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Rundschau-Debatte des TagesWas bedeutet eine Kenia-Koalition für Deutschland?

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Einen Monat vor der Wahl könnte laut manchen Umfragen nur eine „Kenia“-Koalition aus Union, SPD und Grünen die nächste Regierung bilden. dpa

Einen Monat vor der Wahl könnte laut manchen Umfragen nur eine „Kenia“-Koalition aus Union, SPD und Grünen die nächste Regierung bilden. dpa

Abwärts für Friedrich Merz und Sahra Wagenknecht. Seitwärts für Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner. Aufwärts für Alice Weidel: Wie die Bundesrepublik regiert werden könnte, wenn sich die aktuellen Umfrage-Trends fortsetzen.

Vor Weihnachten war Jens Spahn (CDU) noch mit der Botschaft unterwegs, die Union könne allein eine absolute Mehrheit schaffen. Er berief sich dabei auf eine Forsa-Projektion: Wenn viele kleine Parteien an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern, wäre die Mehrheit der Sitze mit nur 38,5 Prozent der Stimmen möglich.

Welches aktuelle Bild ergibt sich?

Schaut man sich an, wo die Parteien im Durchschnitt der vielen Umfragen inzwischen liegen, ergibt sich nun folgendes Bild: Die Union ist von einem Zwischenhoch von 33,2 Prozent Ende November auf 30,3 Prozent abgesackt. Die SPD liegt – wie beim Ampel-Aus Anfang November – bei 16 Prozent. Die Grünen haben von 10,5 auf 13,6 Prozent zugelegt, stagnieren aber seit knapp zwei Wochen. Sahra Wagenknechts BSW ist von 8,2 auf 5,2 Prozent eingeknickt. Christian Lindners FDP liegt bei gut vier Prozent, die Linkspartei bei knapp vier Prozent. Die AfD hat – neben den Grünen – am stärksten vom Ampel-Aus profitiert: Sie legte von 17,2 auf 20,3 Prozent zu, ein Plus von 3,1 Punkten.

Welche Mehrheiten wären ohne AfD möglich?

Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz hat eine Koalition mit Alice Weidels AfD ausgeschlossen. Eine absolute Mehrheit der Sitze für CDU/CSU erscheint, Stand heute, aber ebenso unwahrscheinlich wie ein neuerlicher Sieg für die SPD von Olaf Scholz. In der SPD rechnen sie selbst bei einem grandiosen Schlussspurt des Kanzlers mit maximal 20 Prozent.

Aktuell hätten Union und SPD zusammen 46,3 Prozent. Sollten FDP und Linkspartei den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde schaffen, würde das für eine Große Koalition wohl nicht reichen. Es dürfte also nur eine oder keine der beiden Parteien in den Bundestag kommen und Merz müsste seinen Sinkflug stoppen, damit eine Neuauflage der Großen Koalition sicher wäre.

Für Schwarz-Grün gäbe es gegenwärtig eine knappe Mehrheit. Allen Blockade-Ansagen von CSU-Chef Markus Söder zum Trotz gibt ja sowohl in der CDU als auch bei den Grünen noch immer viele, die den Versuch gern mal wagen würden. Allerdings schwindet selbst bei den schwärzesten Grünen langsam der Glaube. „Alles läuft auf Kenia hinaus“, sagt eine von ihnen.

Reicht es nicht für Schwarz-Rot, dann spräche ein weiterer Grund für Kenia: Zwar könnte es der FDP noch gelingen, sich über die Fünf-Prozent-Hürde in den Bundestag zu retten. Aber nach der Ampel-Quälerei ist die Bereitschaft bei SPD und Grünen für eine neuerliche Koalition mit dem Liberalen-Chef Christian Lindner gleich null. Und auch Friedrich Merz wird eine behutsame Reform der Schuldenbremse brauchen, um einen Haushalt zustande zu bekommen. Was passiert, wenn man mit Lindner darüber reden will, ist Merz bekannt.

Schwarz-Rot-Grün: Was käme da auf uns zu?

Die Ampel ist weniger an ihrer Politik als vielmehr an ihrem öffentlichen Streit zerborsten. Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck weist berechtigterweise auf tiefe Gräben zwischen CDU und CSU hin, die sich schon vor der Wahl auftun. Allerdings überziehen sich auch Grüne und SPD (Stichwort: Ukraine-Hilfe) gerade mit gegenseitigen Lügen-Vorwürfen.

Und in der Schicksalsfrage, wie Deutschland bei der Begrenzung der Erderwärmung mitmachen und gleichzeitig seine Wirtschaft retten kann, ist kein überzeugender schwarz-rot-grüner Konsens absehbar. Die CDU sagt zwar völlig zurecht, es seien mehr Anstrengungen notwendig, aber nicht, welche und von wem.

Die SPD verspricht „mehr für Dich“ und will von Reformen und einer Angebotspolitik nichts wissen. Die Grünen wollen an ihrer gescheiterten Subventionspolitik festhalten und die Probleme wie die SPD mit mehr Schulden zukleistern.

Immerhin: Im tobenden Links-Rechts-Kulturkampf gehören sowohl Merz als auch Scholz und Habeck zu den Realos und Gemäßigten in ihren Parteien. Im Nein zu Bündnissen mit der AfD sind sich die drei einig. In der Frage, wie der Rechts- und Linkspopulismus zu bekämpfen ist, aber nicht. Und SPD-Oberrealo Olaf Scholz will in einer Regierung und Friedrich Merz nicht mitmachen. Kurzum: Ob Kenia gut für Deutschland wäre, muss wohl bezweifelt werden.

Ist eine Kenia-Koalition (und deren Scheitern) in Stein gemeißelt?

Natürlich nicht. In aktuell vier Wochen sind noch erhebliche Verschiebungen denkbar. Zwar weiß ein Großteil der Wählerinnen und Wähler, wen er nicht wählen will. Aber bei wem sie ihr Kreuz machen, das wissen ganz viele noch nicht.

Und natürlich ist es möglich, in Koalitionsverhandlungen trotz Meinungsverschiedenheiten einen tragfähigen Zukunftsplan zu schmieden. Das ist sozusagen die Kernaufgabe in einer Mehr-Parteien-Demokratie. Mehr Konsens wagen, das wäre wohl ein gutes Motto. Und aufs Gute zu hoffen, das bleibt ja wohl erlaubt.