Eine aktuelle Studie zeichnet ein Bild der aktuellen Lage der Religion und der Kirchen in Deutschland.
Rundschau-Debatte des TagesWie wichtig ist der christliche Glaube in Deutschland noch?
„Mitglied in einer Partei bin ich, weil wir Moral und Menschlichkeit brauchen“, sagt die Theologin Christina Brudereck. „Mitglied in der evangelischen Kirche bin ich geworden, weil wir Kraft brauchen für Moral und Menschlichkeit.“ Brudereck spricht vor der in Ulm tagenden Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Beim Treffen des Evangelischen Kirchenparlaments wurde am Dienstag die sechste Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der EKD und der katholischen Deutschen Bischofskonferenz (DBK) vorgestellt. Für die repräsentative Studie hatte das Meinungsforschungsinstitut Forsa Ende 2022 rund 5282 Menschen im Alter von mehr als 14 Jahren je 592 Fragen gestellt. Nun wurden die ersten, bundesweiten Daten präsentiert.
Religiosität
Die Kirchenmitglieder sind immer weniger religiös. Nur 15 Prozent aller Kirchenmitglieder beten täglich, fast ein Drittel tut dies nie. Nur zwei Prozent aller evangelischen Christen lesen täglich in der Bibel, 50 Prozent nehmen die Heilige Schrift der Christen dagegen „nie“ zur Hand. Etwa ein Drittel der Kirchenmitglieder und 19 Prozent der Gesamtbevölkerung bejahen die Aussage: „Ich glaube an einen Gott, der sich in Jesus Christus zu erkennen gegeben hat.“ 33 Prozent der Gesamtbevölkerung, 18 Prozent der evangelischen und 15 Prozent der katholischen Kirchenmitglieder sagen hingegen: „Ich glaube nicht, dass es einen Gott, irgendein geistiges Wesen oder eine höhere Macht gibt.“
Lebensbereiche
Religion hat für die Menschen in Deutschland vor allem in schwierigen Lebenssituationen Bedeutung. Gut 20 Prozent der Befragten sagen, dass Religion dann „große Bedeutung“ habe, ein Drittel spricht von „etwas Bedeutung“. Ähnlich ist es bei der Erziehung von Kindern. Bei Themen wie der Sexualität, politischen Einstellungen, der Arbeit oder dem Beruf hat Religion in Deutschland hingegen fast keine Relevanz.
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Gesellschaftliches Engagement
Für die Zivilgesellschaft sind die Kirchen weiterhin von großer Bedeutung: 46 Prozent aller evangelischen und 49 Prozent aller katholischen Kirchenmitglieder erklärten, sich regelmäßig irgendwo ehrenamtlich zu engagieren – das ist ein deutlicher Unterschied zu Konfessionslosen, von denen nur 33 Prozent angaben, dies regelmäßig zu tun. Und: Je religiöser sich die Menschen einschätzen, desto stärker engagieren sie sich. „Die Kirchen stärken die Demokratie“, sagt die EKD-Ratsvorsitzende, Präses Annette Kurschus. „Selbst wer sich nicht zur Kirche hält, erwartet von den Kirchen, dass sie Orte demokratischer Willensbildung sind.“
Soziale und politische Rolle
Die soziale Komponente der Kirchen bleibt wichtig: Selbst Konfessionslose sagen überwiegend, dass die Kirchen etwa Beratungsstellen für Menschen mit Lebensproblemen betreiben sollte. „Die stärksten Erwartungen an die Kirchen liegen im sozialen Bereich“, sagt Co-Studienautor Edgar Wunder. Zwei Drittel der Kirchenmitglieder lehnen es zudem ab, dass sich die Kirche ausschließlich auf religiöse Fragen beschränken sollten. Das politische Engagement der Kirche „war das seltenste Argument für einen Kirchenaustritt überhaupt“. Und das Engagement der Kirchen für Geflüchtete oder in der Seenotrettung im Mittelmeerraum wird sogar von Konfessionslosen hoch geschätzt.
Austritte
Schon heute sind 43 Prozent der Menschen in Deutschland konfessionslos. Ihre Zahl wächst um 1 bis 1,5 Prozentpunkte pro Jahr, sagt Co-Studienautor Christopher Jacobi. Und als seien die Rekord-Austrittszahlen nicht schon dramatisch genug, stuft die Studie auch noch 43 Prozent der katholischen und 37 Prozent der evangelischen „Noch-Mitglieder“ als „austrittsgeneigt“ ein. Der Schwund könnte sich also noch weiter beschleunigen: Die bis 2060 vorhergesagte Halbierung der Mitgliederzahl könnte laut der neuen Daten tatsächlich bereits in den 2040er Jahren erreicht werden. Wobei auffällt, dass die evangelische Kirche hier nur wenig besser dasteht als die katholische. Als wichtigste Austrittsgründe werden vor allem bei den Katholiken die Skandale der jüngsten Zeit, aber auch die Verärgerung über Amtsträger genannt. Das Vertrauen der Menschen in die Kirchen nimmt parallel dazu weiter ab: 9 Prozent aller Befragten erklären, sie hätten noch Vertrauen in die katholische Kirche, bei der evangelischen sind es 24 Prozent.
Reformen
Die Studie zeigt auch, dass die Deutschen nicht gleichgültig sind gegenüber den Kirchen. Ihre Mitglieder erwarten Veränderungen: Rund 80 Prozent der befragten Protestanten und sogar 96 Prozent der Katholiken sind der Auffassung, dass sich ihre Kirche grundlegend verändern muss, wenn sie eine Zukunft haben will. Das würde dann auch ihre Neigung zum Austritt verringern. Hier machen sich etwa der Zorn über den Missbrauchsskandal und die Frage nach dem Umgang mit Homosexuellen bemerkbar. So werden auf katholischer Seite die Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften, die demokratische Wahl kirchlicher Führungspersonen und mehr Rechte für Frauen gefordert, aber auch, dass Priester heiraten dürfen. (mit kna)