Die Ausstellung im Düsseldorfer Kunstpalast erlaubt einen Einblick in weniger bekannte Werke, die aus Privatsammlungen stammen und stilistisch sein gesamtes Schaffen repräsentieren.
Schau in DüsseldorfKunstpalast zeigt „verborgene Schätze“ von Gerhard Richter
Mut zur Lücke gilt nicht unbedingt als Primärtugend von Sammlern. Doch für die Ausstellung „Gerhard Richter. Verborgene Schätze“ nehmen die Besitzer rheinischer Privatkollektionen daheim leere Wände in Kauf: Sie leihen ihre öffentlich nie oder extrem selten gezeigten Werke dem Museum Kunstpalast. Generaldirektor Felix Krämer weiß dies zu schätzen: „Tatsächlich hängen die Bilder ja dort überm Sofa oder im Esszimmer, und sich für fünf Monate von Familienmitgliedern zu verabschieden, ist keine Kleinigkeit.“
Mit 122 Arbeiten kann das Museum nun stilistisch wie chronologisch die ganze Bandbreite des Richter-Schaffens spiegeln. Die frech-naive „Kuh“ (1964) stammt noch vom Kunststudenten – und für zwei abstrakte Gemälde von 2017 griff der Weltranglistenerste der Gegenwartskunst in seinem Atelier in Köln-Hahnwald letztmalig zum Rakel. Kurator Markus Heinzelmann sieht diese vergleichsweise dezent kolorierten, aber enorm temperamentvoll komponierten Werke als eine Art Vermächtnis des heute 92-Jährigen.
Gerhard Richter als Retter der Malerei
Gemälde stellen denn auch zwei Drittel der Düsseldorfer Exponate und belegen, wie einfallsreich der gebürtige Dresdner den Kosmos der Malerei ausmisst. Letztere gilt in den 1960ern als Auslaufmodell, doch in einer kreativen Trotzreaktion beweist Gerhard Richter das Gegenteil. Dazu verbündet er sich mit der „feindlichen“ Fotografie, malt nach Presse- oder Familienfotos, die er mit seiner einzigartigen Wischtechnik surreal verfremdet.
So ist „Helen“ beinahe clownesk verzerrt, während die „Schwestern“ gerade aus dem Entwicklungsbad aufzutauchen scheinen. Der an ostdeutsche Disziplin gewöhnte Künstler fremdelt anfangs mit der laschen Arbeitsmoral der Düsseldorfer Akademie-Kommilitonen und moniert: „Sogar die Modelle sind zu faul, sich auszuziehen.“
Für seine „Studentin“ von 1967 gilt das offenbar nicht – breitbeinig posiert sie für Richters Hommage an Courbet und dessen skandalöses Gemälde „Ursprung der Welt“. Dem französischen Kollegen widmet er später auch noch eine seiner schönsten Abstraktionen.
Gerhard Richters Experimente
Die ebenso intelligent wie rhythmisch gehängte Schau zeigt, wie der Künstler mit Extremen jongliert und mit Techniken experimentiert: Hier die Serie der grauen Bilder, daneben ebenfalls in den frühen 70ern jene „1024 Farben“, die das Prinzip des Kölner Domfensters vorwegnehmen.
Rastloser Schöpferkraft entspricht aber keine genialische Schludrigkeit, im Gegenteil: Gerhard Richter ist derart penibel organisiert, dass er schon 1969 in Aachen eine Werkschau mit entsprechendem Objektregister präsentiert. Einem vorwiegend aus Medizinern und Ingenieuren bestehenden Publikum imponiert dies so, dass dieser „Aachener Kreis“ zur treuen Sammlergemeinde wird.
Wer nun seine privaten Schätze in den Kunstpalast schickt, bleibt meist anonym. Thomas Olbricht bekennt sich immerhin zu der reifen Sammlerleistung, von der ersten („Hund“, 1965) bis zur letzten alle Editionen Richters zu besitzen. Außerdem erfährt man, dass Fotograf Andreas Gursky jene „Weinernte“ ausleiht, die man in grob gespachteltem Grau kaum als solche erkennt.
Auf einer wild collagierten Wand tummeln sich neben Bildern wenige Skulpturen (Kreuze, eine Kugel), daneben noch eine bemalte Kartonröhre.
Gerhards Richter Wolkenbilder sind bei der Schau dabei
Tief durchatmen kann man dann im schönsten Raum: drei mächtige Wolkenbilder, von heiter bis bedrohlich, dazu zwei seiner „Seestücke“: Aus meist verschiedenen Fotomotiven sind düsteres Meer und bewölkter Himmel montiert, wobei der rasiermesserscharfe Horizont die Künstlichkeit betont. Richter bewundert bekanntlich Caspar David Friedrich, dessen Romantik hier schockgefrostet wirkt.
Zu den Sammlern des Wahlkölners gehören auch Firmen: Die Bayer AG entsendet das abstrakte Farbgewitter „I.S.A.“ von 1986 (Isa Genzken war damals die Ehefrau des Malers), ERGO lädt hundert Meter vom Kunstpalast entfernt zur Gratisbesichtigung der Mammutformate „Victoria I“ und „Victoria II“ ein. In der Ausstellung sieht man das finstere Triptychon „Alpen II“, Teil einer für den Duisburger Unternehmer Hans Grothe zusammengestellten Kollektion.
Für den Künstler sind Landschaften Zeugnisse einer „Sehnsucht nach einem schlichten, unbeschädigten Leben“. Wobei über seiner dunkeltonigen Studie „Troisdorf“ (1985) auch ein Schleier der Melancholie liegt.
Markus Heinzelmann betont, „dass dies eine Werkschau, aber keine Retrospektive ist“. Die politischen Zyklen wie „Birkenau“ oder die RAF-Serie hat Richter bewusst für Museen reserviert. Umso prächtiger blättert sich die Skala der abstrakten Werke auf, die der Maler als Spiegel seiner gegenwärtigen Probleme und Widersprüche sieht. Mal glaubt man da in einen verwunschenen See einzutauchen oder sich in Fernand Légers Röhrenlabyrinthen zu verirren.
Das vielleicht anrührendste Ölgemälde der Schau misst nur 62 mal 52 Zentimeter. Es zeigt seinen kleinen Sohn Moritz mit gebanntem, fast erschrockenem Blick auf sein Gegenüber. Und der Maler ist angesichts solcher Skepsis geneigt, das Bild fast als Selbstporträt zu sehen.
Bis 2. Februar 2025. Di bis So 11-18, Do 11 bis 21 Uhr. Katalog im Museum 49, im Buchhandel 54 Euro. Kunstpalast, Ehrenhof 4-5.