le Coeur“ im ehemaligen Commerzbank-Gelände an der Düsseldorfer Königsallee. Beide Projekte bleiben in gewerblicher Nutzung. Ein größeres Wohnquartier realisierte Hines in Berlin mit dem Stadtquartier Südkreuz in Schöneberg, unter dessen 664 Wohneinheiten 116 sozial gefördert waren. (jot)